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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 15 Februar 2012

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Liebe Brüder und Schwestern!

In unserer Schule des Gebets habe ich am vergangenen Mittwoch über das Gebet Jesu am Kreuz gesprochen, das Psalm 22 entnommen ist: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Jetzt möchte ich weiter über das Gebet Jesu am Kreuz beim Herannahen des Todes nachdenken und heute über den Bericht sprechen, den wir im Evangelium des hl. Lukas finden. Der Evangelist hat uns drei Worte Jesu am Kreuz überliefert. Zwei von ihnen – das erste und das letzte – sind ausdrücklich an den Vater gerichtete Gebete, während das zweite in der Verheißung an den sogenannten guten Schächer besteht, der mit ihm gekreuzigt wird. Denn als Antwort auf die Bitte des Schächers sichert Jesus ihm zu: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein« (Lk 23,43). Im Bericht des Lukas sind die beiden Gebete, die der sterbende Jesus an den Vater richtet, und die Erhörung der Bitte, die der reuige Sünder an ihn richtet, eindrucksvoll miteinander verbunden. Jesus betet zum Vater und erhört gleichzeitig das Gebet dieses Mannes, der oft als »latro poenitens« bezeichnet wird, als »reuiger Verbrecher«.

Betrachten wir diese drei Gebete Jesu etwas näher. Das erste spricht er, gleich nachdem er ans Kreuz genagelt wurde, während die Soldaten seine Kleider unter sich verteilen als traurigen Lohn für ihren Dienst. Diese Handlung schließt den Prozeß der Kreuzigung gewissermaßen ab. Der hl. Lukas schreibt: »Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den anderen links. Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dann warfen sie das Los und verteilten seine Kleider unter sich« (23,33–34). Das erste Gebet, das Jesus an den Vater richtet, ist eine Fürbitte: Er bittet um Vergebung für seine eigenen Henker. Damit vollzieht Jesus selbst, was er in der Bergpredigt gelehrt hatte, als er sagte: »Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen« (Lk 6,27), und wo er denen versprach, die vergeben können: »Euer Lohn [wird] groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein« (V. 35). Jetzt, vom Kreuz herab, vergibt er nicht nur seinen Henkern, sondern wendet sich direkt an den Vater und hält Fürsprache für sie.

Diese Haltung Jesu findet eine bewegende »Nachahmung« im Bericht über die Steinigung des Stephanus, des ersten Märtyrers. Denn Stephanus, nunmehr dem Ende nahe, sank »in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Nach diesen Worten starb er« (Apg 7,60): Das war sein letztes Wort. Der Vergleich zwischen dem Gebet Jesu um Vergebung und dem des Erzmärtyrers ist bedeutsam. Der hl. Stephanus wendet sich an den auferstandenen Herrn und bittet, daß seine Ermordung – eine Handlung, die durch den Ausdruck »diese Sünde« deutlich benannt wird – seinen Steinigern nicht angerechnet werden möge. Jesus wendet sich am Kreuz an den Vater und bittet nicht nur um Vergebung für seine Kreuziger, sondern gibt auch eine Auslegung dessen, was geschieht. Denn die Männer, die ihn kreuzigen, »wissen nicht, was sie tun«, so seine Worte (Lk 23,34). Er gibt also die Unkenntnis, das »Nichtwissen« als Grund dafür an, daß er den Vater um Vergebung bittet, denn diese Unkenntnis läßt den Weg zur Bekehrung offen, wie es übrigens in den Worten, die der Hauptmann beim Tod Jesu aussprechen wird, geschieht: »Das war wirklich ein gerechter Mensch« (V. 47), er war der Sohn Gottes. »Um so mehr bleibt es für alle Zeiten und für alle Menschen ein Trost, daß der Herr sowohl bei den wirklich Nichtwissenden, den Henkern, wie bei den Wissenden, die ihn verurteilt hatten, ihr Nichtwissen zum Grund der Bitte der Vergebung macht – es als Tür ansieht, die uns der Bekehrung öffnen kann« (Jesus von Nazareth, II,232).

Das zweite Wort Jesu am Kreuz, das der hl. Lukas überliefert, ist ein Wort der Hoffnung, die Antwort auf das Gebet eines der beiden Männer, die mit ihm gekreuzigt werden. Der gute Schächer geht vor Jesus in sich und bereut, er merkt, daß er sich vor dem Sohn Gottes befindet, der das Angesicht Gottes sichtbar macht, und bittet ihn: »Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst« (V. 42). Die Antwort des Herrn auf dieses Gebet geht weit über die Bitte hinaus, denn er sagt: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein« (V. 43). Jesus weiß, daß er direkt in die Gemeinschaft mit dem Vater eintritt und dem Menschen den Weg zu Gottes Paradies wieder öffnet. So schenkt er durch diese Antwort die feste Hoffnung, daß Gottes Güte uns auch im letzten Augenblick des Lebens berühren kann und das aufrichtige Gebet auch nach einem verkehrten Leben die geöffneten Arme des guten Vaters findet, der auf die Rückkehr des Sohnes wartet.

