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BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
ZUM WELTERNÄHRUNGSTAG 2013

 

An Herrn José Graziano da Silva,
Generaldirektor der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO)

1. Der Welternährungstag stellt uns vor eine der ernsthaftesten Herausforderungen für die Menschheit: die tragische Situation, in der noch immer Millionen hungernder und unterernährter Menschen leben, darunter viele Kinder. Das ist besonders schlimm in einer Zeit wie der unseren, die gekennzeichnet ist von einem nie dagewesenen Fortschritt in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft und immer größeren Kommunikationsmöglichkeiten.

Es ist ein Skandal, dass es immer noch Hunger und Unterernährung in der Welt gibt. Es geht nicht nur darum, auf unmittelbare Notlagen zu antworten, sondern sich gemeinsam auf allen Ebenen einem Problem zu stellen, das an unser persönliches und soziales Gewissen appelliert, um zu einer gerechten und dauerhaften Lösung zu gelangen. Niemand darf sich gezwungen sehen, sein Land und sein eigenes kulturelles Umfeld zu verlassen, weil ihnen die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel fehlen. In einer Zeit, in der die Globalisierung es erlaubt, Kenntnis zu erhalten von den Notsituationen in der Welt sowie Austausch und zwischenmenschliche Beziehungen zu vermehren, scheint paradoxerweise der Hang zum Individualismus und zum Verschließen in sich selbst zu wachsen. Dies führt auf persönlicher, institutioneller und staatlicher Ebene zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber jenen, die verhungern oder an Unterernährung leiden – gleichsam als handle es sich um eine unvermeidliche Tatsache. Hunger und Unterernährung dürfen jedoch niemals als etwas Normales betrachtet werden, an das man sich gewöhnen muss, so als wären sie Teil des Systems.

Es muss sich etwas in uns selbst ändern, in unserem Denken, in unseren Gesellschaften. Was können wir tun? Ich glaube, ein wichtiger Schritt besteht darin, mit Entschiedenheit die Mauern des Individualismus, des Verschließens in sich selbst, der Sklaverei des Profits um jeden Preis niederzureißen – und zwar nicht nur in der Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch in der globalen Dynamik von Wirtschaft und Finanz. Ich glaube, es ist heute notwendiger denn je, uns zur Solidarität zu erziehen, den Wert und die Bedeutung dieses so unbequemen Wortes, das oft beiseite gelassen wird, wiederzuentdecken und dafür zu sorgen, dass Solidarität in den Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene, in den Beziehungen zwischen den Personen, zwischen den Völkern und zwischen den Nationen zur Grundhaltung wird. Nur wenn man auf konkrete Weise solidarisch ist und egoistische Anschauungen und Einzelinteressen überwindet, kann man letztendlich auch das Ziel erreichen, Formen der Armut zu beseitigen, die vom Nahrungsmangel bestimmt sind. Diese Solidarität darf sich nicht auf die verschiedenen Formen der Hilfsleistungen beschränken, sondern muss darum bemüht sein sicherzustellen, dass immer mehr Menschen wirtschaftlich unabhängig sein können. In verschiedenen Ländern wurden viele Schritte unternommen, aber wir sind immer noch weit entfernt von einer Welt, in der alle mit Würde leben können.

2. Bei dem Thema, das die FAO in diesem Jahr für den Welternährungstag gewählt hat, geht es um »nachhaltige Nahrungssysteme für die Nahrungssicherheit und die Ernährung«. Ich sehe darin eine Einladung, über unsere Nahrungssysteme nachzudenken und sie aus dem Blickwinkel der Solidarität heraus zu erneuern, indem wir die Logik der unkontrollierten Ausbeutung der Schöpfung überwinden und unsere Pflicht, die Umwelt und ihre Ressourcen zu pflegen und zu bewahren, besser ausrichten, um die Nahrungssicherheit zu gewährleisten und uns in Richtung einer ausreichenden und gesunden Ernährung für alle zu bewegen. Das bringt eine ernsthafte Frage mit sich hinsichtlich der Notwendigkeit, unseren Lebensstil wirklich zu ändern, auch in Bezug auf die Ernährung, die in vielen Gebieten des Planeten geprägt ist durch Konsumdenken, Verschwendung und Vergeudung von Lebensmitteln. Die in diesem Zusammenhang von der FAO gelieferten Daten zeigen, dass etwa ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion nicht zur Verfügung steht aufgrund von Schäden und immer größerer Verschwendung. Es würde genügen, diese zu beseitigen, um die Zahl der Hungernden drastisch zu senken. Unsere Vorfahren haben uns gelehrt, den Wert dessen, was uns geschenkt wurde und was wir haben, als kostbare Gabe Gottes zu betrachten.

