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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 31. August 2016

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Katechese. 27. Die Barmherzigkeit verleiht Würde (vgl. Mt 9,20-22)

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Das Evangelium, das wir gehört haben, stellt uns eine Gestalt vor Augen, die sich durch ihren Glauben und ihren Mut auszeichnet. Es handelt sich um die Frau, die Jesus von ihren Blutungen geheilt hat (vgl. Mt 9,20-22). Sie tritt durch die Menge hindurch von hinten an Jesus heran, um den Saum seines Gewandes zu berühren. »Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt« (V. 21). Wie viel Glauben! Wie viel Glauben hatte diese Frau! Sie denkt so, weil sie von sehr viel Glauben und großer Hoffnung beseelt ist und mit ein wenig Hinterlist das verwirklicht, was sie im Herzen hat. Der Wunsch, von Jesus gerettet zu werden, ist so groß, dass sie sich über die im Gesetz des Mose verankerten Vorschriften hinwegsetzt. Denn diese arme Frau ist seit vielen Jahren nicht einfach nur krank, sondern wird als unrein betrachtet, weil sie unter Blutfluss leidet (vgl. Lev 15,19-30). Daher ist sie vom Gottesdienst, vom Eheleben und vom normalen Umgang mit dem Nächsten ausgeschlossen.

Und der Evangelist Markus fügt hinzu, dass sie von vielen Ärzten behandelt worden war, dabei ihr ganzes Vermögen ausgegeben und schmerzhafte Behandlungen ertragen hatte, ihr Zustand aber immer nur schlimmer geworden war. Sie war eine von der Gesellschaft ausgeschlossene Frau. Es ist wichtig, diesen Zustand – als Ausgeschlossene – in Betracht zu ziehen, um ihre seelische Verfassung zu verstehen: Sie spürt, dass Jesus sie von der Krankheit und vom Zustand der Ausgrenzung und der Würdelosigkeit befreien kann, in dem sie sich seit Jahren befindet. Mit einem Wort: Sie spürt, dass Jesus ihr das Heil schenken kann.

Dieser Fall lässt uns darüber nachdenken, wie die Frau oft wahrgenommen und dargestellt wird. Wir alle, auch die christlichen Gemeinden, müssen uns hüten vor Auffassungen vom Weiblichen, die von Vorurteilen und Verdächtigungen geprägt sind und seiner unantastbaren Würde schaden. In diesem Sinne stellen gerade die Evangelien die Wahrheit wieder her und führen zu einer befreienden Sichtweise. Jesus hat den Glauben dieser Frau, die von allen gemieden wurde, bewundert und ihre Hoffnung in Heil verwandelt. Wir kennen ihren Namen nicht, aber die wenigen Zeilen, mit denen die Evangelien ihre Begegnung mit Jesus schildern, zeigen einen Weg des Glaubens auf, der die Wahrheit und die Größe der Würde jedes Menschen wiederherstellen kann. In der Begegnung mit Christus öffnet sich für alle – Männer und Frauen an jedem Ort und zu jeder Zeit – der Weg der Befreiung und des Heils.

Im Evangelium nach Matthäus heißt es, dass Jesus, als die Frau sein Gewand berührte, sich »umwandte« und »sie sah« (V. 22) und dann das Wort an sie richtete. Wie gesagt handelte die Frau aufgrund ihrer Ausgrenzung heimlich, trat von hinten an Jesus heran, war etwas ängstlich und wollte nicht gesehen werden, denn sie war eine Ausgeschlossene. Jesus aber sieht sie, und er blickt sie nicht vorwurfsvoll an, er sagt nicht: »Geh weg, du bist eine Ausgeschlossene!«, so als würde er sagen: »Du bist eine Aussätzige, geh weg!« Nein, er macht ihr keine Vorwürfe, sondern der Blick Jesu ist voll Barmherzigkeit und Zärtlichkeit. Er weiß, was geschehen ist, und sucht die persönliche Begegnung mit ihr, was im Grunde auch die Frau selbst wünschte. Das bedeutet, dass Jesus sie nicht nur annimmt, sondern sie dieser Begegnung für würdig erachtet, so dass er ihr sein Wort und seine Aufmerksamkeit schenkt.

