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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT  XVI.
AN DIE TEILNEHMER DER STUDIENTAGUNG, DIE DER PÄPSTLICHE RAT FÜR DIE INTERPRETATION VON GESETZESTEXTEN ZUM
20. JAHRESTAG DER PROMULGATION DES  »CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM«
VERANSTALTET HAT

Sala Clementina
Samstag, 9. Oktober 2010

  

 

Meine Herren Kardinäle,
sehr verehrte Patriarchen und Großerzbischöfe,
sehr geehrte Vertreter der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften,
verehrte Mitarbeiter im Bereich des Ostkirchenrechts!

Mit großer Freude empfange ich euch zum Abschluß der Studientagung, durch die der
20. Jahrestag der Promulgation des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium angemessen gefeiert werden sollte. Ich begrüße euch alle recht herzlich, angefangen bei Erzbischof Francesco Coccopalmerio, dem ich für die Worte danke, die er auch im Namen der Anwesenden an mich gerichtet hat. Ein dankbarer Gruß ergeht an die Kongregation für die Orientalischen Kirchen, an den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen  sowie an das Päpstliche Orientalische Institut, die zusammen mit dem Päpstlichen Rat für die Interpretation von Gesetzestexten diese Tagung ausgerichtet haben. Den Referenten möchte ich herzlich danken für den fundierten wissenschaftlichen Beitrag zu dieser kirchlichen Initiative.

20 Jahre nach der Promulgation des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium wollen wir die Eingebung des Ehrwürdigen Dieners Gottes Johannes Paul II. ehren, der in seinem Bemühen darum, daß die katholischen Ostkirchen »neu erblühen und mit frischer apostolischer Kraft die ihnen anvertraute Aufgabe meistern« (Zweites  Vatikanisches Konzil, Dekret Orientalium Ecclesiarum, 1), diesen altehrwürdigen Kirchen einen vollständigen, gemeinsamen und zeitgemäßen Codex geben wollte. So erfüllte sich »der stets vorhanden gewesene Wille der Päpste, zwei Codices zu promulgieren, einen für die lateinische Kirche und den anderen für die katholischen Ostkirchen« (Apostolische Konstitution Sacri Canones). Gleichzeitig bestätigte sich dadurch »ganz deutlich die stete und feste Absicht des obersten Gesetzgebers in der Kirche hinsichtlich der treuen Wahrung und sorgfältigen Observanz aller Riten« (ebd.).

Auf den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium folgten zwei weitere wichtige Dokumente des Lehramts Johannes Pauls II.: die Enzyklika Ut unum sint (1995) und das Apostolische Schreiben Orientale lumen (1995). Darüber hinaus dürfen wir nicht das Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus vergessen, das vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen veröffentlicht wurde (1993), sowie die Instruktion der Kongregation für die Orientalischen Kirchen zur Ausführung der liturgischen Vorschriften des Codex (1996). In diesen maßgeblichen Dokumenten des Lehramts werden mehrere Canones des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium sowie des Codex Iuris Canonici beinahe wörtlich zitiert, kommentiert und auf das Leben der Kirche angewandt.

Dieser 20. Jahrestag ist nicht nur ein feierliches Ereignis, durch das die Erinnerung gewahrt werden soll, sondern eine von der Vorsehung geschenkte Gelegenheit zur Überprüfung, zu der vor allem die eigenberechtigten katholischen Ostkirchen und ihre Einrichtungen aufgerufen sind, insbesondere die Hierarchien. Diesbezüglich waren die zu überprüfenden Bereiche in der Apostolischen Konstitution Sacri Canones bereits vorgesehen. Es gilt zu überlegen, in welchem Maße der Codex für alle eigenberechtigten katholischen Ostkirchen wirklich Gesetzeskraft besitzt und wie er im täglichen Leben der Ostkirchen umgesetzt wurde und auch, in welchem Maße die gesetzgebende Gewalt einer jeden eigenberechtigten Kirche für die Promulgation des eigenen Partikularrechts gesorgt hat, unter Berücksichtigung der Überlieferungen des eigenen Ritus und der Weisungen des Zweiten  Vatikanischen Konzils.

