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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch , 20. Februar 2008

 

Petersdom

Mit Freude grüße ich die Audienzteilnehmer aus den Ländern deutscher Sprache hier im Petersdom. Die Fastenzeit, die österliche Bußzeit, bietet eine gute Gelegenheit, den Weg der Umkehr entschieden weiterzugehen und sich um eine geistliche Erneuerung zu bemühen für eine Neubelebung des Glaubens und unserer Beziehung zu Gott sowie für einen großherzigen Einsatz im Geist des Evangeliums. Die Liebe ist der Lebensstil, der den glaubenden Menschen auszeichnet. Werdet nicht müde, überall Zeugnis für die Nächstenliebe zu geben. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt hier in Rom.

Audienzenhalle

Einen frohen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Unter ihnen grüße ich besonders die Kirchenrechtsstudenten der Universitäten München, Augsburg und Potsdam. In seinen Schriften zeigt uns Augustinus auch heute den Weg, den Glauben tiefer zu verstehen. Wenn man sie liest, sieht man, daß der Glaube der gleiche geblieben ist und immerfort Gegenwart ist, die uns auch heute den Weg zeigt. So sollen wir wie er nicht müde werden, Gott immer neu zu suchen, um ihn dann auch immer mehr zu lieben und seine Zeugen zu sein. Von Herzen segne ich euch alle.

* * *

 

Der Hl. Augustinus (4)

Liebe Brüder und Schwestern!

Nach der kurzen Unterbrechung durch die Exerzitien in der vergangenen Woche kommen wir heute zur großen Gestalt des hl. Augustinus zurück, über den ich bereits mehrmals in den Mittwochskatechesen gesprochen habe. Er ist der Kirchenvater, der die größte Zahl an Werken hinterlassen hat, und über diese will ich heute kurz sprechen. Einige Schriften des Augustinus sind von grundlegender Bedeutung, und dies nicht nur für die Geschichte des Christentums, sondern für die Entwicklung der gesamten abendländischen Kultur: das deutlichste Beispiel sind die Confessiones, zweifellos eines der meistgelesenen Bücher der christlichen Antike. Wie verschiedene Kirchenväter der ersten Jahrhunderte, aber in unvergleichlich größerem Ausmaß, übte auch der Bischof von Hippo in der Tat einen weitreichenden und anhaltenden Einfluß aus, wie schon aus der überreichen Handschriftenüberlieferung seiner Werke deutlich wird, die wirklich sehr zahlreich sind.

Er selbst hat einige Jahre vor seinem Tod in den Retractationes eine Übersicht seiner Schriften erstellt, und kurz nach seinem Tod wurden sie sorgfältig in dem Indiculus (»Verzeichnis«) aufgeführt, den sein treuer Freund Possidius der Biographie des hl. Augustinus Vita Augustini beifügte. Das Verzeichnis der Werke des Augustinus wurde mit der ausdrücklichen Absicht angelegt, deren Gedächtnis zu bewahren, während sich die Invasion der Vandalen im ganzen römischen Afrika ausbreitete, und es führt gut 1030 Schriften an, die von ihrem Verfasser numeriert worden waren; dazu kommen weitere Schriften, »die nicht gezählt werden können, weil er sie mit keiner Zahl versehen hat«. Als Bischof einer benachbarten Stadt diktierte Possidius diese Worte in Hippo – wohin er geflohen war und wo er beim Sterben des Freundes zugegen war – und stützte sich dabei sicherlich auf den Katalog der persönlichen Bibliothek des Augustinus. Heute sind noch über 300 Briefe des Bischofs von Hippo und fast 600 Predigten erhalten, aber ursprünglich war die Zahl der Predigten viel, viel größer, vielleicht sogar zwischen 3000 und 4000 – Frucht von 40 Jahren Predigttätigkeit des ehemaligen Rhetors, der sich entschlossen hatte, Jesus zu folgen und nicht mehr zu den Großen des Kaiserhofes zu sprechen, sondern zum einfachen Volk von Hippo.

