Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PL  - PT ]

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY

(5.-13. JULI 2015)

EUCHARISTIEFEIER

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Ñu-Guazú-Park, Asunción (Paraguay)
Sonntag, 12. Juli 2015

[Multimedia]


 

„Der Herr spendet den Regen, und unser Land gibt seinen Ertrag“, sagt der Psalm (vgl. 85,13). Das zu feiern, sind wir eingeladen, dieses geheimnisvolle Miteinander von Gott und seinem Volk, zwischen Gott und uns. Der Regen ist ein Zeichen seiner Gegenwart in dem Land, das wir mit unseren Händen bearbeiten. Ein Miteinander, das immer Ertrag bringt, das immer Leben schenkt. Diese Zuversicht entspringt dem Glauben; zu wissen, dass wir auf seine Gnade zählen können, die unser Land immer verwandeln und bewässern wird.

Eine Zuversicht, die man lernt, die in der Erziehung vermittelt wird. Eine Zuversicht, die sich im Schoß einer Gemeinschaft entwickelt, im Leben einer Familie. Eine Zuversicht, die zum Zeugnis wird auf den Gesichtern von vielen, die uns anregen, Jesus zu folgen, Apostel dessen zu sein, der niemals enttäuscht. Der Jünger fühlt sich eingeladen zu vertrauen, er fühlt sich von Jesus eingeladen, sein Freund zu sein, sein Schicksal zu teilen, an seinem Leben teilzuhaben. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte … Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Die Jünger sind diejenigen, die lernen, im zuversichtlichen Vertrauen der Freundschaft mit Jesus zu leben.

Und das Evangelium spricht uns von dieser Jüngerschaft. Es stellt uns die „Kennkarte“ des Christen vor. Seine Visitenkarte, sein Beglaubigungsschreiben.

Jesus ruft seine Jünger und sendet sie aus, indem er ihnen klare, genaue Regeln gibt. Er fordert sie heraus mit einer Reihe von Grundhaltungen, von Verhaltensweisen, die sie haben müssen. In nicht wenigen Fällen können diese uns übertrieben oder absurd erscheinen; leichter wäre es, sie als symbolisch zu betrachten oder „geistlich“ zu interpretieren. Doch Jesus ist ganz klar. Er sagt ihnen nicht: „Tut, als ob…“ oder „Tut, was ihr könnt“.

Erinnern wir uns gemeinsam an diese Ratschläge: „Nehmt nichts auf den Weg mit außer einem Wanderstab; kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld… Bleibt in dem Haus, in dem man euch beherbergt.“ Es scheint unmöglich zu sein.

Wir könnten uns auf die Worte „Brot“, „Geld“, Vorratstasche“, Wanderstab“, Sandalen“, „Hemd“ konzentrieren. Und das ist durchaus zulässig. Doch mir scheint, dass es ein Schlüsselwort gibt, das angesichts der Schlagkraft der anderen, die wir eben aufgezählt haben, übersehen werden könnte. Ein zentrales Wort in der christlichen Spiritualität, in der Erfahrung der Jüngerschaft: Gastfreundschaft. Er sagt ihnen: „Bleibt in dem Haus, in dem man euch beherbergt.“ Er sendet sie aus, damit sie eines der grundlegenden Merkmale der Gemeinschaft der Gläubigen lernen. Wir könnten sagen, dass derjenige Christ ist, der gelernt hat, Gastfreundschaft zu gewähren, der gelernt hat zu beherbergen.

Jesus sendet sie nicht aus als Mächtige, als Eigentümer, als Anführer oder befrachtet mit Gesetzen und Anweisungen. Im Gegenteil, er zeigt ihnen, dass der Weg des Christen einfach darin besteht, das Herz zu verwandeln – das eigene und dann zu helfen, das der anderen zu verwandeln; zu lernen, in einer anderen Weise zu leben, mit einem anderen Gesetz, unter einer anderen Anweisung. Es bedeutet, von der Logik des Egoismus, der Verschlossenheit, des Kampfes, der Spaltung und der Übermacht zur Logik des Lebens, der Unentgeltlichkeit und der Liebe überzugehen. Von der Logik des Herrschens, des Niederdrückens, des Manipulierens zur Logik des Aufnehmens, des Empfangens und des Pflegens.

Zwei Logiken sind im Spiel, zwei Arten, das Leben anzugehen und die Mission anzugehen.

Wie oft denken wir an die Mission auf der Grundlage von Projekten und Programmen! Wie oft stellen wir uns die Evangelisierung in Verbindung mit tausend Strategien, Taktiken, Manövern, Kniffen vor und meinen, dass die Leute sich aufgrund unserer Argumente bekehren. Heute sagt es uns der Herr ganz klar: In der Logik des Evangeliums überzeugt man nicht mit Argumenten, mit Strategien, mit Taktiken, sondern einfach, indem man lernt zu beherbergen, Gastfreundschaft zu gewähren.

