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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Gott geht immer bis an die Grenzen

 Donnerstag, 6. November 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 47, 21. November 2014

 

Es kann keine Christen, geschweige denn Hirten, geben, die traurig »auf halbem Weg« stehen bleiben, weil sie Angst haben, sich »die Hände schmutzig zu machen«, zum Gegenstand von Klatsch zu werden oder ihre kirchliche Karriere zu gefährden. Gott selbst zeigt einem jeden von uns wie auch der gesamten Kirche den richtigen Stil des Verhaltens, indem er persönlich »etwas unternimmt« und »immer weiter geht, bis auf den Grund, immer unterwegs«, mit einem einzigen Ziel: »niemanden zu verlieren!«, gerade die Fernsten nicht, voller Zärtlichkeit. So lautete der praktische Hinweis des Papstes in der Frühmesse vom 6. November, die er in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte.

Franziskus wiederholte den Abschnitt aus dem Lukasevangelium (15,1-19), um ihn zu kommentieren. »Alle Zöllner und Sünder kamen zu Jesus «, so erläuterte er, »um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: ›Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen.‹« Im Übrigen, so bemerkte der Papst, habe die Geste Jesu »für jene Zeit, für diese Leute einen regelrechten Skandal dargestellt, nicht wahr?« Und er fügte hinzu: »Stellen wir uns vor, was das ausgelöst hätte, wenn es damals schon Zeitungen gegeben hätte!« Vielleicht hätte man Titel von der Art lesen können wie: »Mit solchen Leuten isst der Prophet!« Kurzum: ein »Skandal«.

Und dennoch, so führte Franziskus aus, »war Jesus gekommen, um jene zu suchen, die sich vom Herrn entfernt hatten«. Und er mache das sehr deutlich, indem er »zwei Gleichnisse« erzähle: »das vom verlorenen Schaf – das Jesus dann im Johannesevangelium aufgreift, um zu erläutern, dass Er der gute Hirte ist; und das Gleichnis von der Frau«, die zehn Drachmen habe und eine davon verliere. In seiner Analyse der bei Lukas überlieferten Gleichnisse wies der Papst auf die hier am häufigsten wiederholten Worte hin: »verlieren, suchen, finden, Freude und Fest«. Gerade diese von Jesus gebrauchten Begriffe, so der Papst, »verdeutlichen uns, wie Gottes Herz ist: Gott bleibt nicht stehen, Gott geht nicht bis an einen bestimmten Punkt« und nicht weiter. Nein, »Gott geht bis auf den Grund, bis an die Grenzen: Er geht immer bis an die Grenzen; er bleibt nicht auf dem halben Weg des Heils stehen, so als wolle er sagen: ›Ich habe alles getan, es ist ihr Problem!‹ « Statt dessen »geht Gott immer weiter, er geht hinaus, er unternimmt etwas«. In diesem Zusammenhang zitierte der Papst einen Satz aus dem Buch Exodus, der »besonders schön ist: ›Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen, und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie unterdrücken.‹ Und jetzt gehe ich dorthin!« Kurz, »Gott vernimmt die Klage und macht sich auf: das ist der Herr! Das ist seine Liebe: Er geht bis zum Äußersten!« In Wirklichkeit, so sagte Franziskus, indem er wieder zum Tagesevangelium zurückkehrte, »ist Jesus sehr großzügig, weil er diese Pharisäer und Schriftgelehrten, die da tuschelten, fast schon mit Gott vergleicht.« So fange er das Gleichnis mit diesen Worten an: »Aber wer unter euch tut nicht dasselbe?« Vielleicht sei es wahr und alle würden es tun, sie würden aber »auf halber Strecke« stehenbleiben.

In der Tat, so merkte der Papst an, »war es ihnen wichtig , dass die Bilanz von Profit und Verlust mehr oder weniger günstig ausfallen sollte«, und dann waren sie »beruhigt«. Und so hätten diese beiden Zöllner – um bei den beiden Gleichnissen Jesu aus dem Lukasevangelium zu bleiben – vielleicht gesagt: »Ja, es ist wahr, ich habe drei Drachmen verloren, ich habe zehn Schafe verloren, aber ich habe trotzdem viel verdient! « Das allerdings sei ein Gedankengang, der »Gott nicht in den Sinn kommt«, unterstrich Franziskus. Denn »Gott ist kein Geschäftemacher: Gott ist Vater und geht bis zur Rettung, bis zum Schluss, bis an die Grenzen, bis auf den Grund!« Und so – er bezog sich hier auf ein anderes Gleichnis, das vom verlorenen Sohn – sah auch dieser arme alte Mann seinen Sohn herankommen, der weggegangen war«, auch »er ging bis ans Ende, bis an die Grenze, die ihm gesetzt war, nämlich auf die Terrasse seines Hauses, um Tag für Tag Ausschau zu halten, ob sein Sohn zurückkäme, weil er nicht wusste, wo er war.«