Im zentralen Teil des Berichts wird das Wort »Heil« dreimal wiederholt: »Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt« – »Hab keine Angst, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen [dich geheilt]« – »Und von dieser Stunde an war die Frau geheilt« (V. 21- 22). Dieses »Hab keine Angst, Tochter« bringt die ganze Barmherzigkeit Gottes gegenüber diesem Menschen – und gegenüber jedem ausgeschlossenen Menschen – zum Ausdruck. Wie oft fühlen wir uns innerlich ausgeschlossen aufgrund unserer Sünden: Wir haben viele begangen, wir haben viele begangen… Und der Herr sagt zu uns: »Hab keine Angst! Komm! Für mich bist du kein Ausgeschlossener, keine Ausgeschlossene.Hab keine Angst, Tochter! Du bist ein Sohn, eine Tochter.« Und das ist der Augenblick der Gnade, es ist der Augenblick der Vergebung, es ist der Augenblick des Hineingenommenseins in das Leben Jesu, in das Leben der Kirche. Es ist der Augenblick der Barmherzigkeit.

Heute sagt der Herr zu uns allen, die wir Sünder sind – wir sind große Sünder, oder wir sind kleine Sünder, aber wir alle sind es –, zu uns allen sagt er: »Hab keine Angst, komm! Du bist nicht mehr ausgeschlossen: Ich vergebe dir, ich umarme dich.« So ist die Barmherzigkeit Gottes. Wir müssen Mut haben und zu ihm gehen, um Vergebung für unsere Sünden bitten und vorangehen. Mit Mut, wie diese Frau es getan hat. Dann hat das »Heil« zahlreiche Merkmale: Vor allem gibt es der Frau die Gesundheit zurück; dann befreit es sie von den sozialen und religiösen Diskriminierungen; außerdem erfüllt es die Hoffnung, die sie im Herzen trug, und vertreibt ihre Ängste und ihren Kummer; schließlich gibt es sie der Gemeinschaft zurück und befreit sie von der Notwendigkeit, im Verborgenen zu handeln. Und Letzteres ist wichtig: Ein ausgeschlossener Mensch handelt immer im Verborgenen, manchmal oder das ganze Leben lang: Denken wir an die Aussätzigen von damals, an die Obdachlosen von heute…; denken wir an die Sünder, an uns Sünder: Wir tun immer etwas im Verborgenen, wir müssen etwas im Verborgenen tun, weil wir uns dessen schämen, was wir sind… Und er befreit uns davon, Jesus befreit uns und sorgt dafür, dass wir aufrecht stehen: »Steh auf, komm, stell dich auf die Füße!« Wie Gott uns erschaffen hat: Gott hat uns aufrecht erschaffen, nicht gedemütigt. Aufrecht. Jesus schenkt das vollkommene Heil, das das Leben der Frau wieder in die Sphäre der Liebe Gottes einbindet und ihr gleichzeitig ihre volle Würde zurückgibt.

Also nicht das Gewand, das die Frau berührt hat, hat ihr das Heil geschenkt, sondern das im Glauben angenommene Wort Jesu, das in der Lage ist, sie zu trösten, sie zu heilen und ihre Beziehung zu Gott und zu seinem Volk wiederherzustellen. Jesus ist die einzige Quelle des Segens, aus der das Heil für alle Menschen entspringt, und der Glaube ist die Grundvoraussetzung, um es anzunehmen. Erneut zeigt Jesus mit seinem erbarmungsvollen Verhalten der Kirche den Weg auf, den sie gehen muss, um jedem Menschen entgegenzugehen, damit jeder an Leib und Geist geheilt werden undie Würde der Gotteskindschaft wiedererlangen kann. Danke.

* * *

Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger deutscher Sprache. Besonders grüße ich die Gruppen aus Höchstadt, Ostfildern und die Schüler des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums aus Münster. Ich wünsche euch einen guten Aufenthalt in Rom. Gott segne euch alle.

 



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