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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE ITALIENISCHE BISCHOFSKONFERENZ

Synodenaula
Montag, 20. Mai 2019

[Multimedia]


Liebe Brüder!

Ich danke euch für diese Begegnung, von der ich möchte, dass sie zu einem hilfreichen Augenblick für die pastorale Entscheidungsfindung über das Leben und die Sendung der italienischen Kirche wird. Ich danke euch auch für die Anstrengungen, die ihr täglich unternehmt, um die Sendung voranzubringen, die die Herr euch anvertraut hat, und dem Gottesvolk zu dienen mit und nach dem Herzen des guten Hirten.

Ich möchte heute zu euch erneut über einige Fragen sprechen, die wir in unseren vorherigen Begegnungen behandelt haben, um sie zu vertiefen und durch neue Fragen zu ergänzen und gemeinsam zu schauen, an welchem Punkt wir uns befinden. Ich werde euch anschließend das Wort erteilen, um Fragen, Zweifel, Inspirationen und Kritik an mich zu richten – all das, was ihr im Herzen tragt. Ich möchte über drei Punkte sprechen.

Anlässlich der 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode am 17. Oktober 2015 habe ich deutlich gemacht: Der »Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet«. Er ist »konstitutive Dimension der Kirche«, denn »was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort ›Synode‹ enthalten«.[1]

Auch im neuen Dokument der Internationalen Theologischen Kommission Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, das im Rahmen der Vollversammlung von 2017 entstanden ist, heißt es: »Die Synodalität deutet in diesem ekklesiologischen Kontext auf den spezifischenmodus vivendi et operandi der Kirche als Gottesvolk,  das seine Existenz als Gemeinschaft und Weggemeinschaft manifestiert und konkretisiert, indem es in der Versammlung zusammenkommt und indem alle seine Mitglieder aktiv an seinem Auftrag der Evangelisierung teilnehmen.« Weiter heißt es dort: »Während die Idee der Synodalität auf die Beteiligung des ganzen Gottesvolkes am Leben und an der Sendung der Kirche verweist, präzisiert der Begriff der Kollegialität die theologische Bedeutung und die Form der Ausübung des Bischofsamtes im Dienst der Partikularkirche, die der pastoralen Sorge eines jeden anvertraut ist, und in der Gemeinschaft der Partikularkirchen im Leib der einen und universalen Kirche Christi, durch die hierarchische Gemeinschaft des Bischofskollegiums mit dem Bischof von Rom. Die Kollegialität ist insofern eine spezifische Form, in der sich die kirchliche Synodalität manifestiert und realisiert, und zwar durch das Bischofsamt auf der Ebene der Gemeinschaft der Partikularkirchen einer Region und auf der Ebene der Gemeinschaft aller Kirchen in der Universalkirche. Jede authentische Manifestation von Synodalität erfordert daher wesentlich die Ausübung durch das kollegiale Bischofsamt.«[2]

Ich freue mich daher, dass eure Versammlung dieses Thema vertiefen wollte, das in Wirklichkeit die ›Krankenakte‹ des Gesundheitszustands der italienischen Kirche sowie eures pastoralen und kirchlichen Wirkens beschreibt. Es könnte hilfreich sein, sich in diesem Kontext der eventuell mangelnden Kollegialität und Beteiligung an der Führung der Italienischen Bischofskonferenz sowohl in der Festlegung der Pastoralpläne als auch in den programmatischen wirtschaftlichen und finanziellen Bemühungen zu stellen.

Was die Synodalität betrifft, auch im Zusammenhang einer eventuellen Synode über die italienische Kirche – ich habe darüber neulich ein »Gerücht« gehört, das bis nach Santa Marta vorgedrungen ist! –, so gibt es zwei Richtungen: die Synodalität von unten nach oben, also die Sorge um die Existenz und das gute Funktionieren der Diözesen: die Räte, die Pfarreien, die Beteiligung der Laien… (vgl. CIC, 469-494). Bei den Diözesen beginnen: Man kann keine große Synode abhalten, ohne an die Basis zu gehen. Das ist die Bewegung von unten nach oben – und die Wertschätzung der Rolle der Laien. Und dann die Synodalität von oben nach unten, gemäß meiner Ansprache an die Kirche in Italien auf dem 5. Nationalen Kongress in Florenz am 10. November 2015, die immer noch gültig ist und uns auf diesem Weg begleiten muss. Wenn man daran denkt, eine Synode über die Kirche in Italien abzuhalten, dann muss man von unten nach oben beginnen, und von oben nach unten mit dem Dokument von Florenz. Und das wird Zeit brauchen, aber man wird auf sicherem Boden wandeln, nicht auf Ideen.

2 – Die Reform der Eheverfahren Wir ihr wisst, wurden durch die beiden 2015 veröffentlichten Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus und Mitis et Misericors Iesus die Eheverfahren »ex integro« neu geordnet und drei Arten von Verfahren eingeführt: »ordentliche« Verfahren, »kürzere« Verfahren und Verfahren »aufgrund von Urkunden«.

Die Notwendigkeit, die Verfahren zu beschleunigen, hat dazu geführt, das ordentliche Verfahren zu vereinfachen, durch die Abschaffung der verbindlichen doppelten, übereinstimmenden Entscheidung. Von nun an wird, wenn innerhalb der vorgesehenen Zeit keine Berufung erfolgt, das erste Urteil, das die Nichtigkeit der Ehe erklärt, rechtskräftig. Außerdem gibt es noch die andere Form des Verfahrens: das »kürzere«.

»Diese Form des Verfahrens soll in jenen Fällen zur Anwendung kommen, in denen die vorgebrachte Ehenichtigkeit vom gemeinsamen Gesuch der Ehepartner getragen, die Argumente offensichtlich und die Beweise für die Nichtigkeit der Ehe rasch zu erbringen sind. Durch das an den Bischof gerichteten Gesuch und das vom Gerichtsvikar oder von einem Untersuchungsrichter angestrengten Verfahren kommt die endgültige Entscheidung über die Nichtigkeitserklärung oder die Vertagung des Anliegens auf das ordentliche Verfahren dem Bischof selbst zu, der – kraft seines Hirtenamts – mit Petrus der größte Garant der katholischen Einheit im Glauben und in der Disziplin ist. Sowohl das ordentliche als auch das kürzere Verfahren sind jedoch Verfahren rein gerichtlicher  Natur, was bedeutet, dass die Ehenichtigkeit nur dann erklärt werden kann, wenn der Richter die moralische Gewissheit erlangt, aufgrund der Urkunden und der gesammelten Beweise.«[3]

Das »kürzere« Verfahren hat daher eine neue Typologie eingeführt: die Möglichkeit, sich an den Bischof als Oberhaupt der Diözese zu wenden und ihn zu bitten, in einigen Fällen persönlich zu urteilen, in den Fällen, in denen die Nichtigkeit offensichtlich ist. Und zwar weil die pastorale Dimension des Bischofs auch die persönliche richterliche Funktion einschließt und erfordert.

Das zeigt nicht nur die Nähe des Diözesanhirten zu seinen Gläubigen, sondern auch die Gegenwart des Bischofs als Zeichen Christi, Sakrament des Heils. Daher müssen der Bischof und der Metropolit durch einen Verwaltungsakt zur Errichtung des diözesanen Gerichtshofes fortschreiten, wenn dieser noch nicht errichtet sein sollte. Falls es Schwierigkeiten gibt, können sie auch auf einen diözesanen oder interdiözesanen Gerichtshof zurückgreifen. Das ist wichtig. Diese Verfahrensreform gründet auf Nähe und Unentgeltlichkeit. Die Nähe zu den verletzten Familien bedeutet, dass das Urteil so weit wie möglich in der Diözesankirche gefällt werden muss, ohne Zögern und ohne unnötigen Aufschub.

Der Begriff der Unentgeltlichkeit verweist auf das Gebot aus dem Evangelium, nachdem man umsonst empfangen hat und umsonst geben soll (vgl. Mt 10,8). Es verlangt also, dass die kirchliche Nichtigkeitserklärung keine hohen Kosten mit sich bringt, die weniger begüterte Menschen nicht aufbringen können. Das ist sehr wichtig.

