Index   Back Top Print

[ DE ]

PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Verringern wir den Abstand

Freitag, 26. Juni 2015

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 28, 10. Juli 2015

 

Sich den ausgegrenzten Menschen nähern, den Abstand zu ihnen verringern, so dass man sie berühren kann, ohne Angst sich schmutzig zu machen: So sieht »christliche Nähe« aus, die Jesus uns konkret gezeigt hat, als er den Aussätzigen von der Unreinheit der Krankheit befreite und auch von der gesellschaftlichen Ausgrenzung. In der heiligen Messe am 26. Juni, die der Papst wie gewohnt morgens im Gästehaus Santa Marta feierte, forderte er alle Christen und die gesamte Kirche zu dieser Haltung der »Nähe« auf. Die nächste Frühmesse in Santa Marta ist für den 1. September vorgesehen.

»Als Jesus von dem Berg herabstieg, folgten ihm viele Menschen«: Franziskus begann seine Predigt mit diesen Worten aus dem Abschnitt des Matthäusevangeliums (8,1-4) der Liturgie vom Tage. All diese Menschen »hatten seine Katechesen gehört: sie waren betroffen, denn er sprach zu ihnen ›mit Vollmacht‹ und nicht wie die Schriftgelehrten«, die sie gewöhnlich hörten. Diese Menschen seien Jesus gefolgt und nicht müde geworden, ihm zuzuhören, so dass sie »den ganzen Tag dortblieben« und den Aposteln schließlich klar geworden sei, dass sie Hunger haben müssten. Aber »Jesus zuzuhören, bereitete ihnen eine große Freude«. Und so seien sie ihm gefolgt und hätten ihn umringt, »als Jesus zu Ende geredet hatte und vom Berg herabstieg«. Diese Menschen, so der Papst, »gingen mit Jesus auf den Straßen, auf den Wegen«.

Aber »da gab es auch andere, die ihm nicht folgten. Sie beobachteten ihn von weitem, voller Neugier, und fragten sich: Wer ist das?« Denn, so erläuterte der Papst, »sie hatten die Katechesen nicht gehört, die so betroffen machten«. So habe es Menschen gegeben, »die vom Bürgersteig aus zusahen«, und wieder andere, »die sich nicht nähern durften, weil das Gesetz es ihnen verbot: Sie waren ›unrein‹«. Zu diesen habe der Aussätzige gehört, von dem Matthäus in seinem Evangelium spreche.

»Dieser Aussätzige spürte in seinem Herzen den Wunsch, sich Jesus zu nähern: Er nahm all seinen Mut zusammen und tat es.« Aber »er war ein Ausgegrenzter« und deshalb »durfte er es eigentlich nicht«. Dennoch tat er es: Er »glaubte an jenen Mann, nahm seinen Mut zusammen und näherte sich«, wobei er »ganz einfach seine Bitte an ihn richtete: ›Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde.‹« Er habe dies gesagt, »weil er ›unrein‹ war«. Denn »der Aussatz war eine Verurteilung auf Lebenszeit«. Und »einen Aussätzigen zu heilen war genauso schwer, wie einen Toten aufzuerwecken: Deshalb wurden sie ausgegrenzt, alle zusammen, sie durften nicht mit den anderen Menschen in Berührung kommen.«

Es habe aber auch solche gegeben, »die sich selbst ausgrenzten«, erklärte Franziskus: »Die Schriftgelehrten, die immer mit dem Wunsch auf Jesus blickten, ihn auf die Probe zu stellen, ihn in eine Falle tappen zu lassen und dann zu verurteilen. « Dagegen habe der Aussätzige gewusst, dass er »unrein, krank war, und er näherte sich«. »Und was tat Jesus?«, fragte der Papst. Er blieb nicht still stehen, ohne ihn zu berühren, sondern er näherte sich ihm noch mehr, streckte die Hand aus und heilte ihn. »Nähe«, so erläuterte der Papst, sei ein »sehr wichtiges Wort: es kann ohne Nähe keine Gemeinschaft geben; man kann nicht Frieden schließen ohne mehr Nähe; man kann nicht Gutes tun, ohne sich zu nähern.« Jesus hätte einfach zu ihm sagen können: »Sei geheilt! « Stattdessen habe er sich aber dem Aussätzigen genähert und ihn berührt. »Mehr noch: Im selben Augenblick, in dem Jesus den Aussätzigen berührte, wurde er selbst unrein.« Und »das ist das Geheimnis Jesu: Er nimmt unseren Schmutz, unsere Unreinheiten auf sich.«