Die Themen eurer Tagung, die in drei Einheiten unterteilt sind – Geschichte, Partikulargesetzgebungen, ökumenische Perspektiven – geben einen sehr wichtigen Weg vor, auf dem diese Überprüfung vonstatten gehen muß. Sie muß von dem Bewußtsein ausgehen, daß der neue Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen teilweise eine neue disziplinäre Situation geschaffen hat und zum wertvollen Mittel geworden ist, um den eigenen Ritus, verstanden als »das liturgische, theologische, geistliche und disziplinäre Erbe, das sich durch die Kultur und durch die geschichtlichen Ereignisse der Völker unterscheidet und sich durch die eigene Art des Glaubenslebens einer jeden eigenberechtigten Kirche ausdrückt « (Can. 28, §1), zu bewahren und zu fördern.

In diesem Zusammenhang spornen die »sacri canones« der Alten Kirche, die den geltenden östlichen Codex inspirieren, alle Ostkirchen an, die eigene Identität zu wahren, die gleichzeitig östlich und katholisch ist. Durch die Aufrechterhaltung der katholischen Gemeinschaft wollten die katholischen Ostkirchen durchaus nicht die Treue zu ihrer Überlieferung verleugnen. Schon mehrmals wurde betont, daß die bereits verwirklichte volle Einheit der katholischen Ostkirchen mit der Kirche von Rom für jene keine Minderung des Bewußtseins der eigenen Authentizität und Eigenart mit sich bringen darf.

Aufgabe aller katholischen Ostkirchen ist es daher, das gemeinsame disziplinäre Erbe zu wahren und die eigenen Überlieferungen, die einen Reichtum für die ganze Kirche darstellen, am Leben zu erhalten. Die »sacri canones« der ersten Jahrhunderte der Kirche stellen weitgehend ebenso das grundlegende Erbe der kanonischen Disziplin dar, das auch die orthodoxen Kirchen regelt. Die katholischen Ostkirchen können daher einen besonderen und wichtigen Beitrag zum ökumenischen Weg anbieten. Ich freue mich, daß ihr im Verlauf eures Symposions diesen besonderen Aspekt berücksichtigt habt, und ermutige euch, ihn zum Gegenstand weiterer Untersuchungen zu machen, um teilzuhaben an der gemeinsamen Verpflichtung zur Treue gegenüber dem Gebet des Herrn: »Alle sollen eins sein… damit die Welt glaubt…« (Joh 17,21). Liebe Freunde, bei den gegenwärtigen Bemühungen der Kirche um eine Neuevangelisierung wird das Kirchenrecht als besondere und unverzichtbare Ordnung des kirchlichen Gefüges nachhaltig zum Leben und zur Sendung der Kirche in der Welt beitragen, wenn alle Teile des Gottesvolkes es weise zu interpretieren und treu anzuwenden wissen. Ebenso wie der Ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. ermahne ich daher alle geliebten Kinder der Ostkirche, »den gegebenen Weisungen mit aufrichtigem Herzen und demütigem Willen zu folgen und nicht im geringsten daran zu zweifeln, daß die Ostkirchen mit einer erneuerten Disziplin auf bestmögliche Weise für das Wohl der Seelen der christlichen Gläubigen sorgen werden, daß sie stets gedeihen und die ihnen anvertraute Aufgabe erfüllen werden unter dem Schutz der glorreichen und gebenedeiten allzeit jungfräulichen Gottesmutter Maria, die in voller Wahrheit ›Theotókos‹ genannt wird und als erhabene Mutter der Universalkirche erstrahlt« (Apostolische Konstitution Sacri Canones).

Ich begleite diesen Wunsch mit dem Apostolischen Segen, den ich euch erteile sowie allen, die ihren Beitrag leisten in den verschiedenen Bereichen, die mit dem Ostkirchenrecht verbunden sind.

 

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