Die Kirche ist eine Mutter mit offenem Herzen, die aufzunehmen und zu empfangen versteht, besonders die, welche größerer Pflege bedürfen, die in größeren Schwierigkeiten sind. Die Kirche, wie Jesus sie möchte, ist das Haus der Gastfreundschaft. Und wieviel Gutes können wir tun, wenn wir uns dazu aufschwingen, diese Sprache der Gastfreundschaft, diese Sprache des Empfangens, des Aufnehmens zu lernen. Wie viele Wunden, wieviel Verzweiflung kann man heilen in einem Heim, wo einer sich willkommen fühlen kann. Darum muss man die Türen offen halten, vor allem die Türen des Herzens.

Gastfreundschaft gegenüber dem Hungrigen, dem Durstigen, dem Fremden, dem Nackten, dem Kranken, dem Gefangenen (vgl. Mt 25,34-37), dem Aussätzigen, dem Gelähmten. Gastfreundschaft gegenüber dem, der nicht so denkt wie wir, gegenüber dem, der keinen Glauben hat oder der ihn verloren hat – und manchmal durch unsere Schuld. Gastfreundschaft gegenüber dem Verfolgten, dem Arbeitslosen. Gastfreundschaft gegenüber den verschiedenen Kulturen, an denen dieses Land Paraguay so reich ist. Gastfreundschaft gegenüber dem Sünder, denn ein solcher ist auch jeder von uns.

Oftmals vergessen wir, dass es ein Übel gibt, das unseren Sünden vorausgeht, das zuvor kommt. Es gibt eine Wurzel, die viel, sehr viel Schaden anrichtet und die in aller Stille so viele Leben zerstört. Es gibt ein Übel, das sich nach und nach in unserem Herzen einnistet und unsere Vitalität „verzehrt“: die Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die viele Ursachen, viele Gründe haben kann. Wie sehr zerstört sie das Leben und wie sehr schadet sie uns! Sie trennt uns von den anderen, von Gott und von der Gemeinschaft. Sie schließt uns ein in uns selbst. Daher soll das Eigentliche der Kirche, dieser Mutter, nicht in erster Linie darin bestehen, Dinge,  Projekte in die Wege zu leiten, sondern darin, die Brüderlichkeit mit den anderen zu lernen. Die gastfreundliche Geschwisterlichkeit ist das beste Zeugnis dafür, dass Gott Vater ist, denn „daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35).

Auf diese Weise eröffnet Jesus uns eine neue Logik. Einen Horizont voller Leben, Schönheit, Wahrheit, einen Horizont der Fülle.

Gott verschließt niemals Horizonte; Gott bleibt niemals passiv angesichts des Lebens, er bleibt niemals passiv angesichts des Leidens seiner Kinder. Gott lässt sich in seiner Großzügigkeit niemals übertreffen. Darum sendet er uns seinen Sohn, schenkt ihn, gibt ihn hin, teilt ihn mit uns, damit wir den Weg der Geschwisterlichkeit, den Weg der Hingabe lernen. Es ist ein entschieden neuer Horizont, es ist ein neues Wort für so viele Situationen der Ausschließung, der Spaltung, der Verschlossenheit, der Isolierung. Es ist ein Wort, welches das Schweigen der Einsamkeit durchbricht.

Und wenn wir müde sind oder die Aufgabe des Evangelisierens uns schwer wird, ist es gut, uns daran zu erinnern, dass das Leben, das Jesus uns vorschlägt, den tiefsten Bedürfnissen der Menschen entspricht, denn wir alle sind für die Freundschaft mit Jesus und für die Bruderliebe geschaffen (Evangelii gaudium 265).

Eines ist sicher: Wir können niemanden dazu verpflichten, uns zu empfangen, uns zu beherbergen; es ist sicher, und es gehört zu unserer Armut und zu unserer Freiheit. Doch es ist auch sicher, dass niemand uns verpflichten kann, nicht aufnahmebereit und gastfreundlich gegenüber dem Leben unseres Volkes zu sein. Niemand kann von uns verlangen, dass wir das Leben unserer Brüder und Schwestern nicht aufnehmen und in die Arme schließen, besonders das Leben derer, welche die Hoffnung und die Lebensfreude verloren haben. Wie schön ist es, uns unsere Pfarreien, Gemeinschaften, Kapellen, wo die Christen sind, nicht mit verschlossenen Türen, sondern als wahre Zentren der Begegnung unter uns und mit Gott vorzustellen! Als Orte der Gastfreundschaft und der Aufnahme.

Die Kirche ist Mutter wie Maria. In ihr haben wir ein Vorbild. Beherbergen wie Maria, die das Wort Gottes nicht beherrschte, noch sich seiner bemächtigte, sondern im Gegenteil es beherbergte, in ihrem Schoß trug und hingab.

Beherbergen wie die Erde, die den Samen nicht beherrscht, sondern ihn empfängt, ihn nährt und ihn aufkeimen lässt.

So möchten wir Christen sein, so möchten wir unseren Glauben auf diesem paraguayischen Boden leben – wie Maria, indem wir das Leben Gottes in unseren Brüdern und Schwestern beherbergen in der zuversichtlichen Gewissheit: „Der Herr spendet den Regen, und unser Land gibt seinen Ertrag.“ So sei es.

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana