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Videobotschaft von Papst Franziskus
zum 3. Internationalen Kongress der »Cátedra Scholas«
an der Hebräischen Universität Jerusalem

 

In diesem Augenblick atmen wir alle – Jugendliche und Erwachsene aus Israel, Palästina und anderen Teilen der Welt, aus verschiedenen Nationen, Religionen und Wirklichkeiten – dieselbe Luft, setzen unseren Fuß auf dieselbe Erde, unser gemeinsames Haus. Es gibt viele Geschichten, jeder hat seine eigene.

Es gibt so viele Geschichten wie es Menschen gibt, aber das Leben ist eins. Daher möchte ich diese Tage feiern, die ihr dort in Jerusalem erlebt, denn ihr selbst habt aus euren Unterschieden heraus Einheit erlangt. Niemand hat sie euch gelehrt. Ihr habt sie gelebt. Ihr hattet den Mut, euch in die Augen zu schauen,  ihr hattet den Mut, den Blick frei zu machen, und das ist unverzichtbar, damit eine Begegnung stattfinden kann.

In der Freiheit des Blicks gibt es keine Antworten, sondern Offenheit. Offenheit gegenüber allem anderen, das nicht ich selbst bin. In der Freiheit des Blicks werden wir durchlässig für das Leben. Das Leben geht nicht an uns vorbei. Es durchdringt uns, es bewegt uns, und das ist die Leidenschaft. Wenn man sich einmal dem Leben und den anderen, die an meiner Seite sind, geöffnet hat, entsteht daraus die Begegnung, und in dieser Begegnung liegt ein Sinn. Wir alle haben einen Sinn. Wir alle haben einen Sinn im Leben. Niemand von uns ist ein »Nein«. Wir alle sind »Ja«. Wenn wir dem Sinn begegnen, ist es also so, als würde unsere Seele sich ausweiten. Und wir müssen diesen Sinn in Worte fassen, ihm eine Form geben, die ihn enthält. Irgendwie zum Ausdruck bringen, was uns geschehen ist. Und das ist die Schöpfung.

Wenn wir uns zudem bewusst werden, dass das Leben einen Sinn hat und dass dieser Sinn über uns selbst hinausgeht, dann müssen wir ihn feiern. Wir brauchen das Fest als menschlichen Ausdruck der Feier des Sinnes. Dann begegnen wir der tiefsten Empfindung, die man haben kann. Einer Empfindung, die in uns selbst existiert, für alles und trotz allem, für alles und trotz allem. Diese Empfindung ist die Dankbarkeit. »Scholas« versteht, dass man Menschen dazu heranbilden muss. Die Bildung, die uns dem Unbekannten gegenüber öffnet, die uns zu jenem Ort bringt, an dem die Wasser uns noch nicht getrennt haben. Frei von

Vorurteilen. Das heißt, frei von vorgefertigten Urteilen, die uns blockieren, um von dort aus zu träumen und neue Wege zu suchen. Daher dürfen wir unseren Kindern und Jugendlichen nicht die Fähigkeit zum Träumen oder zum Spielen nehmen, das gewissermaßen ein Träumen mit offenen Augen ist. Wenn wir das Kind nicht spielen lassen, dann deshalb, weil wir selbst nicht spielen können, und wenn wir nicht spielen können, dann verstehen wir weder die Unentgeltlichkeit noch die Dankbarkeit noch die Kreativität.

Diese Begegnung hat uns gelehrt, dass es unsere Pflicht ist, den Kindern zuzuhören und einen Kontext der Hoffnung zu schaffen, damit diese Träume wachsen können und miteinander geteilt werden. Wenn ein Traum geteilt wird, dann wird er zur Utopie eines Volkes, zur Möglichkeit, eine neue Art des Lebens zu schaffen. Unsere Utopie, die Utopie all jener, die wir in irgendeiner Form »Scholas« bilden, ist es, durch Bildung eine Kultur der Begegnung zu schaffen. In den Personen können wir uns vereinen, um die Vielfalt der Kulturen aufzuwerten. Dabei sollen wir nicht Einförmigkeit erlangen – nein –, sondern Eintracht. Und wie sehr braucht sie diese so zersplitterte Welt! Diese Welt, die den fürchtet, der anders ist, und die aus dieser Furcht heraus manchmal Mauern baut, die am Ende den schlimmsten Albtraum wahr werden lassen: als Feinde zu leben. Wie sehr muss diese Welt aus sich herausgehen, damit die Menschen einander begegnen!

 



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