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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 4. Januar 2017

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Katechese. Rahel »weint um ihre Kinder«, aber… »es gibt eine Hoffnung für deine Nachkommen« (Jer 31)

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

In der heutigen Katechese möchte ich mit euch die Gestalt einer Frau betrachten, die von der in Zeiten der Tränen gelebten Hoffnung zu uns spricht. Die unter Tränen gelebte Hoffnung. Es handelt sich um Rahel, die Ehefrau des Jakob und Mutter von Josef und Benjamin. Wie das Buch Genesis uns berichtet stirbt sie bei der Geburt ihres Zweitgeborenen, also Benjamins.

Der Prophet Jeremia nimmt Bezug auf Rahel, als er sich an die in der Verbannung lebenden Israeliten wendet, um sie zu trösten, mit gefühlvollen und poetischen Worten. Er greift also Rahels Tränen auf, schenkt jedoch Hoffnung.

So spricht der Herr: »Ein Geschrei ist in Rama zu hören,
bitteres Klagen und Weinen.
Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen,
um ihre Kinder,
denn sie sind dahin« (Jer 31,15).

In den Versen präsentiert Jeremia diese Frau aus seinem Volk, die große Erzmutter seines Stammes, in einer Wirklichkeit des Schmerzes und der Tränen, aber gleichzeitig in einer unerwarteten Perspektive des Lebens. Nach dem Bericht der Genesis war Rahel bei der Geburt gestorben und hatte jenen Tod angenommen, damit ihr Sohn leben konnte. Jetzt dagegen wird sie vom Propheten in Rama, wo die Vertriebenen sich versammelt haben, als lebendig dargestellt: Sie weint um die Kinder, die in gewissem Sinne gestorben sind, als sie in die Verbannung gegangen sind. Diese Kinder, wie sie selbst sagt, »sind dahin«, sind für immer verschwunden. Und darum will Rahel nicht getröstet werden. Diese Weigerung bringt die Tiefe ihres Schmerzes und die Bitterkeit ihrer Tränen zum Ausdruck.

Angesichts der Tragödie des Verlustes der Kinder kann eine Mutter Worte oder Gesten des Trostes nicht annehmen: Sie sind immer unzulänglich und nie in der Lage, den Schmerz einer Wunde zu lindern, die nicht geheilt werden kann und werden will: ein Schmerz, der proportional zur Liebe ist. Jede Mutter weiß das alles; und auch heute gibt es viele Mütter, die weinen, die sich mit dem Verlust eines Kindes nicht abfinden, die untröstlich sind angesichts eines Todes, den man unmöglich annehmen kann. Rahel schließt den Schmerz aller Mütter der Welt, aller Zeiten ein sowie die Tränen eines jedes Menschen, der um unwiederbringliche Verluste weint.

Diese Weigerung Rahels, die nicht getröstet werden will, lehrt uns auch, wie viel Einfühlsamkeit von uns verlangt wird angesichts des Schmerzes anderer Menschen. Um zum Verzweifelten von Hoffnung zu sprechen, muss man seine Verzweiflung teilen; um eine Träne auf dem Gesicht des Leidenden zu trocknen, müssen wir uns im Weinen mit ihm vereinen. Nur so können unsere Worte wirklich in der Lage sein, etwas Hoffnung zu schenken. Und wenn ich die Worte nicht so sagen kann, mit Tränen, mit Schmerz, dann ist es besser zu schweigen: eine Liebkosung, eine Geste und keine Worte.

Und Gott mit seiner Zärtlichkeit und seiner Liebe antwortet auf Rahels Weinen mit wahren, nicht mit falschen Worten. Denn der Text des Jeremia geht so weiter:

So spricht der Herr – er antwortet auf dieses Weinen:
»Verwehre deiner Stimme die Klage
und deinen Augen die Tränen!
Denn es gibt einen Lohn für deine Mühe –
Spruch des Herrn:
Sie werden zurückkehren
aus dem Feindesland.
Es gibt eine Hoffnung für deine
Nachkommen – Spruch des Herrn:
Die Söhne werden zurückkehren
in ihre Heimat« (Jer 31,16-17).

Gerade wegen des Weinens der Mutter gibt es noch Hoffnung für die Kinder, die wieder ins Leben zurückkehren werden. Diese Frau, die akzeptiert hatte, im Augenblick der Geburt zu sterben, damit der Sohn leben kann, ist mit ihrem Weinen jetzt der Beginn neuen Lebens für die verbannten, gefangenen Kinder, die fern der Heimat sind. Auf Rahels Schmerz und ihr bitteres Weinen antwortet der Herr mit einer Verheißung, die jetzt für sie Grund wahren Trostes sein kann: Das Volk kann aus der Verbannung zurückkehren und im Glauben, frei, seine Beziehung zu Gott leben. Die Tränen haben Hoffnung hervorgebracht.

Und das ist nicht leicht zu verstehen, aber es ist wahr. Oft säen in unserem Leben die Tränen Hoffnung, sind sie Samen der Hoffnung. Bekanntlich wurde dieser Text des Jeremia später vom Evangelisten "Matthäus aufgegriffen und auf den Kindermord von Betlehem übertragen (vgl. 2,16-18): ein Text, der uns mit der Tragödie der Ermordung wehrloser Menschen konfrontiert, mit den Schrecken der Macht, die das Leben verachtet und auslöscht. Die Kinder von Betlehem sind wegen Jesus gestorben. Und er, das unschuldige Lamm, sollte später seinerseits für uns alle sterben. Der Sohn Gottes ist in den Schmerz der Menschen eingetreten. Das darf man nicht vergessen. Wenn jemand sich an mich wendet und mir schwierige Fragen stellt, zum Beispiel: »Sagen Sie mir, Vater: Warum leiden die Kinder?«, dann weiß ich wirklich nicht, was ich antworten soll. Ich sage nur: »Betrachte den Gekreuzigten:  Gott hat uns seinen Sohn geschenkt, er hat gelitten, und vielleicht findest du dort eine Antwort.« Aber Antworten von hier [er zeigt auf seinen Kopf] gibt es nicht. Nur die Betrachtung der Liebe Gottes, der seinen Sohn hingibt, der sein Leben für uns hinschenkt, kann einen Weg des Trostes aufzeigen. Und daher sagen wir, dass der Sohn Gottes in den Schmerz der Menschen eingetreten ist; er hat den Tod geteilt und angenommen; sein Wort ist endgültig ein Wort des Trostes, weil es aus dem Weinen hervorgeht.

Und am Kreuz schenkt er, der sterbende Sohn, seiner Mutter neue Fruchtbarkeit, indem er ihr den Jünger Johannes anvertraut und sie zur Mutter des Volkes der Gläubigen macht. Der Tod ist besiegt, und so gelangt Jeremias Prophezeiung zur Erfüllung. Auch Marias Tränen haben, ebenso wie die von Rahel, Hoffnung und neues Leben hervorgebracht. Danke.

 

* * *

Sehr herzlich heiße ich die Pilger deutscher Sprache bei dieser Audienz willkommen. In seinem Sohn, der zu Betlehem geboren wurde, ist Gott uns ganz nahe und hat unsere menschliche Schwachheit geteilt bis hin zum Tod. Christus ist immer an unserer Seite, in Freud und Leid. Er ist unsere Hoffnung. Der Herr begleite euch in diesem neuen Jahr mit seinem Segen.

 



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