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ABSCHLUSS DER GEBETSWOCHE FÜR DIE EINHEIT DER CHRISTEN

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Basilika St. Paul vor den Mauern
Mittwoch, 25. Januar 2006   

 

Liebe Brüder und Schwestern!

An diesem Tag, an dem wir die Bekehrung des Apostels Paulus feiern, sind wir zu dieser brüderlichen liturgischen Versammlung zusammengekommen, um die diesjährige Gebetswoche für die Einheit der Christen abzuschließen. Es ist vielsagend, daß der Gedenktag der Bekehrung des Völkerapostels zusammenfällt mit dem Abschluß dieser bedeutsamen Woche, in der wir Gott besonders nachdrücklich um die wertvolle Gabe der Einheit aller Christen bitten, indem wir uns das Gebet zu eigen machen, das Jesus selbst für seine Jünger zum Vater erhob: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast« (Joh 17,21). Das Streben jeder christlichen Gemeinschaft und jedes einzelnen Gläubigen nach der Einheit und die Kraft, diese zu verwirklichen, sind eine Gabe des Heiligen Geistes und müssen einhergehen mit einer immer tieferen und radikaleren Treue zum Evangelium (vgl. Enzyklika Ut unum sint, 15). Wir wissen, daß die Grundlage der ökumenischen Bemühungen die Bekehrung des Herzens ist, wie es das II. Vatikanische Konzil deutlich zum Ausdruck bringt: »Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit« (Dekret Unitatis redintegratio, 7).

»Deus caritas est« (1 Joh 4,8.16), Gott ist die Liebe. Auf diesem festen Fels ruht der ganze Glaube der Kirche. Insbesondere gründet auf ihm die geduldige Suche nach der vollen Einheit aller Jünger Christi: Wenn wir den Blick fest auf diese Wahrheit richten, die der Gipfelpunkt der göttlichen Offenbarung ist, dann erscheinen die Spaltungen, auch wenn sie nichts von ihrem schmerzhaften Ernst verlieren, überwindbar und entmutigen uns nicht. Jesus, der Herr, der mit dem Blut seines Leidens »die trennende Wand der Feindschaft« (Eph 2,14) niedergerissen hat, wird es nicht versäumen, denen, die ihn gläubig anrufen, die Kraft zu geben, jede Zerrissenheit zu heilen. Aber man muß immer aufs neue hier ansetzen: »Deus caritas est«. Ich habe dem Thema der Liebe meine erste Enzyklika widmen wollen, die gerade heute veröffentlicht worden ist, und angesichts der glücklichen Fügung, daß dieser Termin zusammenfällt mit dem Abschluß der Gebetswoche für die Einheit der Christen, sind wir eingeladen, unsere heutige Begegnung, ja den ganzen Weg der Ökumene im Licht der Liebe Gottes, der Liebe, die Gott ist, zu betrachten. Wenn die Liebe sich bereits vom menschlichen Standpunkt aus als unbesiegbare Kraft zeigt, was sollen dann wir sagen, die wir »die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen« (1 Joh 4,16) haben? Die wahre Liebe löscht legitime Unterschiede nicht aus, sondern bringt sie miteinander in Einklang in einer höheren Einheit, die nicht von außen auferlegt wird, sondern die von innen heraus dem Ganzen sozusagen Form verleiht. Es ist das Geheimnis der Gemeinschaft, das, ebenso wie es Mann und Frau in jener Liebes- und Lebensgemeinschaft vereint, die die Ehe ist, auch die Kirche als Liebesgemeinschaft gestaltet, indem es einen vielgestaltigen Gaben- und Traditionsreichtum zu einer Einheit zusammenfügt. Im Dienst an dieser Einheit der Liebe steht die Kirche von Rom, die, wie der hl. Ignatius von Antiochien sagt, »den Vorsitz in der Liebe führt« (Ad Rom 1,1). Hier vor euch, liebe Brüder und Schwestern, möchte ich heute mein besonderes Amt, das Petrusamt, erneut Gott anempfehlen und das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes darauf herabrufen, damit es stets die brüderliche Gemeinschaft aller Christen fördern möge.

Das Thema der Liebe stellt eine tiefe Verbindung zwischen den beiden kurzen Schriftlesungen der heutigen Vesperliturgie her. In der Ersten Lesung ist die göttliche Liebe jene Kraft, die das Leben des Saulus von Tarsus verwandelt und aus ihm den Völkerapostel macht. In seinem Brief an die Christen von Korinth bekennt Paulus, daß die Gnade Gottes in ihm das außerordentliche Ereignis der Bekehrung gewirkt hat: »Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben« (1 Kor 15,10). Einerseits belastet es ihn, sich der Verbreitung der Botschaft Christi in den Weg gestellt zu haben, gleichzeitig aber lebt er in der Freude, dem auferstandenen Herrn begegnet und von seinem Licht erleuchtet und verwandelt worden zu sein. Er wird sich stets an das Ereignis erinnern, das sein Dasein verändert hat, ein Ereignis, das für die ganze Kirche so wichtig ist, daß es in der Apostelgeschichte gleich dreimal erwähnt wird (vgl. Apg 9,3–9; 22,6–11; 26,12–18). Auf dem Weg nach Damaskus hörte Saulus die erschütternde Frage: »Warum verfolgst du mich?«. Zu Boden gestürzt und innerlich erregt fragte er: »Wer bist du, Herr?«, woraufhin er jene Antwort erhielt, die der Ausgangspunkt seiner Bekehrung war: »Ich bin Jesus, den du verfolgst« (Apg 9,4–5). Im selben Augenblick verstand Paulus das, was er später in seinen Schriften darlegen wird, daß nämlich die Kirche ein einziger Leib ist und Christus sein Haupt. So wurde er vom Christenverfolger zum Völkerapostel.

Im Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, den wir soeben gehört haben, wirkt die Liebe als Prinzip, das die Christen vereint und das ihr einmütiges Gebet beim himmlischen Vater Erhörung finden läßt. Jesus sagt: »Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten« (Mt 18,19). Das Verb, das der Evangelist gebraucht, um das auszudrücken, was mit dem Wort »gemeinsam« wiedergegeben ist, ist »synphonesosin«, was auf eine »Symphonie« der Herzen anspielt. Das ist es, was Gottes Herz berührt. Die Eintracht im Gebet ist demnach eine wichtige Voraussetzung dafür, daß dieses vom himmlischen Vater angenommen wird. Die gemeinsame Bitte ist bereits ein Schritt in Richtung der Einheit der Bittenden. Das bedeutet natürlich nicht, daß Gottes Antwort irgendwie durch unser Bitten festgelegt würde. Wir wissen nämlich, daß das Erreichen der Einheit, die wir uns wünschen, in erster Linie vom Willen Gottes abhängt, dessen Plan und Großherzigkeit das Fassungsvermögen des Menschen sowie seine Bitten und Erwartungen übersteigen. Intensivieren wir im Vertrauen auf die göttliche Güte unser gemeinsames Gebet für die Einheit, das ein notwendiges Mittel mit großer Wirkungskraft ist, wie Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint in Erinnerung gerufen hat: »Der Vorrang auf dem ökumenischen Weg zur Einheit gebührt sicherlich dem gemeinsamen Gebet, der Verbundenheit all derer im Gebet, die sich um Christus selbst zusammenschließen« (Nr. 22).

Wenn wir diese Verse des Evangeliums dann genauer betrachten, verstehen wir besser, warum der Vater positiv auf die Bitte der christlichen Gemeinschaft antworten wird: »Denn«, sagt Jesus, »wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen«. Die Gegenwart Christi verleiht dem gemeinsamen Gebet derer, die sich in seinem Namen versammelt haben, die Wirkungskraft. Wenn die Christen sich zum Gebet versammeln, dann ist Jesus mitten unter ihnen. Sie sind eins mit ihm, dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie nimmt auf eben diesen Vers des Evangeliums Bezug, um eine der Weisen aufzuzeigen, in denen Christus gegenwärtig ist: »Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: ›Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen‹ (Mt 18,20)« (Sacrosanctum Concilium, 7).

In seinem Kommentar zu diesem Textabschnitt des Evangelisten Matthäus fragt sich der hl. Johannes Chrysostomus: »Aber wie? Gibt es nicht zwei oder drei Menschen, die in seinem Namen versammelt sind? Es gibt wohl solche, aber selten« (Kommentar zum Matthäusevangelium, 60,3). Am heutigen Abend verspüre ich unermeßliche Freude über die Tatsache, eine so große und betende Versammlung zu sehen, die »symphonisch « das Geschenk der Einheit erfleht. An alle und jeden richtet sich mein herzlicher Gruß. Ich grüße mit besonderer Zuneigung die Brüder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften dieser Stadt, vereint in der einen Taufe, die uns zu Gliedern des einen mystischen Leibes Christi macht. Es ist gerade 40 Jahre her, daß eben in dieser Basilika, am 5. Dezember 1965, der Diener Gottes Paul VI. seligen Angedenkens die erste gemeinsame Gebetsstunde feierte, zum Abschluß des II. Vatikanischen Konzils, unter feierlicher Anwesenheit der Konzilsväter und aktiver Teilnahme der Beobachter der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. In der Folgezeit hat der geliebte Johannes Paul II. beharrlich die Tradition weitergeführt, die Gebetswoche hier zu schließen.

Ich bin mir sicher, daß uns beide am heutigen Abend vom Himmel her zusehen und sich unserem Gebet anschließen. Unter denjenigen, die an dieser Versammlung teilnehmen, grüße ich besonders die Gruppe der Delegierten der Kirchen, Bischofskonferenzen, christlichen Gemeinschaften und ökumenischen Gremien, die die Vorbereitungen zur Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in die Wege leitet, die in Sìbiu in Rumänien für September 2007 geplant ist und unter dem Thema steht: »Das Licht Christi erleuchtet alle Menschen. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa«. Ja, liebe Brüder und Schwestern, wir Christen haben die Aufgabe, in Europa und unter allen Völkern »Licht der Welt« (Mt 5,14) zu sein. Möge Gott uns gewähren, bald die ersehnte volle Gemeinschaft zu erreichen. Die Wiederherstellung unserer Einheit wird der Evangelisierung größere Wirkungskraft verleihen. Die Einheit ist unsere gemeinsame Sendung; sie ist die Voraussetzung dafür, daß das Licht Christi überall auf der Welt wirksamer ausströmen kann und die Menschen sich bekehren und gerettet werden. Welch ein langer Weg liegt vor uns! Verlieren wir trotzdem nicht das Vertrauen, sondern nehmen wir im Gegenteil mit aller Kraft den gemeinsamen Weg wieder auf. Christus geht uns voran und begleitet uns. Wir zählen auf seine immerwährende Gegenwart; von ihm erbitten wir demütig und unermüdlich das wertvolle Geschenk der Einheit und des Friedens.

 

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