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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Bibliothek im Apostolischen Palast
Mittwoch, 28. April 2021

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Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Heute sprechen wir über die Gebetsform der Meditation oder Betrachtung. Für den Christen bedeutet »meditieren«, eine Synthese zu suchen: Es bedeutet, sich dem großen Abschnitt der Offenbarung gegenüberzustellen, um zu versuchen, ihn uns zu eigen zu machen, indem wir ihn vollständig annehmen. Und nachdem der Christ das Wort Gottes angenommen hat, hält er es nicht in sich verschlossen, denn jenes Wort muss »einem anderen Buch« begegnen, das der Katechismus das »Buch des Lebens« nennt (Katechismus der Katholischen Kirche, 2706). Danach streben wir immer, wenn wir das Wort Gottes betrachten.

Die Praxis der Meditation hat in diesen Jahren große Aufmerksamkeit erfahren. Nicht nur die Christen sprechen darüber: Es gibt in nahezu allen Religionen der Welt eine Meditationspraxis. Es handelt sich jedoch um eine Tätigkeit, die auch unter Menschen verbreitet ist, die keine religiöse Lebensanschauung haben. Wir alle müssen meditieren, nachdenken, uns selbst finden: Das ist eine menschliche Dynamik. Vor allem in der schnelllebigen westlichen Welt sucht man die Meditation, weil sie einen Damm darstellt, der gebaut wird gegen den täglichen Stress und die Leere, die sich überall verbreitet. Da ist also das Bild von Jugendlichen und Erwachsenen, die gesammelt, schweigend, mit halbgeschlossenen Augen da sitzen… Aber wir können uns fragen: Was tun diese Menschen? Sie meditieren. Es ist ein Phänomen, das wohlwollend betrachtet werden muss: Denn wir sind nicht dazu gemacht, ständig in Eile zu sein. Wir besitzen ein inneres Leben, das nicht immer mit Füßen getreten werden darf. Meditieren ist also etwas, das jeder braucht. Meditieren bedeutet, gleichsam innezuhalten und im Leben Atem zu holen.

Wir merken jedoch, dass dieses Wort, sobald es in einen christlichen Kontext aufgenommen wird, eine Besonderheit annimmt, die nicht beseitigt werden darf. Meditieren ist eine notwendige menschliche Dimension, aber im christlichen Kontext zu meditieren geht darüber hinaus: Diese Dimension darf nicht beseitigt werden. Die große Tür, durch die das Gebet eines Getauften führt – wir erinnern noch einmal daran –, ist Jesus Christus. Für den Christen tritt die Meditation durch die Tür Jesu Christi ein. Auch die Praxis der Meditation folgt diesem Weg. Und wenn der Christ betet, dann strebt er nicht nach der völligen Transparenz seiner selbst; er macht sich nicht auf die Suche nach dem tiefsten Kern seines Ichs. Das ist gestattet, aber der Christ sucht etwas anderes. Das Gebet des Christen ist vor allem Begegnung mit dem Anderen, aber mit dem Anderen mit einem großen »A«: die transzendente Begegnung mit Gott. Wenn eine Gebetserfahrung uns den inneren Frieden oder die Selbstbeherrschung oder die klare Erkenntnis über den einzuschlagenden Weg schenkt, so sind diese Ergebnisse sozusagen Nebenwirkungen der Gnade des christlichen Gebets, das die Begegnung mit Jesus ist. Meditieren bedeutet also, zur Begegnung mit Jesus zu gehen, geleitet von einem Satz oder von einem Wort der Heiligen Schrift.

Der Begriff »Meditation« hatte im Laufe der Geschichte verschiedene Bedeutungen. Auch innerhalb des Christentums nimmt er Bezug auf verschiedene geistliche Erfahrungen. Dennoch lässt sich eine gemeinsame Linie ausfindig machen, und dabei hilft uns erneut der Katechismus, in dem es heißt: »Die Methoden betrachtenden Gebetes sind so unterschiedlich wie die geistlichen Lehrer. […] Eine Methode aber ist nur ein Führer. So ist es wichtig, mit dem Heiligen Geist auf Christus Jesus, dem einzigen Weg des Gebetes, voranzuschreiten« (Nr. 2707). Und hier wird ein Wegbegleiter aufgezeigt, jemand, der uns führt: der Heilige Geist. Die christliche Meditation ohne den Heiligen Geist ist nicht möglich. Er führt uns zur Begegnung mit Jesus. Jesus hat zu uns gesagt: »Ich werde euch den Heiligen Geist senden. Er wird euch lehren und euch erklären. Er wird euch lehren und euch erklären.« Und auch in der Meditation ist der Heilige Geist der Führer, um in der Begegnung mit Jesus Christus voranzugehen.