Die Vergeudung von Nahrungsmitteln ist jedoch nur eine Frucht der »Wegwerfkultur«, die oft sogar Männer und Frauen den Götzen des Profits und des Konsums opfert: ein trauriges Zeichen für die »Globalisierung der Gleichgültigkeit«, die uns langsam an das Leiden der anderen »gewöhnt « als wäre es normal. Die Herausforderung des Hungers und der Unterernährung hat nicht nur eine wirtschaftliche oder wissenschaftliche Dimension in Bezug auf die quantitativen und qualitativen Aspekte der Nahrungskette, sondern auch und vor allem eine ethische und anthropologische Dimension. Zur Solidarität erziehen bedeutet daher, uns zur Menschlichkeit zu erziehen: Eine Gesellschaft aufzubauen, die wirklich menschlich ist, bedeutet, stets die Person und ihre Würde in den Mittelpunkt zu stellen und sie nie an die Logik des Profits zu verschleudern. Der Mensch und seine Würde sind »Pfeiler zur Aufstellung von gemeinsamen, über rein pragmatische oder technische Ansätze hinausgehenden Regeln und Strukturen, die dazu in der Lage sind, bestehende Trennungen zu überwinden und existierende Unterschiede zu überbrücken« (Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer der 38. Sitzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, 20. Juni 2013; in O.R. dt., Nr. 29, 19.7.2013, S. 11) 3. Wir stehen bereits an der Schwelle zum Internationalen

Jahr, das auf Initiative der FAO der bäuerlichen Familie gewidmet sein wird. Das gibt mir Gelegenheit, ein drittes Element zur Reflexion anzubieten: die Erziehung zur Solidarität und zu einem Lebensstil, der die »Wegwerfgesellschaft« überwindet und wirklich jeden Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellt, wie es für die Familie kennzeichnend ist. Von ihr, der ersten Erziehungsgemeinschaft, lernt man, für den anderen, für das Wohl des anderen Sorge zu tragen, die Harmonie der Schöpfung zu lieben und ihre Früchte zu genießen und mit anderen zu teilen und dabei einen vernünftigen, ausgewogenen und nachhaltigen Konsum zu fördern. Die Familie zu unterstützen und zu schützen, damit sie zu Solidarität und Achtung erzieht, ist ein entscheidender Schritt in Richtung einer gerechteren und humaneren Gesellschaft.

Die katholische Kirche geht diesen Weg gemeinsam mit Ihnen, im Bewusstsein, dass die Liebe die Seele ihrer Sendung ist. Möge der heutige Welternährungstag nicht einfach nur ein jährlich wiederkehrendes Ereignis sein, sondern eine wahre Gelegenheit, uns selbst und die Institutionen zu ermahnen, einer Kultur der Begegnung und der Solidarität gemäß zu handeln, um angemessene Antworten auf das Problem des Hungers und der Unterernährung zu geben, ebenso wie auf andere Problematiken, die die Würde eines jeden Menschen betreffen. Während ich von Herzen meine besten Wünsche für eine immer effektivere Arbeit der FAO zum Ausdruck bringe, rufe ich auf Sie, Herr Generaldirektor, sowie auf alle, die an dieser grundlegenden Sendung teilhaben, den Segen des allmächtigen Gottes herab.

Aus dem Vatikan, am 16. Oktober 2013

FRANZISKUS

 



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