Das sei eine Realität, so fuhr der Papst fort, die der heilige Paulus gut ausdrückt, wenn er schreibt: »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich.« Und dann gehe Paulus noch weiter, indem er sage, dass »er zur Sünde geworden ist«. Jesus ist zur Sünde geworden, Jesus hat sich ausgeschlossen, er hat die Unreinheit auf sich genommen, um sich dem Menschen zu nähern: »Jesus hielt nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich, er näherte sich, er wurde zur Sünde, er wurde unrein.« Franziskus fügte hinzu: »Sehr oft denke ich, dass es zwar nicht unmöglich, aber äußerst schwierig ist, Gutes zu tun, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.« Und »Jesus machte sich schmutzig durch seine Nähe«. Aber dann sei er noch weitergegangen, wie Matthäus berichte, und habe zu dem von der Krankheit befreiten Mann gesagt: »Geh, zeig dich dem Priestern und tu, was man tun muss, wenn ein Aussätziger geheilt worden ist.« Kurz gesagt, »wer vom sozialen Leben ausgeschlossen war, den schließt Jesus ein: er schließt ihn in die Kirche ein, er schließt ihn in die Gesellschaft ein«. Er rate ihm: »Geh, damit alle Dinge so sind, wie sie sein müssen.« »Jesus grenzt also nie jemanden aus, niemals!« Ja mehr noch, Jesus »grenzt sich selbst aus, um die Ausgegrenzten einzuschließen, um uns, die Sünder, die Ausgegrenzten, durch sein Leben einzuschließen.«

Und das »ist schön«, sagte der Papst. »Wie viele Menschen folgten Jesus damals und wie viele folgen Jesus in der Geschichte, weil sie tief betroffen sind, von dem, was er sagt«, unterstrich Franziskus. Und »wie viele blicken aus weiter Entfernung auf ihn und verstehen nichts. Es interessiert sie nicht. Und wie viele blicken aus der Ferne auf ihn mit einem böswilligen Herzen, um Jesus auf die Probe zu stellen, ihn zu kritisieren, ihn zu verurteilen.« Und »wie viele blicken aus weiter Ferne auf ihn, weil sie nicht den Mut haben, den jener Aussätzige hatte. Dabei würden sie sich ihm so gerne nähern.« »Jesus hat zuerst die Hand ausgestreckt. Nicht wie in diesem Fall, sondern in seinem Sein hat er die Hand nach uns allen ausgestreckt, indem er einer von uns geworden ist: Sünder wie wir, aber ohne Sünde; Sünder, beschmutzt von unseren Sünden.« Und »das ist christliche Nähe«. »Das ist ein schönes Wort für uns alle: Nähe«, fuhr der Papst fort. Er schlug vor sich zu fragen: »Weiß ich mich zu nähern? Habe ich die Kraft, den Mut, die Ausgegrenzten zu berühren?« »Auch für die Kirche, die Pfarrgemeinden, die Gemeinschaften, die Gottgeweihten, die Bischöfe, Priester, für alle« sei es gut, auf diese Frage zu antworten: »Habe ich den Mut, mich zu nähern, oder bleibe ich immer auf Distanz? Habe ich den Mut, den Abstand zu verringern, wie das Jesus getan hat?«

Franziskus betonte: »Jetzt wird sich Jesus uns auf dem Altar nähern: er wird den Abstand verringern. « Daher »wollen wir ihn um diese Gnade bitten: Herr, lass mich keine Angst haben, mich den Bedürftigen zu nähern; den Bedürftigen, die man sieht, und denen, deren Wunden verborgen sind.« Das sei, so schloss der Papst, »die Gnade, mich zu nähern«.



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana