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PILGERFAHRT VON PAPST FRANZISKUS
NACH BOZZOLO (DIÖZESE CREMONA) UND BARBIANA (DIÖZESE FLORENZ)

GEBET AM GRAB VON DON LORENZO MILANI

GEDENKANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Garten bei der Andreaskirche in Barbiana (Florenz)
Dienstag, 20. Juni 2017

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Liebe Brüder und Schwestern, ich bin nach Barbiana gekommen, um das Andenken eines Priesters zu ehren, der bezeugt hat, wie man in der Hingabe an Christus den Nächsten in ihren Nöten und Bedürfnissen begegnet und ihnen dort dient, damit ihre Würde als Personen verteidigt und gefördert werde, mit derselben Selbsthingabe, die Jesus uns bis zum Kreuz gezeigt hat.

1. Ich freue mich, hier jenen zu begegnen, die seinerzeit Schüler von Don Lorenzo Milani waren, einige in der Volksschule von San Donato in Calenzano, andere hier in der Schule von Barbiana. Ihr seid Zeugen dafür, wie ein Priester seine Sendung an jenen Orten lebte, an die die Kirche ihn gerufen hat, in vollkommener Treue zum Evangelium und gerade deswegen in vollkommener Treue zu einem jeden von euch, die der Herr ihm anvertraut hatte. Und ihr seid Zeugen seiner erzieherischen Leidenschaft, seines Bemühens, in den Personen das Menschliche zu wecken, damit sie für das Göttliche offen sind. Daher stammt seine Entscheidung, sich ganz der Schule zu widmen, eine Entscheidung, die er hier in Barbiana noch radikaler umsetzen sollte. Die Schule war für Don Lorenzo nicht etwas anderes als seine Sendung als Priester, sondern die konkrete Art und Weise, diese Sendung auszuüben, indem sie ihr ein Fundament gab, das solideund in der Lage war, bis in den Himmel zu erheben.

Und als ihn die Entscheidung des Bischofs aus dem Ort Calenzano hierher, unter die Kinder von Barbiana führte, verstand er sofort, dass der Grund, warum der Herr diese Trennung zugelassen hatte, war, ihm neue Kinder zu schenken, die er großziehen und lieben sollte. Den Armen das Wort wiedergeben, denn ohne das Wort gibt es keine Würde und folglich auch keine Freiheit und Gerechtigkeit: das lehrt Don Milani. Und es ist das Wort, das durch die Arbeit den Weg zur vollen Beheimatung in der Gesellschaft eröffnen und durch einen bewussten Glauben zur vollen Zugehörigkeit zur Kirche führen kann. Das gilt in gewisser Weise auch für unsere Zeit, in der nur der Besitz des Wortes uns erlaubt, zwischen den vielen, oft verworrenen Botschaften, die auf uns einströmen, zu unterscheiden und den tiefsten Anliegen des eigenen Herzens Ausdruck zu verleihen wie auch der Erfüllung der Gerechtigkeit für so viele Brüder und Schwestern, die Gerechtigkeit erwarten. Zu dieser Humanisierung, die wir für jeden Menschen auf dieser Erde einfordern, gehört neben dem Brot, dem Haus, der Arbeit und der Familie auch der Besitz des Wortes als Instrument der Freiheit und Brüderlichkeit.

2. Heute sind auch einige Kinder und Jugendliche hier, stellvertretend für die vielen Kinder und Jugendlichen, die heutzutage jemanden brauchen, der sie auf dem Weg ihres Wachstums begleitet. Ich weiß, dass ihr wie viele andere auf der Welt in Situationen der Ausgrenzung lebt und dass jemand an eurer Seite ist, um euch nicht allein zu lassen und euch einen Weg zu einer möglichen Befreiung zu zeigen, eine Zukunft, die sich auf positivere Perspektiven hin öffnet. Ich möchte von hier aus allen Erziehern danken, allen, die sich in den Dienst des Wachstums der jungen Generationen stellen, insbesondere jener, die sich in schwierigen Situationen befinden. Eure Sendung ist voller Hindernisse, aber auch voller Freuden.

Aber vor allem ist sie eine Mission. Eine Mission der Liebe, weil man nicht unterrichten kann ohne Liebe und ohne das Bewusstsein, dass das, was man gibt, nur ein Recht ist, das man anerkennt, das Recht auf Lernen. Und es gibt viel zu lehren, aber das Wesentliche ist das Wachstum eines freien Gewissens, das in der Lage ist, sich mit der Realität auseinanderzusetzen und sich in ihr zu orientieren, geführt von der Liebe, dem Wunsch, sich für die anderen einzusetzen, ihre Mühen und Wunden auf sich zu nehmen, vor jeder Art von Egoismus zurückzuschrecken, um dem Gemeinwohl zu dienen. Im Brief an eine Lehrerin können wir lesen: »Ich habe gelernt, dass das Problem der anderen dasselbe ist wie mein eigenes. Gemeinsam einen Ausweg finden, das ist Politik. Es allein bewältigen ist Geiz.« Das ist ein Appell zur Verantwortlichkeit. Ein Appell, der euch betrifft, liebe Jugendliche, aber vor allem uns, die Erwachsenen, die aufgerufen sind, die Gewissensfreiheit in authentischer Weise zu leben als Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten, bereit, den Preis zu zahlen, den das mit sich bringt. Und das ohne Kompromisse. 3. Und zuletzt, aber deshalb nicht weniger wichtig, richte ich mich an euch, die Priester, die ich hier in Barbiana an meiner Seite haben wollte. Ich sehe betagte Priester unter euch, die mit Don Lorenzo Milani die Jahre des Seminars oder des Dienstes in benachbarten Orten geteilt haben, und auch junge Priester, die die Zukunft des florentinischen und italienischen Klerus darstellen.

Einige von euch sind also Zeugen des menschlichen und priesterlichen Abenteuers von Don Lorenzo, andere sind seine Erben. Alle möchte ich daran erinnern, dass die priesterliche Dimension von Don Lorenzo Milani die Wurzel von allem ist, was ich bis jetzt erwähnt habe. Die priesterliche Dimension ist die Wurzel von allem, was er getan hat. Alles entspringt seinem Priestersein.

Aber sein Priestersein hat seinerseits eine noch tiefere Wurzel: seinen Glauben. Einen allumfassenden Glauben, der zu einer vollkommenen Hingabe an den Herrn wird und der für den jungen Neubekehrten im priesterlichen Dienst seine volle und vollendete Gestalt erlangt. Bekannt sind die Worte seines geistlichen Begleiters, Don Raffaele Bensi. An ihn wandten sich in jenen Jahren die größten Gestalten des florentinischen Katholizismus, der um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts unter dem väterlichen Dienst des ehrwürdigen Dieners Gottes Kardinal Elia Dalla Costa so lebendig war. Don Bensi sagte: »Um seine Seele zu retten, kam er zu mir. An jenem Tag Ende August bis zum Herbst stopfte er sich regelrecht mit dem Evangelium und mit Christus voll. Jener Junge ging sofort auf das Absolute zu, ohne halbe Sachen. Er wollte sich und andere retten, um jeden Preis. Transparent und hart wie ein Diamant, musste er sich sofort selbst verletzen und andere verletzen« (Nazzareno Fabbretti, Interview mit Msgr. Raffaele Bensi, in der Sonntagsausgabe des Corriere, 27. Juni 1971). Priester sein als Art und Weise das Absolute zu leben. Seine Mutter Alice sagte: »Mein Sohn war auf der Suche nach dem Absoluten. Er hat es in der Religion und in der Priesterberufung gefunden.«

Ohne diesen Durst nach dem Absoluten können wir gute Funktionäre des Sakralen, aber wir können keine Priester sein, wahre Priester, fähig, Diener Christi in den Brüdern und Schwestern zu werden. Liebe Priester, bemühen wir uns, mit der Gnade Gottes Männer des Glaubens zu sein, eines ehrlichen, nicht eines verwässerten Glaubens, und Männer der Liebe, der pastoralen Liebe zu all denen, die der Herr uns als Geschwister und Kinder anvertraut. Don Lorenzo lehrt uns auch, die Kirche zu lieben, wie er sie liebte, mit jener Aufrichtigkeit und Wahrheit, die auch zu Spannungen Anlass geben kann, aber nie zu Brüchen, zum Verlassen. Lieben wir die Kirche, liebe Mitbrüder, und tragen wir dazu bei, dass sie geliebt wird, indem wir sie als fürsorgliche Mutter aller, vor allem der Ärmsten und Schwächsten, zeigen, sowohl im sozialen Leben als auch im persönlichen und religiösen Leben. Die Kirche, die Don Milani der Welt gezeigt hat, hat dieses mütterliche und fürsorgliche Antlitz, bemüht, allen die Möglichkeit zu geben, Gott zu begegnen und so der eigenen Person mit ihrer Würde Konsistenz zu verleihen.

4. Bevor ich zum Schluss komme, kann ich nicht verschweigen, dass meine heutige Geste eine Antwort sein will auf die mehrfache Bitte Don Lorenzos an seinen Bischof: dass er in seiner Treue zum Evangelium und in der Aufrichtigkeit seines pastoralen Handelns anerkannt und verstanden werde. In einem Brief an den Bischof schrieb er: »Wenn Sie mich nicht heute mit irgendeinem feierlichen Akt ehren, dann wird mein Apostolat als Privatangelegenheit erscheinen…« Von Kardinal Silvano Piovanelli angefangen haben alle Erzbischöfe von Florenz bei verschiedenen Gelegenheiten Don Lorenzo diese Anerkennung gezollt. Heute tut dies der Bischof von Rom. Das löscht die Bitterkeiten nicht aus, die das Leben von Don Milani begleitet haben – es geht nicht darum, die Geschichte auszulöschen oder zu negieren, sondern die Umstände und Menschlichkeit, die beteiligt waren, zu verstehen –, aber es sagt aus, dass die Kirche in diesem Leben eine vorbildliche Art und Weise erkennt, dem Evangelium, den Armen und der Kirche zu dienen.

Durch meine Anwesenheit in Barbiana, durch das Gebet am Grab von Don Lorenzo Milani möchte ich auf das antworten, was sein Mutter erhoffte: »Es liegt mir besonders am Herzen, dass man den Priester kennt, dass man die Wahrheit erfährt, dass man der Kirche Ehre erweist auch für das, was er in der Kirche gewesen ist, und dass die Kirche ihn ehrt… jene Kirche, die ihn so sehr hat leiden lassen, aber die ihm auch das Priestertum geschenkt hat sowie die Kraft jenes Glaubens, die für mich das tiefste Geheimnis meines Sohnes bleiben wird … Wenn man den Priester nicht wirklich versteht, der Don Lorenzo war, dann wird man schwerlich den Rest von ihm verstehen können. Zum Beispiel sein tiefes Gleichgewicht zwischen Härte und Liebe« (Nazzareno Fabbretti, Begegnung mit der Mutter des Pfarrers von Barbiana drei Jahre nach seinem Tod, in: Il Resto del Carlino, Bologna, 8. Juli 1970). Der Priester, der »transparent und hart wie ein Diamant« war, möge weiterhin dem Weg der Kirche das Licht Gottes vermitteln. Nehmt die Fackel und tragt sie weiter! Danke.

[Nach dem Gebet des Ave Maria und dem Segen fügte Papst Franziskus hinzu:]

Nochmals vielen Dank! Betet für mich, vergesst es nicht. Damit auch ich mir diesen tüchtigen Priester zum Vorbild nehme. Danke für eure Anwesenheit. Der Herr segne euch. Und euch Priester, alle – denn im Priestertum gibt es keinen Ruhestand! –, alle, geht voran und das voller Mut! Danke.

 



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