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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE MITGLIEDER DER CHRISTLICHEN ARBEITERBEWEGUNG

Samstag, 16. Januar 2016

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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Es ist mir eine Freude, euch zu empfangen. Ich danke dem Präsidenten für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Ein brüderlicher Willkommensgruß gilt den Oberhirten, die mit euch gemeinsam anwesend sein wollten und von denen einige von sehr weit her gekommen sind. Ich begrüße euch alle und danke den beiden Repräsentanten Maria und Giovanni für die Zeugnisse, die sie aufgeschrieben haben. Maria hat in ihrem Zeugnis auf eure Berufung hingewiesen und von der »Berufung der Arbeit« gesprochen. Das ist wahr: Die Arbeit ist eine Berufung, weil sie auf einen Ruf zurückgeht, den Gott von Anbeginn an den Menschen gerichtet hat, auf dass er das gemeinsame Haus »bebaue und hüte« (vgl. Gen 2,15). Trotz des Bösen, das die Welt und auch die menschliche Tätigkeit beeinträchtigt, bringt der Mensch »in der freien, schöpferischen, mitverantwortlichen und solidarischen Arbeit […] die Würde seines Lebens« zum Ausdruck »und steigert sie« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 192). Wie können wir auf diese Berufung in rechter Weise antworten, die uns auffordert, aktiv das unermüdliche Wirken des Vaters und Jesu nachzuahmen, die – wie das Evangelium sagt – »immer am Werk sind« (vgl. Joh 5,17)? Ich möchte euch drei Worte vorschlagen, die uns helfen können.

Das erste Wort ist: Erziehung. Erziehen bedeutet »herausziehen«. Es ist die Fähigkeit, das Beste aus dem eigenen Herzen herauszuholen. Es geht nicht nur darum, eine Technik zu lehren oder Wissen zu vermitteln, sondern es bedeutet, uns selbst und die uns umgebende Wirklichkeit menschlicher zu machen. Und das gilt in besonderer Weise für die Arbeit: Man muss zu einem neuen »Humanismus der Arbeit« heranbilden. Denn wir leben in einer Zeit der Ausbeutung der Arbeitnehmer; in einer Zeit, wo die Arbeit nicht gerade im Dienst der Würde des Menschen steht, sondern Sklavenarbeit ist. Wir müssen zu einem neuen »Humanismus der Arbeit« heranbilden, erziehen, wo der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt steht; wo die Wirtschaft dem Menschen dient und sich nicht des Menschen bedient.

Ein weiterer Aspekt ist wichtig: Das Erziehen ist eine Hilfe, nicht der Täuschung derjenigen nachzugeben, die uns glauben machen wollen, dass die Arbeit, der tägliche Einsatz, die Selbsthingabe und das Lernen keinen Wert haben. Ich würde hinzufügen, dass es heute in der Welt der Arbeit – aber auch in jedem anderen Bereich – dringend notwendig ist, dazu zu erziehen, den strahlenden und mühsamen Weg der Ehrlichkeit zu gehen und die falschen Wege der Begünstigungen und Empfehlungen zu meiden. Dahinter verbirgt sich die Korruption. Diese kleinen oder großen Versuchungen gibt es immer, aber es handelt sich stets um »moralischen Ausverkauf«, der des Menschen unwürdig ist: Er muss zurückgewiesen werden, indem man das Herz daran gewöhnt, frei zu bleiben. Andernfalls erzeugt man eine falsche und schädliche Mentalität, die bekämpft werden muss: die Illegalität, die zur Korruption des Menschen und der Gesellschaft führt. Illegalität ist wie eine Krake, die man nicht sieht: sie ist versteckt, verborgen, aber mit ihren Fangarmen ergreift und vergiftet sie, indem sie verseucht und großen Schaden anrichtet. Erziehen ist eine großartige Berufung: Wie der heilige Joseph Jesus zur Kunst des Zimmermanns ausgebildet hat, so seid auch ihr gerufen, den jungen Generationen zu helfen, die Schönheit einer wahrhaft menschlichen Arbeit zu entdecken.

