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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 19. Oktober 2005

 

Lesung: Psalm 130,1–6

1 Bitte in tiefer Not [Ein Wallfahrtslied.] Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir:
2 Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen!
3 Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?
4 Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient.
5 Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele, ich warte voll Vertrauen auf sein Wort.
6 Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen. Mehr als die Wächter auf den Morgen
7 soll Israel harren auf den Herrn. Denn beim Herrn ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle.
8 Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden.

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Soeben wurde einer der bekanntesten und beliebtesten Psalmen der christlichen Tradition vorgetragen. Er wird nach seinen lateinischen Anfangsworten »De profundis« genannt. Mit dem »Miserere« ist er in der Volksfrömmigkeit einer der bevorzugten Bußpsalmen geworden.

Abgesehen von seiner Verwendung bei Begräbnissen, ist der Text vor allem ein Lied, das der göttlichen Barmherzigkeit und der Versöhnung zwischen dem Sünder und dem Herrn gewidmet ist, einem gerechten Gott, der aber immer bereit ist, sich als »ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue« zu erweisen. »Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg« (Ex 34,6–7). Gerade aus diesem Grund ist unser Psalm in die Vesperliturgie von Weihnachten und der ganzen Weihnachtsoktav aufgenommen, ebenso in die vom IV. Ostersonntag und vom Hochfest der Verkündigung des Herrn.

2. Psalm 130 beginnt mit einem Ruf, der aus der Tiefe des Bösen und der Schuld aufsteigt (vgl. V. 1–2). Das Ich des Beters wendet sich an den Herrn und spricht: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.« Der Psalm entfaltet sich dann in drei Abschnitten, die dem Thema Sünde und Vergebung gewidmet sind. Man wendet sich vor allem an Gott, der direkt mit Du angesprochen wird: »Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen? Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient« (V. 3–4).

Bedeutsam ist die Tatsache, daß die Ehrfurcht, eine aus Achtung und Liebe bestehende Haltung, nicht von der Strafe, sondern von der Vergebung hervorgerufen wird. Es ist nicht der Zorn Gottes, sondern seine großmütige und entwaffnende Hochherzigkeit, die in uns eine heilige Ehrfurcht weckt. Denn Gott ist kein unerbittlicher Herrscher, der den Schuldigen verdammt, sondern ein liebevoller Vater, den wir nicht aus Furcht vor einer Strafe, sondern wegen seiner Güte lieben sollen, die zur Vergebung bereit ist.

3. Im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts steht das Ich des Beters, der sich nicht mehr an den Herrn wendet, aber von ihm spricht: »Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele, ich warte voll Vertrauen auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen« (V. 5–6). Jetzt erwachen im Herzen des reumütigen Psalmisten die Erwartung, die Hoffnung, die Gewißheit, daß Gott ein befreiendes Wort sprechen und die Sünde tilgen wird.

Der dritte und letzte Abschnitt im Verlauf des Psalms weitet sich auf ganz Israel aus, auf das Volk, das oft sündigt und sich der Notwendigkeit der heilbringenden Gnade Gottes bewußt ist: »Israel soll harren auf den Herrn. Denn beim Herrn ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle. Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden« (V. 7–8).

Das persönliche Heil, um das der Beter zuerst gefleht hat, schließt jetzt die ganze Gemeinschaft mit ein. Der Glaube des Psalmisten wird in den geschichtlichen Glauben des Bundesvolkes eingepflanzt, das der Herr nicht nur aus den Bedrängnissen der ägyptischen Sklaverei, sondern auch »von all seinen Sünden« erlöst hat. Wir glauben, daß das erwählte Volk, das Volk Gottes nun wir sind. Unser Glaube fügt uns in den gemeinsamen Glauben der Kirche ein. Und auf diese Weise schenkt er uns die Gewißheit, daß Gott uns voll Güte zugetan ist und uns von unserer Schuld befreit.

