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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Die Nähe Jesu

Dienstag, 9. Januar 2018

 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 7, 16. Februar 2018)

 

»Das Doppelleben der Hirten ist eine Wunde in der Kirche«: Doch selbst wenn sie die Vollmacht verloren haben, die allein von der »Nähe zu Gott und zu den Menschen« kommt, dürfen sie nie die Hoffnung verlieren, die »Kohärenz« wiederzufinden und auch die Fähigkeit, sich »innerlich anrühren« zu lassen. Bei der Feier der heiligen Messe in Santa Marta am Dienstag, den 9. Januar, warnte Papst Franziskus die Hirten davor, »die Sakramente mechanisch wie ein Papagei zu feiern« und den Menschen die Tür nur zu festgesetzten Zeiten zu öffnen. Denn sie würden die Vollmacht verlieren, und selbst wenn sie die Wahrheit predigten, könnten sie die Probleme der Leute nicht verstehen und ihr Herz erreichen.

»Im Evangelium, das wir gehört haben, kommt zweimal das Wort ›Vollmacht‹ vor«, so der Papst, der sich auf den Abschnitt aus dem Markusevangelium bezog (1,21-28). In der Synagoge von Kafarnaum, so Franziskus mit den Worten des Evangeliums, »waren die Menschen voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten«. Es sei offensichtlich, fuhr Franziskus fort, dass wir es mit »einer neuen Lehre zu tun haben, die mit Vollmacht verkündet wird: ›Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl!‹« Und »die Neuheit Jesu ist diese Vollmacht«, so erklärte der Papst. Denn »die Leute waren an die Schriftgelehrten, an die Gesetzeslehrer gewohnt: sie redeten und die Leute dachten an etwas anderes, denn was sie sagten, drang nicht in ihr Herz vor. Und so »sprachen sie von Ideen, von Lehren, auch vom Gesetz, und sie sagten die Wahrheit: das ist wahr, weshalb Jesus den Leuten sagt: ›Hört sie an, tut, was sie euch sagen‹«.

Die Gesetzeslehrer also »sagten die Wahrheit, doch sie drang nicht bis ins Herz vor: es war alles beschaulich, ruhig«, betonte der Papst, der darauf aufmerksam machte, dass »die Lehre Jesu hingegen Staunen hervorruft«, die »Bewegung des Herzens: ›Nun, was geschieht da?‹« So »folgen ihm die Leute, sie gehen ihm nach, da sie verstehen, dass das, was jener Mann sagt, mit ›Vollmacht‹ gesagt wird«. Diesbezüglich forderte Franziskus jedoch dazu auf, gut über den Begriff der Vollmacht nachzudenken. Denn, so präzisierte er, »die Vollmacht besteht nicht darin: ›Ich kommandiere, du führst aus.‹ Nein, sie ist etwas anderes, sie ist eine Gabe, sie ist eine Kohärenz.« Und »Jesus hat diese Gabe der Vollmacht empfangen: ich sage Gabe, ich weiß nicht, ob dieses Wort richtig ist, doch er hat sie empfangen«. Dann, »am Ende des Matthäusevangeliums, wo von der Aussendung der Apostel zu lesen ist, um die Welt zu ›missionieren‹, sagt er: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf Erden. Ich bin der Mann der Vollmacht. Geht, aber mit dieser Vollmacht!« Als sage er: Geht »mit dieser Kohärenz«.