Verweilen wir jedoch bei den letzten Worten des sterbenden Jesus. Der Evangelist berichtet: »Es war etwa um die sechste Stunde, als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach. Sie dauerte bis zur neunten Stunde. Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riß mitten entzwei, und Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus« (V. 44–46). Einige Aspekte dieses Berichts sind anders als in dem Bild, das in Markus und in Matthäus aufgezeigt wird. Die dreistündige Finsternis wird bei Markus nicht beschrieben, während sie in Matthäus mit einer Reihe verschiedener apokalyptischer Ereignisse verbunden ist, wie dem Erdbeben, dem Öffnen der Gräber, den Toten, die auferstehen (vgl. Mt 27,51–53). In Lukas haben die Stunden der Dunkelheit ihre Ursache in der Verfinsterung der Sonne, aber in jenem Augenblick reißt auch der Vorhang im Tempel entzwei. Auf diese Weise enthält der lukanische Bericht zwei Zeichen, die in gewisser Weise parallel sind, am Himmel und im Tempel. Der Himmel verliert sein Licht, die Erde öffnet sich, während im Tempel, dem Ort der Gegenwart Gottes, der Vorhang, der das Heiligtum schützt, entzwei reißt. Der Tod Jesu wird ausdrücklich als kosmisches und liturgischen Ereignis beschrieben; insbesondere bezeichnet es den Beginn eines neuen Kultes, in einem Tempel, der nicht von Menschen erbaut ist, denn der Leib des gestorbenen und auferstandenen Jesus selbst sammelt die Völker und vereint sie im Sakrament seines Leibes und seines Blutes.

Das Gebet Jesu in diesem Augenblick des Leidens – »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« – ist ein lauter Schrei der äußersten und völligen Hingabe an Gott. Dieses Gebet bringt das volle Bewußtsein zum Ausdruck, nicht verlassen zu sein. Die Anrufung, die am Anfang steht – »Vater« –, ruft seine erste Aussage als zwölfjähriger Junge in Erinnerung. Damals war er drei Tage lang im Tempel von Jerusalem geblieben, dessen Vorhang jetzt entzwei gerissen ist. Und als die Eltern ihm ihre Besorgnis dargelegt hatten, hatte er geantwortet: »Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?« (Lk 2,49). Von Anfang bis Ende ist das, was das Empfinden Jesu, sein Wort, sein Handeln vollkommen bestimmt, die einzigartige Beziehung zum Vater. Am Kreuz lebt er in Fülle, in der Liebe, die kindliche Beziehung zu Gott, die sein Beten beseelt.

Die Worte, die Jesus nach der Anrufung »Vater« ausspricht, greifen ein Wort aus Psalm 31 auf: »In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist« (Ps 31,6). Diese Worte sind jedoch nicht einfach nur ein Zitat. Vielmehr offenbaren sie einen festen Entschluß. Jesus »liefert sich aus« an den Vater in einem Akt völliger Hingabe. Diese Worte sind ein Gebet der »Hingabe«, voll Vertrauen in die Liebe Gottes. Das Beten Jesu im Angesicht des Todes ist ebenso dramatisch wie für jeden Menschen, aber gleichzeitig ist es durchdrungen von jener tiefen Ruhe, die aus dem Vertrauen in den Vater entsteht und aus dem Willen, sich ihm völlig auszuliefern. Im Getsemani, als er in den Endkampf und in das tiefste Gebet eingetreten war und »den Menschen ausgeliefert werden« sollte (Lk 9,44), wurde sein Schweiß »wie Blut, das auf die Erde tropfte« (Lk 22,44). Aber sein Herz war vollkommen gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters, und daher war »ein Engel vom Himmel« gekommen, um ihn zu trösten (vgl. Lk 22,42–43). Jetzt, in den letzten Augenblicken, wendet Jesus sich an den Vater und sagt, in welche Hände er wirklich sein ganzes Leben ausliefert. Vor dem Aufbruch zur Reise nach Jerusalem hatte Jesus seinen Jüngern noch einmal gesagt: »Merkt euch genau, was ich jetzt sage: Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert werden« (Lk 9,44). Jetzt, wo das Leben ihn verläßt, besiegelt er im Gebet seinen letzten Entschluß: Jesus hat sich den Händen der Menschen ausliefern lassen, aber er legt seinen Geist in die Hände des Vaters. So ist – wie der Evangelist Johannes sagt – alles vollbracht, der höchste Akt der Liebe ist vollendet, bis an die Grenzen und über die Grenzen hinaus.

Liebe Brüder und Schwestern, die Worte Jesu am Kreuz in den letzten Augenblicken seines irdischen Lebens geben wertvolle Hinweise für unser Beten, aber sie öffnen es auch auf ein ruhiges Vertrauen und eine feste Hoffnung hin. Jesus, der den Vater bittet, denen zu vergeben, die ihn kreuzigen, fordert uns auf zu der schwierigen Geste, auch für jene zu beten, die uns Unrecht tun, die uns Schaden zugefügt haben – stets vergeben zu können, auf daß das Licht Gottes ihr Herz erleuchten möge; und er lädt uns ein, in unserem Beten dieselbe Haltung der Barmherzigkeit und der Liebe zu leben, die Gott uns gegenüber einnimmt: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern«, beten wir täglich im »Vaterunser«. Gleichzeitig vermittelt uns Jesus, der sich im Angesicht des Todes völlig den Händen Gottes anvertraut, die Gewißheit: So hart die Prüfungen, so schwierig die Probleme, so schwer das Leiden auch sein mag, wir werden nie aus Gottes Händen fallen, jenen Händen, die uns geschaffen haben, die uns tragen und uns auf dem Lebensweg begleiten, weil sie geführt sind von einer unendlichen und treuen Liebe. Danke.

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Gerne grüße ich alle Gäste deutscher Sprache, insbesondere die Studierenden des Kirchenrechts der Universitäten München und Augsburg sowie den TSV 1860 München. Ich freue mich über Ihre Anwesenheit! Das Beten Jesu am Kreuz lädt uns ein, den anderen zu verzeihen und auch für die zu beten, die uns unrecht tun. Zugleich schenkt es uns Vertrauen und Zuversicht: Wir dürfen gewiß sein, daß wir in Not und Leid nicht aus Gottes Händen herausfallen, sondern in diesen guten Händen geborgen bleiben. Gott segne euch alle.

 

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