Ausgehend von der tiefen Finsternis der Sünde, steigt die Bitte des »De profundis« auf zum hellen Horizont Gottes, wo »Erbarmen und Erlösung« herrschen, zwei wunderbare Eigenschaften Gottes, der die Liebe ist.

4. Widmen wir uns jetzt der Meditation, die die christliche Tradition zu diesem Psalm entfaltet hat. Wir wählen das Wort des hl. Ambrosius in seinen Schriften, wo er oft die Motive nennt, die den Impuls dazu geben, Gott um Vergebung zu bitten.

»Wir haben einen guten Herrn, der allen vergeben will«, schreibt er im Traktat über die Buße, und er fügt hinzu: »Wenn du Rechtfertigung erlangen willst, bekenne deine Missetat: ein demütiges Sündenbekenntnis löst das Gewirr der Schuld … Du erkennst, mit welcher Hoffnung auf Vergebung es dich drängt zu beichten« (2,6,40–41: Sancti Ambrosii Episcopi Mediolanensis OperaSAEMO, XVII, Mailand/Rom 1982, S. 253).

In der Auslegung des Lukasevangeliums wiederholt der Bischof von Mailand diese Einladung und drückt das Staunen über die Gaben aus, die Gott zusammen mit seiner Vergebung austeilt: »Sieh, wie gut Gott ist und wie er bereit ist, die Sünden zu vergeben. Er gibt nicht nur das zurück, was er genommen hat, sondern er macht auch unverhoffte Geschenke.« Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, war stumm geworden, weil er dem Engel nicht geglaubt hatte, aber dann hat Gott ihm vergeben und ihm im Gesang des Benedictus die Gabe des prophetischen Redens gegeben: »Er, der vor kurzem stumm war, weissagt jetzt bereits«, schreibt Ambrosius, »das ist eine der größten Gnaden des Herrn, daß gerade diejenigen, die ihn verleugnet hatten, ihn jetzt bekennen. Deshalb soll niemand den Mut verlieren, niemand an der göttlichen Belohnung zweifeln, auch wenn ihn die früheren Sünden quälen. Gott ändert seine Meinung, wenn du die Schuld berichtigst« (2,33: SAEMO, XI, Mailand/Rom 1978, S. 175).


„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ Mit diesen Worten beginnt Psalm 130, auf den die heutige Katechese Bezug nimmt. Der wahre Tiefpunkt im Leben eines Menschen ist die Sünde. Sie erniedrigt ihn und entfernt ihn von Gott. In dieser Situation ruft der Sünder im Psalm Gottes Erbarmen an.

Eine nur oberflächliche Betrachtung des moralischen Versagens kann dazu verleiten, so zu leben, als müßten wir für unser Tun nicht Rechenschaft ablegen. Kein Mensch kann sich indes dem Urteil Gottes entziehen. Um Verzeihung bitten heißt: unser Geringsein vor Gott anerkennen. Andererseits kann schwere Schuld auch dazu führen, an Gottes Güte und Barmherzigkeit zu zweifeln. Das Psalmwort stiftet hier neues Vertrauen: Beim Herrn ist Vergebung. Sein Erbarmen ist grenzenlos für den Menschen, der seine Schuld bereut.

***

Gerne heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Besonders grüße ich heute die katholischen Rundfunkbeauftragten bei verschiedenen deutschen Sendern, Mitglieder der Marianischen Männerkongregation Regensburg und eine Delegation der Militärakademie Wiener Neustadt. Laßt euch von der erbarmenden Liebe Gottes berühren! Das demütige Bekenntnis unserer Schuld und die Vergebung durch Gott erneuern unser Leben. Euch allen wünsche ich eine tiefe Erfahrung der Güte und Liebe unseres Herrn Jesus Christus sowie einen erholsamen Aufenthalt in Rom.

 

© Copyright 2005 - Libreria Editrice Vaticana

 



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