Ich weiß gut, dass ihr in der 71. Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz und durch verschiedene Mitteilungen[4] eine Aktualisierung über die Reform der Verwaltung der kirchlichen Gerichtshöfe in Bezug auf die Ehe vorgesehen habt. Ich stelle jedoch mit Bedauern fest, dass die Reform nach über vier Jahren im Großteil der italienischen Diözesen noch weit davon entfernt ist, angewandt zu werden.

Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit, dass das von mir im Dezember 2015 erlassene Reskript das Motu proprio Qua cura (1938) von Pius XI., durch das die regionalen kirchlichen Gerichtshöfe in Italien errichtet wurden, aufgehoben hat. Daher hoffe ich aufrichtig, dass die Anwendung der beiden oben erwähnten Motu proprio seine volle und unmittelbare Anwendung finden möge in allen Diözesen, in denen dies noch nicht geschehen ist.

In diesem Zusammenhang, liebe Mitbrüder, dürfen wir nie vergessen, dass der Antrieb zur Reform des kanonischen Eheverfahrens, das – wie bereits erwähnt – von Nähe, Zügigkeit und Unentgeltlichkeit des Vorgehens geprägt sein muss, darauf ausgerichtet ist zu zeigen, dass die Kirche Mutter ist und ihr das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. In diesem Fall sind dies jene, die von der Wunde einer zerbrochenen Liebe gezeichnet sind. Daher müssen alle Mitarbeiter des Gerichtshofes, jeder für seinen Teil und seinen Zuständigkeitsbereich, dafür sorgen, dass dies verwirklicht wird, und dürfen daher nichts anderes vorziehen, das die Anwendung der Reform verhindern oder verlangsamen könnte, welcher Natur oder welchen Interesse es auch immer sein mag.

Das gute Gelingen der Reform erfolgt notwendigerweise durch eine Umkehr der Strukturen und der Personen; daher dürfen wir nicht zulassen, dass die wirtschaftlichen Interessen einiger Anwälte oder die Angst einiger Gerichtsvikare, die Macht zu verlieren, die Reform bremsen oder verzögern. Die Beziehung zwischen uns Bischöfen und unseren Priestern stellt unbestreitbar eine der lebenswichtigsten Fragen im Leben der Kirche dar. Sie ist das Rückgrat, auf das die Diözesangemeinschaft sich stützt. Ich zitiere die weisen Worte seiner Eminenz Kardinal Bassetti, der schrieb: »Wenn diese Beziehung Schaden nehmen sollte, dann würde der ganze Leib dadurch geschwächt. Und auch die Botschaft würde dadurch letztlich schwächer werden.«[5]

Der Bischof ist der Hirte, das Zeichen der Einheit für die ganze Diözesankirche, der Vater und der Leiter für seine Priester und für die ganze Gemeinschaft der Gläubigen; er hat die unabdingbare Aufgabe, seine Beziehung zu seinen Priestern »in primis« und aufmerksam zu pflegen. Einige Bischöfe tun sich leider schwer, annehmbare Beziehungen zu ihren eigenen Priestern aufzubauen, und laufen so Gefahr, ihrer Sendung Schaden zuzufügen und sogar die Sendung der Kirche selbst zu schwächen.

Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt uns, dass die Priester in Einheit mit ihrem Bischof ein einziges Presbyterium bilden (vgl. Konstitution Lumen gentium, 28). Das bedeutet, dass es keinen Bischof ohne sein Presbyterium und seinerseits auch kein Presbyterium ohne eine gesunde Beziehung »cum episcopo« gibt. Auch im Konzilsdekret Christus Dominus heißt es: »Es haben […] alle Priester, die Diözesan- wie die Ordensgeistlichen, mit dem Bischof an dem einen Priestertum Christi und dessen Ausübung Anteil und werden so zu umsichtigen Mitarbeitern des Bischofsstandes bestellt. […] Daher bilden sie ein einziges Presbyterium und eine einzige Familie, deren Vater der Bischof ist« (Nr. 28).

