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BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI.
ANLÄSSLICH DES 96. DEUTSCHEN KATHOLIKENTAGES
IN SAARBRÜCKEN

 

Meinem verehrten Bruder
Bischof Reinhard Marx, Bischof von Trier,
den Bischöfen, Priestern, Diakonen
und allen Katholikentagsteilnehmern in Saarbrücken!

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
»Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht« – unter diesem Motto haben sich viele katholische Christen und zahlreiche Gäste aus anderen Konfessionen sowie aus Politik und Gesellschaft zum 96. Deutschen Katholikentag in Saarbrücken versammelt. Aus Rom grüße ich alle, die sich zur Eröffnungsveranstaltung auf dem Schloßplatz eingefunden haben! Mein Gruß gilt auch allen Menschen, die über Radio und Fernsehen an dieser Veranstaltung teilnehmen. Der Friede unseres Herrn Jesus Christus sei mit Euch allen! Einen besonderen Gruß richte ich an den Bischof von Trier, die anwesenden Kardinäle und Bischöfe sowie an das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das gemeinsam mit dem Bistum Trier Gastgeber dieses Katholikentages ist.

Liebe Brüder und Schwestern, mir scheint, daß heute ein neues Interesse am christlichen Glauben feststellbar ist. Menschen fragen nach der Geschichte des Christentums und nach seiner Lehre. Vor allem aber ist das lebendige Bekenntnis der Christen selbst gefragt! Solche leisen und lauten Fragen suchen nicht bloß Antworten, sondern Antwortgeber, Männer und Frauen, deren Bekenntnis und Leben selbst die Antwort auf die Fragen ist; sie suchen also auch Euch, die Ihr jetzt auf dem Schloßplatz in Saarbrücken versammelt seid und die Ihr in den kommenden Tagen am 96. Deutschen Katholikentag teilnehmt. Informiert Euch, sprecht und feiert miteinander, vor allem aber vertieft Euren Glauben, reinigt Euer Herz, faßt Mut zum Bekenntnis, öffnet Eure Hände. Beim XX. Weltjugendtag in Köln hat die Welt die ansteckende lebendige Freude Hunderttausender junger Christen aus so vielen Ländern der Erde erleben können. Glaube, Hoffnung und Liebe dieser jungen Menschen waren wirklich ein Zeugnis für unseren Herrn Jesus Christus!

Damit jeder von uns ein glaubwürdiger Zeuge ist, müssen wir uns reinigen. Bemüht Euch also um die Überwindung der Schranken, die einem geeinten und lebendigen Zeugnis für Christus und Seine Kirche entgegenstehen. »Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung« (1 Kor 1,10). Diese Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinth rufe ich auch Euch zu. Das Zeugnis der Kirche ist nur glaubwürdig, wenn das Zeugnis der Laien in Einheit mit dem Papst und den Bischöfen erfolgt. Das schließt vom Geist bewegte lebendige Vielfalt ein, die aber nur dann wahrhaft lebendig bleibt, wenn sie nicht in Beliebigkeit zerrinnt. Nach innen wie nach außen muß deutlich werden: Die Kirche ist ein gestalteter Ort der Wirklichkeit und Gegenwart Gottes unter den Menschen.

Ihr versammelt Euch heute in Saarbrücken, der Hauptstadt des Saarlandes, das im 20. Jahrhundert Opfer von Streit und Zwietracht zwischen den Völkern war. Wir danken Gott, daß in unseren Tagen die Versöhnung unter den Völkern und die Einigung Europas das Handeln vieler politisch Verantwortlicher bestimmt. Ihr versammelt Euch zugleich in einem der ältesten Bistümer Deutschlands, das Euch an das Vermächtnis des christlichen Glaubens erinnert, der mit seiner Kraft Europa gestaltet hat. In Trier ist der heilige Ambrosius von Mailand geboren, der zunächst Staatsmann war und dann – widerstrebend – zum Bischof gewählt wurde. Er, der von innen her um die Eigenart der Politik seiner Zeit wußte, betonte wie kaum ein anderer die Freiheit der Kirche und die Bindung des Staates an moralische Prinzipien. Für ihn war die Gerechtigkeit keineswegs eine rein profane Angelegenheit: »Das Fundament der Gerechtigkeit ist der Glaube« (Ambrosius von Mailand, Über die Pflichten, 142). So ist für uns Christen der Anruf, der im Motto »Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht« steht, zunächst einmal ein Anruf an uns selbst.

Zugleich aber ist »Gerechtigkeit … die große Ordnerin des menschlichen Gemeinschaftslebens«, wie Kardinal Höffner, der bedeutende deutsche Vertreter der katholischen Soziallehre, betont hat. Christen sind angesichts der schwerwiegenden sozialen Probleme in den einzelnen Ländern und weltweit durch die Liebe Christi gedrängt, dazu beizutragen, daß die Welt gerecht vor Gottes Angesicht wird. Dabei kommt den christlichen Laien mit ihren spezifischen Begabungen und ihrer Sachkenntnis eine besondere Aufgabe zu. Freilich werden Christen hier nur dann einen wirksamen Beitrag leisten, wenn sie dabei als Christen kenntlich bleiben und alles vermeiden, was die Klarheit des christlichen Zeugnisses verdunkelt.

Wenn ich in meiner ersten Enzyklika darauf hingewiesen habe, daß »Gott den Menschen so liebt, daß er selbst Mensch wird, ihm nachgeht bis in den Tod hinein und auf diese Weise Gerechtigkeit und Liebe versöhnt« (Enzyklika Deus caritas est, 10), so betrifft das auch die Gesellschaft. »Gerechtigkeit und Liebe schließen einander nicht aus, sondern sichern erst in ihrer Verbundenheit den Bestand und die Entfaltung der menschlichen Gesellschaft« (Joseph Kardinal Höffner). So sind wir Christen gewiß, daß »der Mensch über die Gerechtigkeit hinaus immer Liebe braucht und brauchen wird« (Enzyklika Deus caritas est, 29).

Die »Zivilisation der Liebe« muß sich heute vor allem gegen eine »Kultur des Todes« behaupten. Sie begegnet uns in den verschiedenen Formen der Entwürdigung des Menschen durch biomedizinische Instrumentalisierung vom Zeitpunkt der Entstehung des Lebens an, sie begegnet uns in der zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Abtreibungen, in der Verletzung der Würde der Frau und der Kinder; sie begegnet uns in der Kaltherzigkeit gegenüber dem schreienden Unrecht der Armut im eigenen Land und in vielen Regionen der Welt. Papst Johannes Paul II. sprach in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis von »dieser schweren moralischen Unordnung auf Weltebene, die darum kühne und schöpferische Entscheidungen nötig macht« (Nr. 16). In all diesen Feldern sind vor allem die Laien aufgefordert, die christliche Botschaft wirksam und hörbar zu machen. Ich freue mich, daß Ihr auch dazu auf dem Katholikentag beitragen wollt. Vor allem wünsche ich Euch, daß es Euch gelingen möge, das Angesicht Gottes, das ein Angesicht der Liebe ist, den Menschen sichtbarer zu machen.

Dazu erteile ich Euch allen, die Ihr in Saarbrücken versammelt seid, von Herzen den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 21. Mai 2006, 6. Sonntag der Osterzeit

 

BENEDICTUS PP. XVI

 

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