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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Der Glaube ist konkret

Montag, 24. April 2017
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 19, 12. Mai 2017)

 

Was heißt es, Ostern, den »österlichen Geist« wirklich zu leben? Das ist eine notwendige Frage, denn für den Christen besteht die Gefahr der »Idealisierung« und des Vergessens der Tatsache, dass »unser Glaube konkret ist«. In der ersten Messe nach den Osterfesttagen hat Papst Franziskus am Montag, den 24. April, den Weg abgesteckt, den es einzuschlagen gilt: »auf den Wegen des Geistes zu gehen, ohne Kompromisse«, und so mutig und unbefangen die Wahrheit zu bezeugen.

Um dieses Lebensprogramm zu verstehen, ist es notwendig, »zu einer anderen Denkweise überzugehen«, sich von den Schlingen des »Rationalismus « zu befreien und der »Freiheit« des Geistes zuzustimmen. Und das ist es, was Jesus dem Nikodemus im Evangelium in der berühmten Episode des nächtlichen Besuchs erklärt (Joh3,1-8), mit der sich der Papst bei seinem Kommentar zur heutigen Liturgie auseinandersetzte. »Dieser Pharisäer war ein guter Mann. Er war unruhig, er verstand nicht. Sein Herz war umnachtet. « Es handelte sich aber um »eine Nacht, die anders war als die des Judas. Denn dies ist eine Nacht, die Nikodemus dazu führte, sich Jesus zu nähern, Judas dagegen hatte sich in einer Nacht von ihm entfernt.« Nikodemus war zu Jesus gegangen, um »Erklärungen zu erbeten«, und erhielt eine Antwort, die »er nicht versteht«. Es hat fast den Anschein, als »wolle Jesus die Dinge komplizieren oder ihn in Verlegenheit bringen«.

Er antwortet nämlich: »Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.« Nikodemus fragt: »Aber wie kann man ein zweites Mal geboren werden?« Er scheint, wie Franziskus anmerkte, »ein wenig ironisch zu sein, aber dem ist nicht so«. Es ist vielmehr Ausdruck einer großen inneren Pein. Jesus also erklärt, dass es sich um »einen Übergang von einer Denkweise zu einer anderen« handelt, und »mit viel Geduld, mit viel Liebe hilft er diesem Mann guten Willens bei diesem Übergang«.

Der Papst verweilte bei der Antwort Jesu: »Doch was bedeutet es, ›aus Geist geboren zu werden‹? Was bedeutet: ›Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist‹?« Und er unterstrich, dass man in dieser Botschaft »eine Atmosphäre der Freiheit« wahrnehmen kann. Es bleibe eine nicht leichte Rede und »um sie besser zu verstehen – so der Rat des Papstes – erleuchtet uns die erste Lesung«. Im Abschnitt aus der Apostelgeschichte (4,23-31) begegnet man nämlich »dem Ende einer Geschichte, die die Liturgie während der ganzen Osterwoche vorgelegt hat. Die Begebenheit, wie Petrus und Johannes einen Gelähmten heilen, der jeden Tag an das Tor des Tempels gebracht wurde, das man die Schöne Pforte nannte, um dort um Almosen zu betteln.« Diese Lesung wirft ein Licht auf die Rede an Nikodemus. Der Papst erklärte dies, indem er die Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass »alle Leute, die dort in der Halle des Salomon waren «, »gesehen« hatten und voll Verwunderung und Staunen waren. Es handelt sich um »jenes Gefühl – mehr als ein Gefühl: um jenen Seelenzustand, den die Gegenwart des Herrn in uns schafft. Das Staunen. Die Begegnung mit dem Herrn bringt zum Staunen.«

Angesichts dessen waren die Ältesten, die Hohenpriester, die Gesetzeslehrer »verärgert« und fragten sich in dem Bewusstsein, dass das Wunder öffentlich war: »Was machen wir?« Dasselbe geschah, so der Papst, als Jesus den Blindgeborenen heilte. Die Anwesenden also fragten sich: »Wie stellen wir es an, das zu verdecken? Denn die Leute haben gesehen, die Leute glauben, wir haben den Beweis… Wie soll man das verbergen?« Im übrigen sahen sie jenen Gelähmten, der »vor Freude umhersprang, um sie begreifen zu lassen, dass Jesus ihn geheilt hatte«. Die Gesetzeslehrer kamen überein, die beiden Apostel zu rufen und »ihnen zu sagen, nicht mehr zu sprechen, nicht mehr zu predigen«, doch als sie »ihnen einen Vorschlag« machten, entgegnete Petrus, gerade er, der »Jesus drei Mal verleugnet hatte«: »Nein! Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben. Und… wir werden so weitermachen.«

