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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH MEXIKO
(12.-18. FEBRUAR 2016)

EUCHARISTIEFEIER

PREDIGT DES HEILIGEN VATERS 

Messegelände von Ciudad Juárez
Mittwoch, 17. Februar
2016

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»Gottes Ruhm ist der lebendige Mensch«, sagte der heilige Irenäus im 2. Jahrhundert – eine Aussage, die im Herzen der Kirche immer noch nachklingt. Der Ruhm des himmlischen Vaters ist das Leben seiner Kinder. Es gibt keinen größeren Ruhm für einen Vater als den, die Verwirklichung der Seinen zu sehen; es gibt keine größere Befriedigung, als zu sehen, wie sie vorankommen, wachsen und sich entfalten. Das bezeugt die erste Lesung, die wir gehört haben.

Ninive, eine große Stadt, war dabei, sich selbst zu zerstören, als Ergebnis von Unterdrückung und Entwürdigung, von Gewalt und Ungerechtigkeit. Die Tage dieser großen Hauptstadt waren gezählt, weil die Gewalt, die sich in ihr gebildet hatte, untragbar war. Da erscheint der Herr und bewegt das Herz des Jona, da erscheint der Vater, der seinen Boten auffordert und aussendet. Jona wird bestellt, um eine Aufgabe zu empfangen. Geh, sagt der Herr, denn »noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört« (Jona 3,4). Geh, hilf ihnen zu begreifen, dass das Einzige, was sie mit dieser Art zu handeln, sich zu verhalten und sich zu organisieren hervorbringen, Tod und Zerstörung, Leiden und Unterdrückung ist. Lass sie sehen, dass es für niemanden Leben gibt, weder für den König, noch für den Untertan, weder für die Ländereien, noch für das Vieh. Geh und verkünde, dass  sie sich derart an die Entwürdigung gewöhnt haben, dass sie die Sensibilität gegenüber dem Schmerz verloren haben. Geh und sag ihnen, dass die Ungerechtigkeit sich in ihrem Blick eingenistet hat. Darum geh, Jona! Gott sendet ihn, das offensichtlich zu machen, was geschah, er sendet ihn, ein Volk aufzuwecken, das trunken von sich selbst ist.

Und in diesem Text stehen wir vor dem Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit lehnt immer die Schlechtigkeit ab und nimmt zugleich den Menschen sehr ernst. Sie appelliert immer an die Güte jeder Person, auch wenn diese Güte eingeschlafen, betäubt ist. Weit davon entfernt, zu vernichten, wie wir es oft zu tun versuchen oder wünschen, nähert sich die Barmherzigkeit jeder Situation, um sie von innen her zu verwandeln. Genau das ist das Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit. Sie kommt in die Nähe, lädt zur Umkehr ein, lädt zur Reue ein; sie lädt dazu ein, den Schaden zu sehen, den man auf allen Ebenen verursacht. Die Barmherzigkeit dringt immer in das Schlechte ein, um es zu verwandeln. Das Geheimnis Gottes, unseres Vaters: Er sandte seinen Sohn, der sich in das Böse hinein begab, zur Sünde wurde (vgl. 2 Kor 5,21), um das Böse zu verwandeln. Das ist seine Barmherzigkeit.

Der König horchte auf, die Bewohner der Stadt reagierten, und es wurde eine Buße angeordnet. Die Barmherzigkeit Gottes drang in das Herz ein und enthüllte und bekundete, was unsere Gewissheit und unsere Hoffnung ist: Immer gibt es die Möglichkeit zur Kehrtwende; wir haben noch die Zeit, zu reagieren und das, was uns als Volk zerstört, das, was uns als Menschheit entwürdigt, zu verwandeln, umzubilden, zu ändern und umzukehren. Die Barmherzigkeit ermutigt uns, die Gegenwart in den Blick zu nehmen und auf das Gesunde und Gute zu vertrauen, das in jedem Herzen pulsiert. Die Barmherzigkeit Gottes ist unser Schild und unsere Festung (vgl. Ps 18,3; 144,2).

Jona half, die Augen zu öffnen, er fördert die Bewusstwerdung. Gleich darauf begegnet sein Ruf Männern und Frauen, die fähig sind zu bereuen, fähig zu weinen. Weinen über die Ungerechtigkeit, weinen über die Entwürdigung, weinen über die Unterdrückung. Die Tränen sind es, die zur Verwandlung führen können, die Tränen  können das Herz erweichen, die Tränen können den Blick läutern und helfen, den Kreislauf der Sünde zu sehen, in den man oft verstrickt ist. Den Tränen gelingt es, den Blick und die verhärtete – und besonders die eingeschlafene – Gesinnung zu sensibilisieren gegenüber dem Leiden anderer. Die Tränen können einen Bruch hervorrufen, der fähig ist, uns für die Umkehr zu öffnen. So geschah es dem Petrus, nachdem er Jesus verleugnet hatte: Er weinte, und die Tränen öffneten ihm das Herz

Dieses Wort ertöne heute mit Nachdruck unter uns; dieses Wort ist die Stimme, die in der Wüste ruft und uns zur Umkehr auffordert. In diesem Jahr der Barmherzigkeit möchte ich mit euch an diesem Ort die göttliche Barmherzigkeit anflehen, möchte ich mit euch die Gabe der Tränen erbitten, die Gabe der Umkehr.

Hier in Ciudad Juaréz wie in anderen Grenzgebieten kommen Tausende von Migranten aus Mittelamerika und anderen Ländern zusammen – nicht zu vergessen die vielen Mexikaner, die ebenfalls versuchen, „auf die andere Seite“ zu kommen. Ein Durchgang, ein Weg, der überhäuft ist mit schrecklichen Ungerechtigkeiten: Versklavt, verschleppt, erpresst, sind viele unserer Brüder und Schwestern die Ausbeute des Geschäftes des Menschentransports, des Menschenhandels.

Wir können die humanitäre Krise nicht leugnen, die in den letzten Jahren die Migration von Tausenden von Menschen bedeutet hat, die im Zug, auf der Straße und sogar zu Fuß Hunderte Kilometer durch Gebirge, Wüsten und unwirtliche Wege zogen. Diese menschliche Tragödie, die die Zwangsmigration darstellt, ist heutzutage ein globales Phänomen. Diese Krise, die man in Zahlen messen kann, wollen wir anhand von Namen, Geschichten und Familien ermessen. Es sind Brüder und Schwestern, die aufbrechen, vertrieben durch Armut und Gewalt, durch Drogenhandel und organisierte Kriminalität. Vor den vielen Gesetzeslücken streckt sich ein Netz aus, das immer die Ärmsten einfängt und zugrunde richtet. Sie leiden nicht nur unter der Armut, sondern müssen außerdem all diese Formen der Gewalt erleiden. Ungerechtigkeit, die sich bei den Jugendlichen radikalisiert: Wie „Kanonenfutter“ werden sie verfolgt und bedroht, wenn sie versuchen, aus der Spirale der Gewalt und der Hölle der Drogen auszubrechen. Und was soll man sagen über die vielen Frauen, denen man ungerechterweise ihr Leben genommen hat.

Erbitten wir vom Herrn die Gabe der Umkehr, die Gabe der Tränen; bitten wir ihn, dass wir wie die Einwohner von Ninive ein offenes Herz haben für seinen Ruf in Gestalt des leidenden Gesichtes so vieler Männer und Frauen. Nie mehr Tod, noch Ausbeutung! Es ist immer noch Zeit, etwas zu ändern, immer gibt es einen Ausweg und immer gibt es eine Gelegenheit, immer ist noch Zeit, um die Barmherzigkeit des Vaters zu erflehen.

Wie es zur Zeit des Jona geschah, so setzen wir auch heute auf die Umkehr; es gibt Zeichen, die Licht werden auf dem Weg und Ankündigung der Rettung. Ich weiß um die Arbeit vieler Organisationen der Zivilgesellschaft für die Rechte der Migranten. Ich weiß auch um die engagierte Arbeit vieler Ordensleute, Priester und Laien, die sich rückhaltlos einsetzen in der Begleitung und in der Verteidigung des Lebens. Sie helfen an vorderster Front und riskieren oft das eigene Leben. Mit ihrem Leben sind sie Propheten der Barmherzigkeit, sind sie das verständnisvolle Herz und die begleitenden Füße der Kirche, die ihre Arme öffnet und Unterstützung gewährt.

Es ist die Zeit der Umkehr, es ist die Zeit der Rettung, es ist die Zeit der Barmherzigkeit. Darum lasst uns gemeinsam mit dem Leiden so vieler Gesichter sprechen: „Gott, sei uns gnädig nach deiner Huld und nach deinem reichen Erbarmen […] mach uns rein von unseren Sünden […] erschaffe uns ein reines Herz und gib uns einen neuen Geist!“ (vgl. Ps 51,3.4b.12).

In diesem Moment möchte ich von hier aus auch unsere lieben Brüder und Schwestern grüßen, die uns zeitgleich auf der anderen Seite der Grenze begleiten, besonders diejenigen, die sich unter der Leitung ihres Bischofs Mark Seitz in dem als Sun Bowl bekannten Stadion der Universität von El Paso versammelt haben. Dank der technischen Unterstützung können wir gemeinsam beten, singen und diese barmherzige Liebe feiern, die der Herr uns schenkt, und in der keine Grenze uns an unserem Miteinander-Teilen hindern kann. Danke, Brüder und Schwestern in El Paso, dass ihr uns das Gefühl vermittelt habt, eine einzige Familie und ein und dieselbe christliche Gemeinde zu sein.   

 


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