»Es ist dies eine göttliche Vollmacht, die von Gott kommt«, sagte der Papst weiter. Und »als die Jünger ihn nach dem Ende der Welt fragen, sagt er daher: ›Keiner weiß es, auch der Sohn nicht.‹ Das ist eine Zeit, die in der Vollmacht des Vaters steht.« Und »genau das ist es, was Jesus hatte, als Hirt, und das Volk sprach von einer ›neuen Lehre‹, von einer neuen Weise des Lehrens, die Staunen erweckte, die ins Herz vordrang. Nicht wie die Schriftgelehrten.« Jesus »lehrte mit Vollmacht «, wiederholte der Papst: »Er war ein Hirte, der mit Vollmacht lehrte.«

»Was aber taten die Schriftgelehrten?«, fragte sich Franziskus. »Sie«, so die Antwort, »lehrten die Dinge, die sie gelernt hatten: in der rabbinischen Schule, die die Universität jener Zeit war, indem sie die Thora lasen. Sie lehrten die Wahrheit. Sie lehrten nichts Schlechtes: absolut nicht! Sie lehrten die wahren Dinge des Gesetzes.« Doch sie erreichten die Menschen nicht, »da sie einfach vom Lehrstuhl aus lehrten und nicht an den Menschen interessiert waren«. »Denn das, was Vollmacht verleiht – eines der Dinge, die Vollmacht verleihen –, ist die Nähe, und Jesus hatte Vollmacht, da er sich den Menschen näherte«, unterstrich Franziskus. Auf diese Weise »›verstand‹ er die Probleme der Leute, er verstand die Schmerzen der Leute, er verstand die Sünden der Leute«. Zum Beispiel, so der Papst, »verstand Jesus gut, dass jener Gelähmte am Teich von Bethesda ein Sünder war«. Und »was sagt er zu ihm, nachdem er ihn geheilt hatte? ›Sündige nicht mehr.‹ Dasselbe sagt er zur Ehebrecherin.«

Der Herr konnte diese Worte sagen, fuhr der Papst fort, »weil er nahe war, weil er verstand, aufnahm, heilte und lehrte in dieser Nähe«. Denn »was einem Hirten Vollmacht verleiht oder die vom Vater gegebene Vollmacht neu weckt, das ist die Nähe: Nähe zu Gott im Gebet – ein Hirt, der nicht betet, ein Hirt, der nicht Gott sucht, hat etwas verloren – und die Nähe zu den Menschen«. Es sei eine Tatsache, fügte er hinzu, dass »der von den Menschen abgesonderte Hirt die Leute nicht mit der Botschaft erreicht«.

Deshalb, so Franziskus eindringlich, bedürfe es der »Nähe, dieser zweifachen Nähe«. Und »das ist die ›Salbung‹ des Hirten, den die Gabe Gottes im Gebet rührt und der Ergriffenheit angesichts der Sünden, der Probleme, der Krankheiten der Menschen empfinden kann: das geht dem Hirten nahe«. Dagegen »lassen sich diese Schriftgelehrten, diese Leute nicht rühren: Sie hatten jene Fähigkeit verloren, da sie nicht nahe waren. Und sie waren weder den Leuten noch Gott nahe«, unterstrich der Papst. Und »wenn man diese Nähe verliert, wo endet der Hirt? In der mangelnden Kohärenz des Lebens«. Jesus, so merkte Franziskus an, sei »darin klar: ›Tut, was sie sagen‹ – sie sagen die Wahrheit –, ›aber nicht, was sie tun.‹« Es sei dies die Frage des »Doppellebens«. »Es ist hässlich, Hirten mit einem Doppelleben zu sehen: das ist eine Wunde in der Kirche«, sagte der Papst. Es sei hässlich, »die kranken Hirten zu sehen, die die Vollmacht verloren haben und mit diesem Doppelleben weitermachen«.

Aber, so fügte er hinzu, »es gibt viele Weisen, ein Doppelleben zu führen, und Jesus geht streng mit ihnen ins Gericht: Er sagt den Leuten nicht nur, dass sie auf sie hören sollten, sondern auch, dass sie nicht tun sollten, was diese täten. Doch zu ihnen, was sagt er zu ihnen? ›Ihr seid weiß getünchte Gräber‹: wunderbar in der Lehre, äußerlich gesehen, aber im Innern Verwesung.« Und gerade »das ist das Ende des Hirten, der keine Nähe zu Gott im Gebet und zu den Menschen im Mitleid hat«.

