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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Mit Sanftmut und Zärtlichkeit

Dienstag, 18. September 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 42, 19. Oktober 2018)
 

Die Fähigkeit Jesu, »voller Zärtlichkeit und Mitleid den Menschen nahe« zu sein, seine »Vollmacht « auf »Sanftmut« zu gründen: diese Fähigkeit sollte jeder Hirte in der Kirche haben. Papst Franziskus behandelte in seiner Predigt am 18. September erneut die Rolle und die Identität des Bischofs. Er tat dies in seiner Reflexion zum Tagesevangelium (Lk 7,11-17), das es ihm gestattete, Jesus, seinen Stil, zu »betrachten«, um ihn zum Vorbild zu nehmen.

Der Herr nämlich, unterstrich der Papst zu Beginn, »hatte Vollmacht, er war mit Vollmacht ausgestattet «. Ein Merkmal, das aus den Berichten des Evangeliums hervorgehe, in denen zu lesen sei, dass »ihm die Leute folgten, weil er ›mit Vollmacht‹ sprach, doch nicht mit der Vollmacht, mit der die Gesetzeslehrer sprachen: sie hatten keine Vollmacht vor dem Volk. Jesus dagegen schon.« So kam also die Frage auf, die der ganzen Betrachtung ihre Richtung gab: »Was verlieh Jesus Vollmacht?« Was habe ihn in den Augen des Volkes in einem anderen Licht erscheinen lassen, da ja im Grund »die von ihm verkündete Lehre fast dieselbe war wie die der anderen?«

Die Antwort finde sich in einem anderen Abschnitt aus dem Evangelium, in dem Jesus selbst sage: »Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig.« Dies sei der Schlüssel für das Verständnis: »Dort, in jener Demut Jesu, findet sich die Erklärung für seine Vollmacht.« Worin also habe der Stil Jesu bestanden? »Er schimpfte nicht, er sagte nicht: ›Ich bin der Messias‹ oder ›Ich bin der Prophet‹. Er ließ keine Posaunen blasen, wenn er jemanden heilte oder die Menschen lehrte oder ein Wunder wie die Brotvermehrung wirkte. Nein. Er war demütig. Er handelte.«

Diese Demut, so fügte der Papst hinzu, »sah man in einer ganz besonderen Haltung: Jesus war den Menschen nahe.« Darin habe er sich unterschieden: »Die Gesetzeslehrer standen den Leuten fern, sie lehrten vom Katheder aus: ›Ihr müsst dies und jenes tun…‹ Sie hatten kein Interesse an den Menschen. Sie waren vielmehr daran interessiert, den Leuten Gebote zu geben, die sie bis auf mehr als dreihundert anwachsen ließen… Doch sie standen den Leuten nicht nahe.« Jesus dagegen »war unter den Menschen, nahe bei den Leuten«. Und im Evangelium sei zu lesen: Wenn er nicht bei den Menschen war, dann »war er beim Vater, er betete«.

Was ihm die »Vollmacht« verliehen habe, die alle ihm zuerkannt hätten, sei gerade dieses Verhalten Jesu gewesen, der den Großteil der Zeit seines öffentlichen Lebens »auf der Straße, bei den Leuten« verbracht habe; es seien seine »Nähe«, seine »Demut«. Der Herr »berührte die Leute, er umarmte die Leute, er blickte den Menschen in die Augen, er hörte den Menschen zu«.

Diese Grundzüge träten eindeutig im Tagesevangelium mit der Episode der Witwe von Naïn hervor. Franziskus bemerkte: »Da ist ein Wort, das hier in diesem Abschnitt auftaucht, als Jesus die Bahre sieht, die Mutter und Witwe, allein, den toten jungen Mann… ›Als der Herr die Frau‹ – die Mutter – ›sah, hatte er Mitleid mit ihr.‹« Diese Anmerkung des Evangelisten sei grundlegend für das Verständnis: »Jesus hatte Mitleid«, er »hatte diese Fähigkeit, mit-zu-leiden. Er war nicht theoretisch, nein. Man kann sagen, er dachte mit dem Herzen. Er trennte den Kopf nicht vom Herzen, nein, er war ganz da.« Demütig, nahe bei den Menschen, voll Mitleid: All das »verlieh ihm Vollmacht, die Vollmacht des Hirten«.