Das sei es, was Gott tue, der »immer bis an die Grenzen geht: Gott ist Vater, und das ist die Liebe Gottes.« Dieser Stil Gottes sage auch »uns Hirten, uns Christen«, wie wir uns zu verhalten hätten. Und in der Tat sei der ein »trauriger Hirt«, der »auf halber Strecke« stehenbleibe, »das ist traurig!« Und vielleicht tue er ja auch etwas, aber er erläutere, dass er nicht mehr tun könne. In der Tat, so der Papst, »ist der ein trauriger Hirt, der die Tür der Kirche öffnet und da stehenbleibt, um zu warten «. So wie auch »ein Christ traurig ist, der in seinem Inneren, in seinem Herzen, nicht das Bedürfnis, die Notwendigkeit verspürt, den anderen Menschen zu erzählen, dass der Herr gut ist«.

Es gebe sehr viel »Perversion«, so sagte Franziskus, »in den Herzen jener Menschen, die sich für gerecht halten, so wie diese Schriftgelehrten, diese Pharisäer«, von denen heute bei Lukas die Rede gewesen sei. »Sie wollen sich die Hände nicht schmutzig machen mit den Sündern.« Und untereinander hätten sie über Jesus gesagt, dass er, wenn er ein Prophet gewesen wäre, gewusst hätte, dass diese Frau eine Sünderin sei. Das war »Verachtung: sie bedienten sich der Menschen, und dann verachteten sie sie.« Deshalb »ist es eine Niederlage, wenn ein Hirt auf halber Strecke stehen bleibt«. In der Tat »muss der Hirte das Herz Gottes haben«, um »bis zum Äußersten zu gehen«. Er müsse »das Herz Jesu haben, der vom Vater dieses Wort empfangen hatte: keiner darf verlorengehen; man darf niemanden verlieren; niemand darf verlorengehen!« Das seien Worte, die Jesus auch beim Letzten Abendmahl wieder aufgreife, als er sagte: »Behüte sie, Vater, damit sie nicht verloren gehen!«

Deshalb also »verfügt der wahre Hirt, der wahre Christ in seinem Inneren über diesen Eifer: dass keiner verlorengehe!« Und »aus diesem Grund hat er keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen: er hat keine Angst! Er geht dahin, wohin er gehen muss, er setzt sein Leben aufs Spiel, er setzt seinen Ruf aufs Spiel, er riskiert, sein bequemes Leben, seinen Status und auch seine kirchliche Karriere zu verlieren. Aber er ist ein guter Hirte!« Und »auch die Christen sollen so sein«. Denn »es ist sehr leicht, die anderen zu verurteilen, so wie es die Zöllner taten, aber christlich ist es nicht, nein! So verhalten sich die Kinder Gottes nicht!« In der Tat »geht ein Kind Gottes bis ans Äußerste, es gibt sein Leben hin für die anderen, wie Jesus es getan hat«. Und daher »kann es nicht ruhig sein, nur auf sich selbst achten und seine Bequemlichkeit, seinen Ruf, seine Ruhe schützen«. Daher bekräftigte Franziskus: »Hirten, die auf halber Strecke stehenbleiben? Niemals! Christen, die auf halbem Weg stehenbleiben, niemals! « Man müsse sich vielmehr so verhalten, »wie Jesus es getan hat«.

In diesem Evangeliumsabschnitt »wird gesagt, dass diese Leute sich Jesus näherten«. Aber »man liest im Evangelium oft, dass Er es ist, der hinausgeht, um die Menschen zu suchen«. Denn »der gute Hirte, der gute Christ geht hinaus, er ist immer im Aufbruch: aus sich heraus, hinaus zu Gott hin, im Gebet, in der Anbetung«. Und »er geht hinaus, auf die anderen zu, um ihnen die Heilsbotschaft zu bringen«. So »verkörpern der gute Hirte und der gute Christ die Zärtlichkeit«. »Diese Schriftgelehrten und Pharisäer hingegen nicht, nein, sie wussten nicht«, was es heiße, sich »das Schaf voller Zärtlichkeit auf die Schultern zu laden und es zu den anderen an seinen Platz zurückzubringen.« Das seien Leute gewesen, die keine Ahnung davon gehabt hätten, was Freude ist. In der Tat »verspüren der Christ und der Hirte, die auf halbem Wege stehen bleiben, vielleicht ein wenig Vergnügen, eine gewisse Ruhe, einen gewissen Frieden«. Aber »die Freude« sei etwas ganz anderes, »diese Freude, die im Paradies herrscht, diese Freude, die von Gott kommt, diese Freude, die aus dem Herzen des Vaters strömt, der hinausgeht, um zu retten«, und der sage: »Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen, und jetzt unternehme ich etwas.« Franziskus verwies ausdrücklich darauf, wie schön es sei, »keine Angst davor zu haben, dass man schlecht über uns redet«, wenn wir hingingen, »um jene Brüder und Schwestern zu finden, die fern vom Herrn sind«. Abschließend bat er den Herrn »um diese Gnade für einen jeden von uns und für unsere Mutter, die heilige Kirche«.

 



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