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HL. MESSE AM HOCHFEST DER GOTTESMUTTER MARIA
43. WELTFRIEDENSTAG

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom
Freitag, 1. Januar 20
10

(Video)
Bilder von der Feier

  

Verehrte Mitbrüder,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Brüder und Schwestern!

Am ersten Tag des Jahres haben wir die Freude und die Gnade, die allerseligste Mutter Gottes und zugleich den Weltfriedenstag zu feiern. Bei beiden Anlässen feiern wir Christus, den Sohn Gottes, geboren aus der Jungfrau Maria und unser wahrer Friede! Für Sie alle, die Sie hier zusammengekommen sind – Vertreter der Völker der Welt, der Kirche in Rom und in der ganzen Welt, Priester und Gläubige sowie alle, die über Radio und Fernsehen mit uns verbunden sind –, wiederhole ich die alten Segensworte: Der Herr wende euch sein Angesicht zu und schenke euch seinen Frieden (vgl. Num 6,26). Im Licht des Wortes Gottes möchte ich heute dieses Thema des Angesichts und der Gesichter vertiefen: das Angesicht Gottes und die Gesichter der Menschen, ein Thema, das uns auch einen Schlüssel bietet zum Problem des Friedens in der Welt.

Sowohl in der ersten Lesung aus dem Buch Numeri als auch im Antwortpsalm haben wir einige Ausdrucksweisen gehört, die die auf Gott bezogene Metapher des Angesichts enthalten: »Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig« (Num 6,25); »Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil« (Ps 67,2– 3). Das Gesicht ist der Ausdruck der Person schlechthin, das, was sie wiedererkennbar macht, das, worin sich ihre Gefühle, Gedanken, die Regungen des Herzens spiegeln. Gott ist von seinem Wesen her unsichtbar, und doch ordnet die Bibel auch ihm dieses Bild zu. Zeigt er sein Angesicht, ist das Ausdruck seines Wohlwollens; verbirgt er es dagegen, drückt das Zorn und Mißfallen aus. Im Buch Exodus steht: »Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden« (33,11), und Mose ist es auch, dem der Herr seine Nähe mit den einzigartigen Worten verspricht: »Mein Angesicht wird mitgehen, bis ich dir Ruhe verschafft habe« (Ex 33,14). Die Psalmen zeigen uns die Gläubigen als diejenigen, die das Angesicht Gottes suchen (Ps 27,8; 105,4), die danach trachten, es im Kult zu sehen (Ps 42,3), und sie sagen uns, daß die Rechtschaffenen »sein Angesicht schauen« dürfen (Ps 11,7).

Die gesamte biblische Geschichte kann man als fortschreitendes Enthüllen des göttlichen Angesichts lesen bis hin zu seiner vollen Offenbarung in Jesus Christus. »Als aber die Zeit erfüllt war«, so sagt uns auch heute der Apostel Paulus, »sandte Gott seinen Sohn« (Gal 4,4). Und er fügt sogleich hinzu: »geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt«. Das Angesicht Gottes hat ein menschliches Antlitz angenommen, er läßt sich anblicken und erkennen im Sohn der Jungfrau Maria, die wir deshalb mit dem hohen Titel der »Mutter Gottes« verehren. Sie, die im Herzen das Geheimnis der Gottesmutterschaft bewahrte, war die erste, die das Antlitz des menschgewordenen Gottes in der Frucht ihres Leibes sah. Die Mutter hat eine ganz besondere, einzigartige und in gewisser Hinsicht ausschließliche Beziehung zu ihrem Neugeborenen. Das erste Gesicht, das ein Kind sieht, ist das der Mutter, und dieser Blick ist entscheidend für seine Beziehung zum Leben, zu sich selbst, zu den anderen, zu Gott; er ist entscheidend auch dafür, daß es ein »Mann des Friedens« (Lk 10,6) werden kann. In der byzantinischen Tradition gibt es unter den zahlreichen Ikonentypen der Jungfrau Maria jene der »Gottesmutter der Zärtlichkeit«, in der das Jesuskind dargestellt wird, wie es sein Gesicht – Wange an Wange – an das der Mutter drückt. Das Kind blickt auf die Mutter, und diese sieht uns an, so als wolle sie auf den betenden Betrachter die Zärtlichkeit Gottes reflektieren, der vom Himmel auf sie herabgekommen und Fleisch geworden ist in jenem Menschensohn, den sie auf den Armen trägt. In dieser Marienikone können wir etwas, das von Gott selbst kommt, betrachten: ein Zeichen der unsagbaren Liebe, die ihn dazu brachte, »seinen einzigen Sohn hinzugeben« (Joh 3,16). Doch dieselbe Ikone zeigt uns in Maria auch das Antlitz der Kirche, die auf uns und die ganze Welt das Licht Christi ausstrahlt, jener Kirche, durch die jeden Menschen die frohe Botschaft ereicht: »Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn« (Gal 4,7), wie wir wiederum bei Paulus lesen.