Noch in den letzten Jahren haben die Entdeckungen einer Reihe von Briefen und einiger Predigten unsere Kenntnis dieses großen Kirchenvaters bereichert. »Viele Bücher« – schreibt Possidius – »wurden von ihm verfaßt und veröffentlicht, viele Predigten wurden in der Kirche gehalten, niedergeschrieben und verbessert, sei es, um die verschiedenen Häretiker zu widerlegen, sei es, um die Heilige Schrift zur Erbauung der heiligen Söhne der Kirche auszulegen. Von diesen Werken« – hebt der befreundete Bischof hervor – »gibt es so viele, daß ein Gelehrter kaum in der Lage ist, sie alle zu lesen und kennenzulernen« (Vita Augustini, 18,9).

Im literarischen Schaffen des Augustinus – also mehr als 1000 Veröffentlichungen, die in philosophische, apologetische, lehrmäßige, moralische, monastische, exegetische und gegen die Irrlehren gerichtete Schriften unterteilt sind, und dazu noch die Briefe und Predigten – ragen einige außergewöhnliche Werke von großem theologischen und philosophischen Geist hervor. Zu erinnern ist vor allem an die schon erwähnten Confessiones, die in dreizehn Büchern zwischen 397 und 400 zum Lob Gottes geschrieben worden sind. Sie sind eine Art Autobiographie in Form eines Dialogs mit Gott. Diese literarische Gattung spiegelt das Leben des hl. Augstinus wider, das weder ein in sich verschlossenes noch ein in viele Dinge zerstreutes Leben war, sondern ein Leben, das im wesentlichen als Dialog mit Gott gelebt wurde und so ein Leben mit den anderen war. Schon der Titel Confessiones/Bekenntnisse verweist auf den besonderen Charakter dieser Autobiographie. Dieses Wort »confessiones« hat im christlichen Latein, das sich aus der Tradition der Psalmen entwickelt hat, zwei Bedeutungen, die jedoch eng miteinander verbunden sind. »Confessiones« besagt an erster Stelle das Bekenntnis der eigenen Schwächen, des Elends der Sünden; aber gleichzeitig bedeutet »confessiones« Lob Gottes, Anerkennung Gottes. Die eigene Armseligkeit im Licht Gottes zu sehen, wird zum Lob Gottes und zum Dank, daß Gott uns liebt und annimmt, daß er uns verwandelt und uns zu sich selbst erhebt. Über diese Confessiones, die schon während des Lebens des hl. Augustinus großen Erfolg hatten, schrieb er selbst: »Sie haben auf mich, während ich sie schrieb, eine solche Wirkung ausgeübt und sie üben sie noch immer aus, wenn ich sie wieder lese. Es gibt viele Brüder, denen diese Werke gefallen« (Retractationes, II,6): Und ich muß sagen, daß auch ich einer von diesen »Brüdern« bin. Und dank der Confessiones können wir Schritt für Schritt den inneren Weg dieses außerordentlichen und leidenschaftlich für Gott entflammten Mannes verfolgen. Weniger verbreitet, aber ebenso originell und sehr wichtig sind sodann die Retractationes, die um das Jahr 427 in zwei Büchern verfaßt wurden, in denen der hl. Augustinus nun als alter Mann ein Werk der »Durchsicht« (»retractatio«) seines gesamten geschriebenen Werkes vollzieht und so ein einzigartiges und sehr wertvolles literarisches Dokument, aber auch eine Lehre von Aufrichtigkeit und intellektueller Demut hinterläßt.

De civitate Dei – ein eindrucksvolles und für die Entwicklung des abendländischen politischen Denkens und für die christliche Geschichtstheologie entscheidendes Werk – wurde zwischen 413 und 426 in 22 Büchern geschrieben. Der Anlaß war die Plünderung Roms durch die Goten im Jahr 410. Viele noch lebende Heiden, aber auch viele Christen hatten gesagt: Rom ist gefallen, jetzt können der christliche Gott und die Apostel die Stadt nicht schützen. Während der Gegenwart der heidnischen Gottheiten war Rom »caput mundi«, die große Hauptstadt, und niemand hätte gedacht, daß sie jemals in die Hände der Feinde fallen würde. Jetzt, mit dem christlichen Gott, schien diese große Stadt nicht mehr sicher. Der Gott der Christen schützte also nicht, er konnte nicht der Gott sein, dem man sich anvertrauen kann. Auf diesen Einwand, der auch das Herz der Christen tief berührte, antwortet der hl. Augustinus mit diesem großartigen Werk, dem De civitate Dei, und klärt damit, was wir uns von Gott erwarten sollen und was nicht, wie das Beziehungsverhältnis zwischen der politischen Sphäre und der Sphäre des Glaubens, der Kirche, aussieht. Auch heute ist dieses Buch eine Quelle, um die wahre »Laicità« und die Zuständigkeit der Kirche, die große wahre Hoffnung, die uns der Glaube schenkt, richtig zu bestimmen.

Dieses große Buch ist eine Darlegung der Menschheitsgeschichte, die von der göttlichen Vorsehung gelenkt, aber gegenwärtig von zwei Arten der Liebe gespalten wird. Und das ist der zugrundeliegende Plan, seine Auslegung der Geschichte, die der Kampf zwischen den zwei Arten der Liebe ist: Eigenliebe »bis hin zur Gleichgültigkeit gegenüber Gott« und Gottesliebe »bis hin zur Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst« (De civitate Dei, XIV,28), bis hin zur vollen Freiheit von sich selbst für die anderen im Licht Gottes. Das also ist vielleicht das größte Buch des hl. Augustinus und von bleibender Wichtigkeit. Ebenso wichtig ist De Trinitate, ein Werk in 15 Büchern über den Wesenskern des christlichen Glaubens, den Glauben an den dreieinigen Gott, das in zwei Zeitabschnitten geschrieben wurde: zwischen 399 und 412 die ersten zwölf Bücher, die ohne Wissen des Augustinus veröffentlicht wurden, der sie um das Jahr 420 vervollständigte und das gesamte Werk revidierte. Hier denkt er über das Antlitz Gottes nach und versucht, dieses Geheimnis des Gottes zu verstehen, der der eine ist, der eine Schöpfer der Welt, Schöpfer von uns allen, und dennoch ist gerade dieser eine Gott dreifaltig, ein Kreis der Liebe. Er versucht, das unergründliche Geheimnis zu begreifen: gerade das dreifaltige Sein in drei Personen ist die wirklichste und tiefste Einheit des einen Gottes. Die Schrift De doctrina Christiana hingegen ist eine regelrechte kulturelle Einführung in die Auslegung der Bibel und letztlich in das Christentum selbst, das entscheidende Bedeutung bei der Herausbildung der abendländischen Kultur gehabt hat.

Trotz all seiner Demut war sich Augustinus gewiß seines intellektuellen Formats bewußt. Aber wichtiger als große Werke von außergewöhnlicher theologischer Weite zu verfassen, war es für ihn, die christliche Botschaft den einfachen Menschen zu bringen. Diese seine tiefste Absicht, die sein ganzes Leben geleitet hat, tritt in einem Brief an seinen Mitbruder Evodius zutage, wo er diesem die Entscheidung mitteilt, für den Augenblick das Diktieren der Bücher des Werkes De Trinitate zu unterbrechen, »da sie zu anstrengend sind, und ich denke, daß sie von wenigen verstanden werden können; deshalb sind mehr Texte dringend nötig, die hoffentlich vielen nützlich sein werden« (Epistulae, 169,1,1). Es war also für ihn nützlicher, den Glauben in verständlicher Weise allen mitzuteilen als große theologische Werke zu schreiben. Die scharfsinnig wahrgenommene Verantwortung gegenüber der Verbreitung der christlichen Botschaft liegt dann Schriften zugrunde wie De catechizandis rudibus, eine Theorie und auch Praxis der Katechese, oder Psalmus contra partem Donati. Die Donatisten waren das große Problem im Afrika des hl. Augustinus, ein ganz bewußt afrikanisches Schisma. Sie behaupteten: die wahre Christenheit ist die afrikanische. Sie widersetzten sich der Einheit der Kirche. Gegen dieses Schisma hat der große Bischof sein ganzes Leben lang gekämpft, während er versuchte, die Donatisten davon zu überzeugen, daß nur in der Einheit auch die Afrikanität wahr sein kann. Und um von den einfachen Menschen verstanden zu werden, die das großartige Latein des Rhetors nicht verstehen konnten, hat er gesagt: Ich muß auch mit grammatikalischen Fehlern schreiben, in einem sehr vereinfachten Latein. Und er tat dies vor allem in diesem Psalmus, einer Art einfachem Gedicht gegen die Donatisten, um allen Menschen zu helfen zu verstehen, daß nur in der Einheit der Kirche sich für alle wirklich unsere Beziehung zu Gott verwirklicht und der Friede in der Welt wächst.