Das zweite Wort, das ich euch sagen möchte, ist: Teilen. Die Arbeit ist nicht nur die Berufung des Einzelnen, sondern stellt die Gelegenheit dar, mit anderen in Beziehung zu treten: »Jede Form von Arbeit setzt eine Vorstellung über die Beziehung voraus, die der Mensch mit dem anderen aufnehmen kann und muss« (Enzyklika Laudato si’, 125). Die Arbeit sollte die Menschen vereinen und sie nicht voneinander entfernen, indem sie sie verschlossen und distanziert macht. Während sie so viele Stunden des Tages in Beschlag nimmt, bietet sie uns auch die Gelegenheit den Alltag zu teilen, uns für die Menschen an unserer Seite zu interessieren, um die Präsenz der anderen als Geschenk und Verantwortung zu empfangen. Giovanni hat in seinem schriftlichen Zeugnis von einer Form des Teilens gesprochen, die in eurer Bewegung verwirklicht wird: den »Projekten des Zivildienstes«, die es euch ermöglichen, neue Menschen und Kontexte kennenzulernen und euch deren Probleme und Hoffnungen zu eigen zu machen. Es ist wichtig, dass die anderen nicht nur Adressaten von ein wenig Aufmerksamkeit sind, sondern Ziel echter Projekte. Alle machen Pläne für sich selbst, aber Pläne für die anderen zu machen, erlaubt es, noch einen Schritt weiterzugehen: Es stellt die Intelligenz in den Dienst der Liebe und macht den Menschen integer und das Leben glücklicher, weil es zum Geben befähigt.

Das letzte Wort, das ich euch ans Herz legen möchte, ist: Zeugnis. Der Apostel Paulus forderte auf, den Glauben auch durch Taten zu bezeugen und Faulheit und Trägheit zu besiegen; und er gab dazu eine sehr starke und klare Regel: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen« (2 Thess 3,10). Auch zu jener Zeit gab es solche, die andere arbeiten ließen, um selbst zu essen. Heute dagegen gibt es Menschen, die arbeiten möchten, es aber nicht schaffen und sogar nur mit Mühe etwas zu essen haben. Ihr begegnet so vielen Jugendlichen, die nicht arbeiten: Sie sind wirklich, wie ihr gesagt habt, »die neuen Ausgegrenzten unserer Zeit«. Stellt euch vor, in einigen Ländern Europas, in diesem unserem Europa, das so gebildet ist, gibt es bis zu 40% Jugendarbeitslosigkeit, 47% in anderen Ländern, in anderen 50%. Aber was tut ein junger Mensch, der nicht arbeitet? Wo endet er? In den Abhängigkeiten, in psychischen Krankheiten, im Selbstmord. Und nicht immer werden die Statistiken der Selbstmorde von Jugendlichen veröffentlicht. Das ist eine Tragödie: es ist die Tragödie der neuen Ausgeschlossenen unserer Zeit. Und sie werden ihrer Würde beraubt. Die menschliche Gerechtigkeit erfordert Zugang zur Arbeit für alle. Auch die göttliche Barmherzigkeit fordert uns heraus: Angesichts der Menschen in Schwierigkeiten und mühevollen Situationen – ich denke an die jungen Menschen, für die es ein Problem ist, zu heiraten oder Kinder zu haben, weil sie kein ausreichend stabiles Arbeitsverhältnis oder keine Wohnung haben – hilft es nichts, Vorträge zu halten; dagegen muss man Hoffnung vermitteln, durch die eigene Gegenwart Trost spenden, mit konkreter Hilfe unterstützen.

Ich ermutige euch, Zeugnis zu geben, ausgehend vom persönlichen und gemeinschaftlichen Lebensstil: ein Zeugnis für Unentgeltlichkeit, Solidarität, den Geist des Dienens. Wenn der Jünger Christi im Herzen transparent und im Leben feinfühlig ist, dann trägt er das Licht des Herrn an die Orte, wo er lebt und arbeitet. Das wünsche ich euch, während ich euch um Entschuldigung bitte für die Verspätung: Ihr habt Geduld! Aber die Audienzen [des Vormittags] haben länger gedauert. Und ich segne euch alle, eure Familien und euren Einsatz. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten! Danke.

 



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