Vielleicht, so erklärte der Papst, könnte mancher Hirte zugeben, »die Nähe verloren zu haben «, indem er zu sich selbst sage: »Ich bete nicht. Wenn ich die Sakramente feiere, dann tue ich das mechanisch, wie ein Papagei. Die Leute ermüden mich: Ich stehe den Leuten von der Stunde x bis zur Stunde y zur Verfügung, ich hänge ein Schild an die Tür. Ich bin niemandem nahe: Habe ich alles verloren, Vater?« In diesem Zusammenhang, so der Papst weiter, »kommt mir die biblische Gestalt eines Priesters in den Sinn, der mein Herz erweicht: ein Sünder, doch er rührt mich«. Es handle sich um die Geschichte des »alten Eli«, wie sie in der Lesung aus dem ersten Buch Samuel (1,9-20) stehe. Eli »war schwach, er hatte die Nähe zu Gott und zu den Menschen verloren, und er ließ die Zügel schleifen«, erklärte Franziskus, der hervorhob: »Seine Söhne misshandelten die Leute, sie waren Priester. Sie kümmerten sich um die Dinge und er ließ sie gewähren. Doch er war immer dort, er hat den Tempel nicht verlassen.« Eines Tages habe Eli gesehen, wie Hanna gebetet habe. »Etwas weckte seine Aufmerksamkeit, und er schaute sich jene Frau an« und habe gedacht, dass sie »betrunken « sei. Das sei der Grund für seine Aufforderung gewesen, sie solle nach Hause gehen, um ihren Rausch auszuschlafen.

Doch Hanna, so steht im Abschnitt aus dem Alten Testament zu lesen, offenbarte Eli, dass sie keineswegs betrunken sei, sondern vielmehr »voller Kummer wegen diesem, jenem und wegen jenem anderen«. Hanna antworte ihm nämlich: »Halte deine Magd nicht für eine nichtsnutzige Frau; denn nur aus großem Kummer und aus Traurigkeit habe ich so lange geredet.« Und »während sie sprach«, merkte der Papst an, »war er fähig, sich jenem Herzen zu nähern: das priesterliche Feuer kam aus der Asche eines mittelmäßigen, alles andere als guten Hirtenlebens hervor «. So habe Eli der Frau geantwortet: »Geh in Frieden! Der Gott Israels wird dir die Bitte erfüllen, die du an ihn gerichtet hast.« Eli also, »der die Nähe zu Gott und den Menschen verloren hatte«, fuhr der Papst fort, »näherte sich aus Neugier einer Frau, doch dann hat er ihr zugehört und gemerkt, dass er einen Fehler begangen hat. Und aus seinem Herzen gingen der Segen und die Prophezeiung hervor.«

Franziskus wollte erneut die Aktualität der Geschichte Elis unterstreichen: »Ich möchte den Hirten, die das Leben getrennt von Gott und vom Volk, von den Menschen verbracht haben, sagen: Verliert die Hoffnung nicht! Es gibt immer eine Möglichkeit.« Das gehe so weit, dass es Eli »genügte, hinzuschauen, sich einer Frau zu nähern, ihr zuzuhören und so die Vollmacht des Segnens und der Prophetie neu zu wecken: Jene Prophezeiung erfolgte, und die Frau hat einen Sohn bekommen.«

»Die Vollmacht«, so der Papst abschließend, »ist eine Gabe Gottes. Sie kommt allein von ihm, und Jesus gibt sie den Seinen: Vollmacht im Sprechen, die der Nähe zu Gott und zu den Menschen entspringt, immer beides zusammen; Vollmacht, die Kohärenz ist, kein Doppelleben.« Und »wenn ein Hirt die Vollmacht verliert, dann soll er wie Eli wenigstens nicht die Hoffnung verlieren: Es ist immer noch Zeit, sich zu nähern und die Vollmacht und die Prophezeiung wieder zu erwecken.«

 



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