Der Papst konzentrierte sich weiter auf diesen Aspekt und unterstrich »zwei Grundzüge dieses Mitleids«: die »Sanftmut« und die »Zärtlichkeit«. Im übrigen sei es Jesus selbst, der sage: »Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig.« Der Herr, erklärte Franziskus, »war sanftmütig, er schimpfte nicht. Er bestrafte die Leute nicht. Er war sanftmütig. Immer voller Güte.« Nicht, dass er nicht zornig geworden wäre: »Denken wir daran, als er den Tempel, das Haus seines Vaters, sah, das zu einem Shoppingcenter geworden war, um Sachen zu verkaufen«, mit Geldwechslern und allem Möglichen: »Dort wurde er zornig. Er machte eine Geißel aus Stricken und jagte sie alle weg. Aber weil er den Vater liebte, weil er demütig vor dem Vater war, hatte er diese Kraft. Und die Leute applaudierten. « Doch das grundsätzliche Merkmal Jesu habe in seiner »Milde« bestanden, »in jener Demut, die nicht aggressiv ist, die sanftmütig ist«.

Dann gebe es einen weiteren Grundzug, den der Zärtlichkeit. Dieser trete klar aus dem Bericht des Evangeliums hervor. Als Jesus die Witwe gesehen habe, habe er sich ihr genähert und gesagt: »Weine nicht!« Der Papst stellte sich die Szene vor und meinte, dass der Herr nicht einfach eine den Umständen entsprechende Haltung angenommen habe: »Nein. Er ist nähergekommen, vielleicht hat er ihre Schultern berührt, vielleicht hat er sie gestreichelt. ›Nicht weinen‹. Das ist Jesus.«

Und er »tut dasselbe mit uns, denn er ist nahe. Er ist mitten unter den Menschen. Er ist Hirte.« Auch die darauffolgende Szene sei bedeutsam: »›Er trat heran und berührte die Bahre. Die Träger blieben stehen. Dann sagte er: Jüngling, ich sage dir: Steh auf! Da setzte sich der Tote auf und begann zu sprechen.‹ Jesus wirkte das Wunder.« Auch hier trete die Nähe hervor. Jesus sage nicht einfach: »Feiert, lebt wohl.« Nein, er habe den jungen Mann genommen und »›ihn seiner Mutter zurückgegeben‹. Eine Geste der Zärtlichkeit «, derselben Zärtlichkeit, die sich in der Episode von Jaïrus finde. Nachdem Jesus das Mädchen auferweckt habe, habe er sich gesorgt: »Gebt ihr zu essen, sie hat Hunger.« Eindeutig trete »jene Zärtlichkeit« hervor, »die Dinge des Lebens zu kennen«.

So sei Jesus gewesen, »gütig und von Herzen demütig, nahe bei den Menschen, mit der Fähigkeit, mitzuleiden, mit Mitleid, und mit diesen beiden Grundzügen der Sanftmut und der Zärtlichkeit «. Franziskus unterstrich: »Was Jesus mit dem jungen Mann, mit der Mutter und Witwe getan hat, das tut er mit uns allen, mit einem jeden von uns, wenn er sich uns nähert.«

So werde im alltägliche Leben Jesu die wahre »Ikone des Hirten« gezeichnet. Der Papst erklärte: »Wir Hirten müssen also lernen: den Leuten nahe sein, nicht nahe bei Grüppchen von Mächtigen, von Ideologen… Diese vergiften uns die Seele, sie tun uns nicht gut! Der Hirte muss die Macht und Vollmacht haben, die Jesus hatte, jene der Demut, jene der Sanftmut, der Nähe, der Fähigkeit zum Mitleid, der Zärtlichkeit.« Eine Haltung, die auch in Momenten der Schwierigkeiten gelte.

Denn, so fragte sich Franziskus, »als für Jesus die Dinge schlecht liefen, was tat er? Dasselbe. Als die Leute ihn an jenem Karfreitag beschimpften und schrien: ›Kreuzigt ihn!‹, schwieg er, denn er hatte Mitleid mit jenen Leuten, die von den Mächtigen des Geldes, der Macht… getäuscht worden waren. Er schwieg und sagte nichts. Er betete.« Genauso »leidet der Hirte, opfert sein Leben und betet in den schwierigen Augenblicken, in den Momenten, in denen der Teufel tobt, wo der Hirte angeklagt wird, angeklagt vom Großen Ankläger durch die Leute, durch viele Mächtige«. Jesus habe nämlich gebetet: »Das Gebet trug er auch ans Kreuz, mit aller Stärke; und auch dort hatte er die Fähigkeit, sich der Seele des guten Schächers zu nähern und sie zu heilen.«

Zum Abschluss seiner Predigt lud Franziskus ein, diesen Abschnitt aus dem Lukasevangelium erneut zu lesen und dann für die Bischöfe zu beten: »Das Evangelium nehmen und lesen, und Jesus sehen, sehen, wo die Vollmacht Jesu liegt. Und um die Gnade bitten, dass wir alle, die Hirten, diese Vollmacht haben: eine Vollmacht, die eine Gnade des Heiligen Geistes ist.«

 



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