Das also ist das Detail, das alles klärt. Die »beiden Worte«, bei denen es sich dann um dieselben handelt, mit denen Johannes seinen ersten Brief beginnt: »was wir gesehen und gehört haben«. Es handelt sich, worauf der Papst aufmerksam machte, um die Konkretheit. Um die Konkretheit einer Tatsache. Um die Konkretheit des Glaubens. Um die Konkretheit der Fleischwerdung des Wortes. Angesichts dessen »wollen die Ältesten in Verhandlungen treten, um zu einem Kompromiss zu gelangen«. Doch die Apostel »wollen keine Kompromisse; sie haben Mut. Sie haben die Unbefangenheit, den Freimut des Geistes.« »Freimut bedeutet, offen zu sprechen, mutig.« Dies also ist der Punkt: die Konkretheit des Glaubens.

Ein Schlussfolgerung, die jeden Christen angeht. Franziskus rief in Erinnerung: »Bisweilen vergessen wir, dass unser Glaube konkret ist: das Wort ist Fleisch geworden, es ist keine Idee geworden: es ist Fleisch geworden.« Es ist kein Zufall, dass wir, »wenn wir das Glaubensbekenntnis beten, Konkretes sagen: ›Ich glaube an Gott, den Vater, der Himmel und Erde geschaffen hat, ich glaube an Jesus Christus, der geboren wurde, der gestorben ist…‹, das sind alles konkrete Dinge. Unser Glaubensbekenntnis lautet nicht: ›Ich glaube, dass ich das und das und das tun muss und dass die Dinge dafür da sind…‹: Nein! Es handelt sich um konkrete Dinge.« Und »die Konkretheit des Glaubens« führt »zur Unbefangenheit, zum Zeugnis bis zum Martyrium, was gegen die Kompromisse und die Idealisierung des Glaubens ist«. Man könnte sagen, dass für jene Gesetzeslehrer »das Wort nicht Fleisch geworden ist: es ist Gesetz geworden«. Für sie war nur das Festlegen wichtig: »man muss das bis zu dem Punkt tun und nicht mehr; man muss das tun…

Und so waren sie in dieser rationalistischen Mentalität gefangen.« Eine Mentalität jedoch, so die Warnung des Papstes, »die mit ihnen kein Ende genommen hat«. Denn in der Geschichte ist jene Kirche, die »den Rationalismus, die Aufklärung« verurteilt hat, dann selbst »einer Theologie des ›man darf und man darf nicht‹ verfallen, ›bis hierher und nicht weiter‹, und sie hat die Kraft, die Freiheit des Geistes vergessen, dieses aus dem Geist geboren werden, das dir die Freiheit, die Unbefangenheit in der Verkündigung schenkt, in der Verkündigung, dass Jesus Christus der Herr ist.«

Mit diesem Leseschlüssel, erklärte der Papst, versteht man auch »die Geschichte der Verfolgungen «. Und tatsächlich heißt es in der ersten Lesung: »Die Könige der Erde stehen auf, und die Herrscher haben sich verbündet gegen den Herrn und seinen Gesalbten. Wahrhaftig, verbündet haben sich in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels.«

Daraus ergibt sich also die immer noch aktuelle Lehre: »Wir wollen den Herrn um diese Erfahrung des Geistes bitten, der kommt und geht und voranbringt, des Geistes, der uns die Salbung des Glaubens schenkt, die Salbung der Konkretheit des Glaubens.« Erneut erklingen die Worte an Nikodemus: »Wundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.« Wer aus dem Geist geboren ist, »hört die Stimme, er folgt dem Wind, er folgt der Stimme des Geistes, ohne zu wissen, wo er enden wird. Denn er hat sich für die Konkretheit des Glaubens und die Neugeburt aus dem Geist entschieden.«

Papst Franziskus schloss mit einem Gebet: »Der Herr schenke uns allen diesen österlichen Geist, auf den Wegen des Geistes zu gehen, ohne Kompromisse, ohne Starrheit, in der Freiheit, Jesus Christus so zu verkündigen, wie er gekommen ist: im Fleisch.«

 



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