Liebe Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, meine Herren Botschafter, liebe Freunde! Über das Geheimnis des göttlichen und des menschlichen Antlitzes nachzudenken, ist ein privilegierter Weg zum Frieden. Dieser beginnt ja mit einem respektvollen Blick, der im Gesicht des anderen eine Person erkennt, was auch immer ihre Hautfarbe, Nationalität, Sprache oder Religion sein mag. Wer aber, wenn nicht Gott, kann sozusagen die »Tiefe« des menschlichen Antlitzes gewährleisten ? In Wirklichkeit sind wir nur dann, wenn wir Gott im Herzen tragen, dazu fähig, im Antlitz des anderen einen Bruder in der menschlichen Natur zu erkennen, kein Mittel, sondern ein Ziel, keinen Rivalen und keinen Feind, sondern ein anderes Ich, eine Facette des unendlichen Geheimnisses des menschlichen Wesens. Unsere Wahrnehmung der Welt und besonders unserer Mitmenschen hängt wesentlich ab von der Anwesenheit des Geistes Gottes in uns. Es ist eine Art »Resonanz«: Wer ein leeres Herz hat, nimmt nur flache Bilder ohne Tiefe wahr. Je mehr wir dagegen von Gott bewohnt sind, desto empfänglicher sind wir auch für seine Gegenwart in allem, was uns umgibt: in allen Geschöpfen und besonders in den anderen Menschen. Dennoch ist es manchmal schwer, gerade das menschliche Gesicht, wenn es von der Härte des Lebens und des Bösen gezeichnet ist, zu würdigen und es wahrzunehmen als Epiphanie Gottes. Wenn wir einander anerkennen und respektieren wollen als das, was wir sind, nämlich Brüder, sind wir um so mehr darauf angewiesen, uns auf das Angesicht eines gemeinsamen Vaters zu berufen, der uns alle liebt, trotz unserer Grenzen und unserer Fehler.

Es ist wichtig von klein auf zur Achtung des anderen erzogen zu werden, auch wenn er nicht so ist wie wir. Schulklassen, die aus Kindern verschiedener Nationalitäten bestehen, sind heute eine immer alltäglichere Erfahrung. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, sind die Gesichter dieser Kinder wie eine Prophezeiung der Menschheit, die wir zu bilden berufen sind: eine Familie aus Familien und aus Völkern. Je kleiner diese Kinder sind, desto mehr Zärtlichkeit und Freude über eine uns offensichtlich erscheinende Unschuld und Geschwisterlichkeit rufen sie in uns hervor: Trotz ihrer Unterschiedlichkeit weinen und lachen sie auf dieselbe Art, haben dieselben Bedürfnisse, verständigen sich spontan, spielen miteinander… Die Gesichter der Kinder sind wie ein Widerschein der Sicht Gottes auf die Welt. Warum also ihr Lächeln auslöschen? Warum ihre Herzen vergiften? Leider findet die Ikone der Muttergottes der Zärtlichkeit ihr tragisches Gegenstück in den leidvollen Bildern so vieler Kinder und ihrer Mütter, die Krieg und Gewalt ausgeliefert sind: Flüchtlinge, Vertriebene, Zwangsmigranten. Gesichter, die gezeichnet sind von Hunger und Krankheit, entstellt von Schmerz und Verzweiflung. Die Gesichter der unschuldigen Kleinen sind ein stiller Appell an unsere Verantwortung: Angesichts ihrer Wehrlosigkeit brechen alle falschen Rechtfertigungen von Krieg und Gewalt zusammen. Wir müssen uns bloß bekehren zu Projekten des Friedens, müssen Waffen jeglicher Art niederlegen und uns gemeinsam für den Aufbau einer menschenwürdigeren Welt einsetzen.

Meine Botschaft zum heutigen 43. Weltfriedenstag: »Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung« nimmt diese Perspektive des Antlitzes Gottes und der Gesichter der Menschen ein. Wir können in der Tat sagen, daß der Mensch in dem Maß in der Lage ist, die Geschöpfe zu achten, wie er in seinem Geist ein Bewußtsein von dem vollen Sinn des Lebens hat. Andernfalls wird er dazu neigen, sich selbst und seine Umgebung gering zu schätzen und keinen Respekt für die Umwelt, in der er lebt, und für die Schöpfung zu haben. Wer im Kosmos den Abglanz des unsichtbaren Antlitzes des Schöpfers zu erkennen vermag, ist geneigt, mehr Liebe für die Geschöpfe zu empfinden, und hat eine größere Sensibilität für ihren symbolischen Wert. Besonders das Buch der Psalmen ist reich an Zeugnissen dieser wirklich menschlichen Art, sich zur Natur in Beziehung zu setzen: mit dem Himmel, dem Meer, den Bergen, den Hügeln, den Flüssen, den Tieren… »Herr, wie zahlreich sind deine Werke!«, ruft der Psalmist aus. »Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.« (Ps 104,24).

Die Perspektive des »Antlitzes« lädt insbesondere zum Nachdenken über das ein, was ich auch in dieser Botschaft »Humanökologie« genannt habe. Tatsächlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Achtung des Menschen und der Bewahrung der Schöpfung. »Die Pflichten gegenüber der Umwelt leiten sich von den Pflichten gegenüber der Person an sich und in ihren Beziehungen zu den anderen ab« (Botschaft zum 43. Weltfriedenstag, 12). Wenn der Mensch verkommt, verkommt die Umwelt, in der er lebt; wenn die Kultur vielleicht nicht theoretisch, aber praktisch einem Nihilismus zuneigt, muß die Natur die Folgen tragen. Denn es ist ein gegenseitiger Einfluß erkennbar zwischen dem Antlitz des Menschen und dem »Antlitz« der Umwelt: »Wenn in der Gesellschaft die ›Humanökologie‹ respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie« (ebd.; vgl. Enzyklika Caritas in veritate, 51). Ich erneuere deshalb meinen Appell, in die Erziehung zu investieren und über die notwendige Vermittlung technisch-wissenschaftlicher Kenntnisse hinaus auf ein erweitertes und vertieftes »Umweltbewußtsein« abzuzielen, das gegründet ist auf die Achtung des Menschen und seiner grundlegenden Rechte und Pflichten. Nur so kann der Einsatz für die Umwelt wirklich Erziehung zum Frieden und Aufbau des Friedens werden.

Liebe Brüder und Schwestern, in der Weihnachtszeit wird mehrmals ein Psalm gebetet, der unter anderem ein großartiges Beispiel enthält, wie das Kommen Gottes die Schöpfung verklärt und eine Art kosmisches Fest auslöst. Dieser Hymnus beginnt mit einer allgemeinen Einladung zum Lob: »Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Länder der Erde! Singt dem Herrn und preist seinen Namen« (Ps 96,1–2). An einer bestimmten Stelle aber richtet sich dieser Aufruf zum Jubel an die gesamte Schöpfung: »Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles, was es erfüllt. Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst. Jubeln sollen alle Bäume des Waldes« (V. 11–12). Das Fest des Glaubens wird ein Fest des Menschen und der Schöpfung: Jenes Fest, das an Weihnachten auch im Schmücken der Bäume, der Straßen, der Häuser Ausdruck findet. Alles erblüht, weil Gott unter uns erschienen ist. Die Jungfrau und Mutter zeigt das Jesuskind den Hirten von Betlehem, die sich freuen und den Herrn loben (vgl. Lk 2,20); die Kirche erneuert das Geheimnis für die Menschen jeder Generation und zeigt ihnen Gottes Angesicht, damit sie, mit seinem Segen, auf dem Weg des Friedens voranschreiten können.

 

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