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PAPST FRANZISKUS

ANGELUS

Petersplatz
Sonntag, 8. November 2015

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Liebe Brüder und Schwestern,
einen guten Tag bei diesem strahlenden Sonnenschein!

Der Abschnitt aus dem Evangelium dieses Sonntags setzt sich aus zwei Teilen zusammen: aus einem, in dem beschrieben wird, wie die Nachfolger Christi nicht sein sollen, und aus einem anderen, in dem das beispielhafte Idealbild eines Christen vorgestellt wird. Beginnen wir mit dem ersten, nämlich was wir nicht tun sollen. Im ersten Teil lastet Jesus den Schriftgelehrten, den Lehrern des Gesetzes, drei Fehler an, die in ihrem Lebensstil offenbar werden: Hochmut, Habgier und Heuchelei. Sie, so die Worte Jesu, »lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben« (Mk 12,38-39). Doch hinter einem so erhabenen Schein verbergen sich Falschheit und Ungerechtigkeit. Während sie sich in der Öffentlichkeit aufplustern, nutzen sie ihre Macht, um die »Witwen um ihre Häuser zu bringen« (vgl. V. 40), die zusammen mit den Waisen und Fremden als die wehrlosesten und schutzlosesten Menschen angesehen wurden. Schließlich »verrichten [die Schriftgelehrten] in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete« (V. 40).

Auch heute besteht die Gefahr, derartige Haltungen anzunehmen. Zum Beispiel wenn man Gebet und Gerechtigkeit voneinander trennt, denn man kann nicht Gott anbeten und den Armen Schaden zufügen. Oder wenn man behauptet, Gott zu lieben, und ihm dagegen seine eigene Eitelkeit, den eigenen Vorteil voranstellt. Und auf dieser Linie steht der zweite Teil des heutigen Evangeliums. Die Szene spielt sich im Tempel von Jerusalem ab, genau gesagt an dem Ort, an dem die Leute Geld als Opfergabe in einen Kasten warfen. Da sind viele Reiche, die viel geben, und dann ist da eine arme Frau, eine Witwe, die gerade einmal etwas Kleingeld, zwei kleine Münzen hineinwirft. Jesus beobachtet jene Frau aufmerksam und lenkt die Aufmerksamkeit seiner Jünger auf den offensichtlichen Gegensatz der Szene. Die Reichen haben unter großer Prahlerei gegeben, was für sie überflüssig war, während die Witwe diskret und bescheiden »alles gegeben [hat], was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt« (V. 44). Daher, so sagt Jesus, hat sie mehr gegeben als alle anderen. Aufgrund ihrer äußersten Armut hätte sie nur ein Geldstück als Opfergabe für den Tempel geben und das andere für sich behalten können. Doch sie will mit Gott nicht »halbe-halbe machen«: sie verzichtet auf alles. In ihrer Armut hat sie verstanden, dass sie alles hat, wenn sie Gott hat. Sie fühlt sich ganz von ihm geliebt und liebt ihn ihrerseits ganz. Was für ein schönes Vorbild, diese alte Frau!

Heute sagt Jesus auch uns, dass der Maßstab nicht die Menge, sondern die Fülle ist. Es besteht ein Unterschied zwischen Menge und Fülle. Du kannst viel Geld haben, aber leer sein: in deinem Herz ist keine Fülle. Denkt in dieser Woche über den Unterschied nach, der zwischen Menge und  Fülle besteht. Das ist keine Frage der Geldbörse, sondern des Herzens. Es besteht ein Unterschied zwischen der Geldbörse und dem Herzen… Es gibt Herzkrankheiten, die das Herz zur Geldbörse herabwürdigen… Und das ist nicht in Ordnung! Gott »mit ganzem Herzen« lieben bedeutet, sich ihm anzuvertrauen, seiner Vorsehung, und ihm in den ärmsten Brüdern und Schwestern zu dienen, ohne irgendetwas als Gegenleistung zu erwarten.

Ich erlaube mir, euch eine Anekdote zu erzählen, zu der es in meinem vorigen Bistum gekommen ist. Eine Mutter war zu Tisch mit ihren drei Kindern. Der Vater war bei der Arbeit. Sie aßen Schnitzel… In dem Moment klopft es an die Tür, und eines der drei Kinder – sie waren klein, fünf, sechs Jahre, sieben das Größte – kommt und sagt: »Mama, da ist ein Bettler, der um etwas zu essen bittet.« Und die Mutter, eine gute Christin, fragt sie: »Was machen wir?« – »Geben wir ihm etwas, Mama…« – »In Ordnung!« Sie nimmt Messer und Gabel und schneidet von jedem Schnitzel die Hälfte ab. »Ach nein, Mama, nein! So nicht! Nimm etwas aus dem Kühlschrank!« – »Nein! Wir bereiten jetzt so drei Brötchen vor!« Und die Kinder haben gelernt, dass das wahre Werk der Nächstenliebe ein Geben ist, man tut es nicht mit dem, was übrig bleibt, sondern mit dem, was notwendig ist. Ich bin mir sicher, dass sie an jenem Nachmittag etwas Hunger gehabt haben… Aber so macht man das!