Es gibt also viele Methoden der christlichen Meditation: einige sehr nüchtern, andere stärker artikuliert; einige betonen die intellektuelle Dimension des Menschen, andere vielmehr die affektive und die emotionale Dimension. Es sind Methoden. Alle sind wichtig, und alle sind es wert, praktiziert zu werden, da sie der Glaubenserfahrung helfen können, ein allumfassender Akt des Menschen zu werden: Nicht nur der Verstand betet, sondern der ganze Mensch betet, die ganze Person, ebenso wie nicht nur das Empfinden betet. Die Menschen der Antike pflegten zu sagen, dass das Organ des Gebets das Herz sei, und so erklärten sie, dass der ganze Mensch von seinem Mittelpunkt, dem Herzen, her zu Gott in Beziehung trete, und nicht nur einige seiner Fähigkeiten. Daher muss man stets daran denken, dass die Methode ein Weg und kein Ziel ist: Jede Gebetsmethode ist, wenn sie christlich sein soll, Teil jener »sequela Christi«, die das Wesen unseres Glaubens ist. Die Meditationsmethoden sind Wege, die beschritten werden, um zur Begegnung mit Jesus zu gelangen. Wenn du aber auf dem Weg haltmachst und nur den Weg betrachtest, dann wirst du Jesus niemals finden. Du wirst aus dem Weg einen Götzen machen, während der Weg ein Mittel ist, um dich zu Jesus zu bringen. Der Katechismus erläutert: »Das betrachtende Gebet macht vom Denken, von der Einbildungskraft, von der Gefühlsbewegung und vom Verlangen Gebrauch. Dieser Einsatz ist notwendig, um die Wahrheiten des Glaubens zu vertiefen, die Umkehr des Herzens anzuregen und den Willen zur Nachfolge Christi zu stärken. Das christliche Gebet bemüht sich vor allem, über die ›Mysterien Christi‹ nachzusinnen« (Nr. 2708).

Das also ist die Gnade des christlichen Gebets: Christus ist nicht fern, sondern er steht immer in Beziehung zu uns. Es gibt keinen Aspekt seiner gottmenschlichen Person, der für uns nicht zum Ort des Heils und der Glückseligkeit werden kann. Jeder Augenblick des irdischen Lebens Jesu kann durch die Gnade des Gebets für uns gegenwärtig werden, dank des Heiligen Geistes, der uns führt. Aber ihr wisst, dass man ohne die Führung des Heiligen Geistes nicht beten kann.

Er ist es, der uns führt! Und dank des Heiligen Geistes sind auch wir am Jordan dabei, als Jesus dort eintaucht, um die Taufe zu empfangen. Auch wir sind Tischgenossen bei der Hochzeit in Kana, als Jesus den besseren Wein schenkt für das Glück der Brautleute. Es ist also der Heilige Geist, der uns mit diesen Geheimnissen des Lebens Christi verbindet, damit wir in der Betrachtung Jesu die Erfahrung des Gebets machen, um uns mit ihm zu vereinen. Auch wir wohnen staunend den zahlreichen Heilungen bei, die der Meister vollbringt. Nehmen wir das Evangelium zur Hand, betrachten wir jene Geheimnisse des Evangeliums, und der Geist führt uns, um dort gegenwärtig zu sein. Und im Gebet – wenn wir beten – sind wir alle wie der gereinigte Aussätzige; der blinde Bartimäus, der das Augenlicht zurückerhält; Lazarus, der aus dem Grab herauskommt… Auch wir sind im Gebet geheilt wie der blinde Bartimäus, jener andere, der Aussätzige…

Auch wir sind auferstanden, wie Lazarus auferweckt wurde, denn das betrachtende Gebet unter der Führung des Heiligen Geistes bringt uns dahin, diese Geheimnisse des Lebens Christi erneut zu erleben und Christus zu begegnen und mit dem Blinden zu sagen: »Herr, hab Erbarmen mit mir! Hab Erbarmen mit mir« – »Was willst du denn?« – »Sehen, in jenen Dialog eintreten.« Und die christliche Meditation, geführt vom Heiligen Geist, bringt uns diesen Dialog mit Jesus. Es gibt keine Stelle im Evangelium, in der kein Platz für  uns wäre. Meditieren ist für uns Christen eine Form, Jesus zu begegnen. Und so, nur so uns selbst zu finden. Und das ist keine Selbstbezogenheit, nein: zu Jesus gehen und von Jesus her uns selbst begegnen, geheilt, auferstanden, stark für die Gnade Jesu. Und Jesus als dem Retter aller Menschen, auch als meinem Retter, begegnen. Und das dank der Führung des Heiligen Geistes.

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Von Herzen grüße ich die Gläubigen deutscher Sprache. Wenn wir oft das Geheimnis der Liebe Gottes zu uns im Leben Jesu betrachten, schreiten wir in der Nachfolge Christi voran. So können wir uns immer mehr dem menschgewordenen Wort Gottes gleichgestalten lassen, dem wahren Ziel unseres Lebens und dem einzigen Quell unseres ewigen Glücks.

 



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