In diesem für ein breiteres Publikum bestimmten Schaffen erhält die Menge an Predigten – die oft frei gesprochen, von den Stenographen während der Predigt mitgeschrieben und dann sofort in Umlauf gebracht wurden – eine besondere Wichtigkeit. Unter diesen ragen die wunderschönen Enarrationes in Psalmos hervor, die im Mittelalter viel gelesen wurden. Gerade die Praxis der Veröffentlichung der Tausenden von Predigten des Augustinus – oft ohne die Kontrolle des Verfassers – erklärt ihre Verbreitung und ihre spätere Zerstreuung, aber auch ihre Lebendigkeit. Die Predigten des Bischofs von Hippo wurden in der Tat wegen des Rufes ihres Verfassers sogleich zu sehr gesuchten Texten und dienten auch anderen Bischöfen und Priestern als Vorbilder, die immer neuen Umfeldern angepaßt wurden.

Die ikonographische Tradition stellt schon auf einem auf das 6. Jahrhundert zurückgehenden Fresko im Lateran den hl. Augustinus mit einem Buch in der Hand dar, sicher als Ausdruck für sein literarisches Schaffen, das die Gesinnung und das Denken der Christen so sehr beeinflußt hat, aber auch, um seine Liebe zu den Büchern, zum Lesen und zur Kenntnis der großen vorausgehenden Kultur auszudrücken. Bei seinem Tod hinterließ er nichts, erzählt Possidius, aber er »ermahnte immer dazu, die Bibliothek der Kirche mit allen Codices sorgfältig für die Nachwelt zu bewahren«, vor allem jene seiner Werke. In diesen, hebt Possidius hervor, ist Augustinus »immer lebendig« und nützt dem, der seine Schriften liest, auch wenn, sagt er abschließend, »ich glaube, daß diejenigen, die ihn persönlich sehen oder hören konnten, wenn er in der Kirche sprach, und vor allem jene, die seinen Alltag unter den Menschen miterlebten, aus dem Kontakt mit ihm größeren Gewinn hatten« (Vita Augustini, 31). Ja, auch für uns wäre es schön gewesen, ihn leibhaftig hören zu können. Aber er ist wirklich lebendig in seinen Schriften, er ist in uns gegenwärtig, und so sehen wir auch die bleibende Lebendigkeit des Glaubens, dem er sein ganzes Leben geschenkt hat.


Liebe Brüder und Schwestern!

In der heutigen Katechese möchte ich unsere Betrachtungen über den heiligen Augustinus wieder aufnehmen und einige seiner wichtigsten Werke kurz vorstellen. Augustinus selbst hat wenige Jahre vor seinem Tod eine kritische Übersicht seiner Schriften erstellt, die er „Retractationes“ nannte und die uns Aufschluß über die Entstehung der Werke wie auch über die Entwicklung seines Denkens gibt. Eine Liste der Werke findet sich auch im Anhang an die von seinem Freund Possidius verfaßte Vita des Bischofs von Hippo. Unter seinem reichen literarischen Schaffen ragen einige Werke in besonderer Weise hervor, die großen Anklang und Erfolg gefunden haben. Dazu zählt seine autobiographische Schrift der „Confessiones“, die nicht nur als Bekenntnisse Einblick in das innere Leben Augustins gewähren, sondern vor allem eine Anerkennung des gütigen Wirkens Gottes sind. Die 22 Bücher des Gottesstaates „De civitate Dei“ hingegen übten einen entscheidenden Einfluß auf das politische Denken im Abendland und auf die christliche Geschichtstheologie aus. Ebenso bedeutend ist sein großes Werk über die Dreifaltigkeit „De Trinitate“, das er im Laufe von 14 Jahren verfaßt hat. Als Seelsorger lag Augustinus die Verbreitung der christlichen Botschaft und die Verkündigung für die Gläubigen besonders am Herzen. Davon zeugen unter anderem seine unzähligen Predigten und Briefe. Mit seinem Wirken und in seinen Schriften hat dieser Kirchenvater in der Tat großen und andauernden Einfluß auf die Theologie und die geistesgeschichtliche Entwicklung des Abendlandes ausgeübt.

 

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