Die solide Beziehung zwischen dem Bischof und seinen Priestern gründet auf der bedingungslosen Liebe, die Jesus am Kreuz bezeugt hat und die die einzige wahre Verhaltensregel für den Bischof und seine Priester darstellt. In Wirklichkeit sind die Priester unsere engsten Mitarbeiter und Brüder. Sie sind der nächste Nächste! Sie gründet auch auf der gegenseitigen Achtung, die die Treue zu Christus zum Ausdruck bringt, die Liebe zur Kirche, die Treue zur Frohbotschaft.

Die hierarchische Gemeinschaft bricht in Wahrheit dann zusammen, wenn sie von irgendeiner Form der Macht oder der persönlichen Selbstverwirklichung infiziert wird; sie wird dagegen gestärkt und wächst, wenn sie vom Geist der völligen Hingabe und des Dienstes am Gottesvolk umfangen wird.

Wir Bischöfe haben die Pflicht der Gegenwart und Nähe zum christlichen Volk, insbesondere aber zu unseren Priestern, ohne Diskriminierungen und ohne Bevorzugungen. Ein wahrer Hirte lebt inmitten seiner Herde und seiner Priester und weiß, wie er alle ohne Vorurteile anhören und annehmen kann. Wir dürfen nicht in die Versuchung geraten, uns nur den sympathischen oder schmeichlerischen Priestern anzunähern und jene zu meiden, die dem Bischof zufolge unsympathisch und zu freimütig sind; alle Verantwortungen den immer bereiten oder »karrieresüchtigen« Priestern zu übertragen und die introvertierten oder sanftmütigen oder schüchternen oder problematischen Priester zu entmutigen. Vater aller seiner Priester zu sein; Interesse zu zeigen und nach allen zu suchen; alle zu besuchen; dafür zu sorgen, dass jeder sich von seinem Bischof wertgeschätzt und ermutigt fühlt. Konkret gesagt: Wenn der Bischof den Ruf eines Priesters erhält, soll er am selben Tag oder spätestens am folgenden Tag antworten, damit jener Priester weiß, dass er einen Vater hat.

Liebe Mitbrüder, unsere Priester fühlen sich beständig von den Medien angegriffen und oft lächerlich gemacht oder verurteilt aufgrund von Fehlern oder Verbrechen einiger ihrer Kollegen und müssen in ihrem Bischof wirklich die Gestalt des älteren Bruders und des Vaters finden, der sie in schwierigen Zeiten ermutigt; sie zum geistlichen und menschlichen Wachstum anregt; sie in Augenblicken des Scheiterns aufrichtet; sie liebevoll zurechtweist, wenn sie Fehler machen; sie tröstet, wenn sie sich allein fühlen; ihnen aufhilft, wenn sie fallen. Das erfordert vor allem Nähe zu unseren Priestern, die die Tür des Bischofs und sein Herz immer offen finden müssen. Es erfordert, ein Bischof zu sein, der Vater ist, ein Bischof, der Bruder ist!

Liebe Brüder, ich wollte diese drei Themen mit euch teilen, als Anregung zur Reflexion. Jetzt überlasse ich euch das Wort und danke euch im Voraus für die Aufrichtigkeit und die Offenheit. Und vielen Dank!


[1] AAS 107 (2015), 1139; in O.R. dt., Nr. 44, S. 7.

[2] Internationale Theologische Kommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 215, Bonn 2018, S. 12-13.

[3] Hilfsmittel zur Anwendung des Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus: http://www. rotaromana.va/content/dam/rotaromana/documenti/Sussidio/Sussidio%20Mitis%20Iudex% 20Dominus%20ITA.pdf

[4] https://giuridico.chiesacattolica.it/il-motuproprio-mitis-iudex-dominus-iesus-e-la-riformadei-processi-matrimoniali-2/

[5] »Il rapporto tra il vescovo e i suoi preti per servire il popolo di Dio«: L’Osservatore Romano, 7. März 2015.

 

 



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