Angesichts der Bedürfnisse des Nächsten sind wir dazu aufgerufen, auf etwas zu verzichten – wie diese Kinder, auf die Hälfte des Schnitzels –, auf etwas Unverzichtbares, nicht nur auf etwas im Überfluss Vorhandenes. Wir sind dazu aufgerufen, die notwendige Zeit zu schenken, nicht nur die, die übrig bleibt. Wir sind dazu aufgerufen, sofort und vorbehaltlos etwas von unserem  Talent zu geben, nicht nachdem wir es für unsere persönlichen Ziele oder die einer Gruppe genutzt haben. Bitten wir den Herrn, dass er uns in die Schule dieser armen Witwe aufnimmt, die Jesus zum Erstaunen der Jünger auf den Lehrstuhl steigen lässt und als Lehrerin des lebendigen Evangeliums vorstellt. Durch die Fürsprache Marias, der armen Frau, die ihr ganzes Leben Gott für uns hingegeben hat, wollen wir um das Geschenk eines armen Herzens bitten, das jedoch reich an froher und unentgeltlicher Großherzigkeit ist.


Nach dem Angelusgebet:

Liebe Brüder und Schwestern,

ich weiß, dass viele von euch durch die Nachrichten irritiert sind, die in den vergangenen Tagen zu vertraulichen Dokumenten des Heiligen Stuhls im Umlauf waren, die entwendet und veröffentlicht wurden. Deshalb möchte ich euch zunächst sagen, dass der Diebstahl solcher Dokumente eine Straftat ist. Es ist ein beklagenswerter Akt, der nicht hilfreich ist. Ich selbst habe veranlasst, jene Untersuchungen durchzuführen, und mir und meinen Mitarbeitern waren diese Dokumente bereits gut bekannt, und es wurden Maßnahmen ergriffen, die bereits erste – auch einige sichtbare – Früchte zeitigen.

Daher möchte ich euch versichern, dass mich diese traurige Tatsache gewiss nicht von der Arbeit an der Reform abbringt, die wir zusammen mit meinen Mitarbeitern sowie mit der Unterstützung von euch allen voranbringen. Ja, mit der Unterstützung der ganzen Kirche, weil die Kirche durch das Gebet und die tägliche Heiligkeit eines jeden Getauften erneuert wird. Ich danke euch also und ich bitte euch, weiter für den Papst und die Kirche zu beten, ohne euch irritieren zu lassen, sondern indem ihr voll Vertrauen und Hoffnung vorangeht.

Heute wird in Italien das Erntedankfest begangen, das dieses Jahr unter dem Thema steht: »Der Boden, ein gemeinsames Gut.« Ich schließe mich den Bischöfen in ihrer Hoffnung an, dass alle als verantwortliche Verwalter eines kostbaren gemeinsamen Guts handeln, der Erde, deren Früchte eine universale Bestimmung haben. Ich stehe dankbar der Welt der Landwirtschaft nahe und ermutige dazu, die Erde so zu bebauen, dass ihre Fruchtbarkeit bewahrt werde, damit sie Nahrung für alle hervorbringt, heute und für die künftigen Generationen. In diesem Kontext findet in Rom auf Bistumsebene der »Tag zur Bewahrung der Schöpfung« statt, der dieses Jahr durch den »Marsch für die Erde« bereichert wird.

Morgen wird in Florenz der V. Nationale Kirchentag in Anwesenheit der Bischöfe und der Delegierten aller italienischen Bistümer beginnen. Es handelt sich um ein wichtiges Ereignis der Gemeinschaft und des Nachdenkens, an dem auch ich nach einem kurzen Besuch in Prato die Freude haben werde, am kommenden Dienstag teilzunehmen. Ich grüße euch alle voll Zuneigung, die Römer und die Pilger. Besonders die französischen Schüler aus der Region Paris, die Gläubigen aus Japan und Polen wie auch jene aus Scandicci. Ich grüße die Vertreter des Predigerordens – der Dominikaner –, der gestern das 800. Jahr seiner Gründung eröffnet hat. Der Herr segne euch sehr zu diesem Anlass. Und vielen Dank für das, was ihr in der und für die Kirche tut! Und allen wünsche ich einen schönen Sonntag. Und vergesst nicht, für mich zu beten! Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen.

 



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