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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG
DER KONGREGATION FÜR DIE ORIENTALISCHEN KIRCHEN

Clementina-Saal
Freitag, 18. Februar 2022

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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und herzlich willkommen!

Ich danke Kardinal Sandri für die Worte der Begrüßung und der Einführung; einem jeden von euch danke ich für seine Anwesenheit, insbesondere denen, die von weither kommen.

Heute Morgen habt ihr an der Confessio des Apostels Petrus gebetet und gemeinsam das Glaubensbekenntnis erneuert: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.« Dieselbe Geste haben wir vor der heiligen Messe zum Pontifikatsbeginn vollzogen, um zu bezeugen, wie Papst Benedikt XV. sagte, dass »es in der Kirche Jesu Christi, die weder lateinisch noch griechisch noch slawisch, sondern katholisch ist, keine Diskriminierung zwischen ihren Söhnen und Töchtern gibt und dass alle, Lateiner, Griechen, Slawen und Angehörige anderer Nationen, gleich wichtig sind« (Enzyklika Dei providentis, 1. Mai 1917). Ihm, dem Begründer der Kongregation für die Orientalischen Kirchen und des Päpstlichen Orientalischen Instituts, gilt zum 100. Jahrestag seines Todes unsere dankbare Erinnerung. Er hat die Unkultur des Krieges als »unnötiges Blutbad« angeprangert. Seine Mahnung jedoch fand kein Gehör bei den Staatsoberhäuptern, die am Ersten Weltkrieg beteiligt waren. Wie auch der Appell des heiligen Johannes Paul II. zur Abwendung des Krieges im Irak kein Gehör fand.

Wie in der heutigen Zeit, wo es überall so viele Kriege gibt, dieser Appell sowohl der Päpste als auch der Männer und Frauen guten Willens nicht gehört wird. Es scheint, als müsse man die höchste Auszeichnung für den Frieden den Kriegen geben: ein Widerspruch! Wir hängen an den Kriegen, und das ist tragisch. Die Menschheit, die sich in den Wissenschaften, im Denken, in vielen schönen Dingen des Fortschritts rühmt, macht Rückschritte beim Aufbau des Friedens. Sie ist Meister im Kriegführen. Und dafür schämen wir uns alle. Wir müssen beten und um Vergebung für dieses Verhalten beten.

Wir haben gehofft, dass es nicht notwendig sein würde, im dritten Jahrtausend derartige Worte zu wiederholen; doch scheint die Menschheit immer noch im Dunkeln zu tappen: Wir haben die Blutbäder der Konflikte im Nahen Osten, in Syrien und im Irak gesehen, das Blutbad in der äthiopischen Region Tigray, und ein verheerender Sturm bedroht immer noch die Steppen Osteuropas, der Zündschnüre und das Feuer der Waffen entflammt und die Herzen der Armen und Unschuldigen gefrieren lässt; sie zählen nicht. Und währenddessen setzt sich das Drama im Libanon fort, wo viele Menschen kein Brot mehr haben, Jugendliche und Erwachsene die Hoffnung verloren haben und das Land verlassen. Und doch sind sie die Heimat der katholischen Ostkirchen, denn dort haben sie sich unter Bewahrung jahrtausendealter Traditionen entwickelt, und viele von euch, den Mitgliedern des Dikasteriums, sind deren Kinder und Erben.

Euer alltägliches Leben ist daher gleichsam eine Mischung aus dem wertvollen Goldstaub eurer Vergangenheit sowie des heroischen Glaubenszeugnisses vieler in der Gegenwart und dem Schlamm des Elends, für das wir mitverantwortlich sind, und des Schmerzes, der euch von äußeren Kräften zugefügt wird. Oder man könnte sagen: Ihr seid die Samen auf den Stielen und Zweigen jahrhundertealter Pflanzen, die vom Wind bis an unvorstellbare Grenzen getragen wurden: Die Katholiken der Ostkirchen wohnen nunmehr bereits seit Jahrzehnten auf weit entfernten Kontinenten, haben Meere und Ozeane überquert und Ebenen durchwandert. Es wurden bereits Eparchien in Kanada, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Latein-amerika, in Europa und in Ozeanien errichtet, und viele weitere sind zumindest vorerst Bischöfen des lateinischen Ritus anvertraut, die für die Koordinierung der pastoralen Tätigkeit der Priester zuständig sind, die dem ordnungsgemäßen Verfahren entsprechend von den jeweiligen Kirchenoberhäuptern, Patriarchen, Großerzbischöfen und Metropoliten sui iuris gesandt wurden.

Aus diesem Grund haben eure Arbeiten die Evangelisierung thematisiert, die zur Identität der Kirche in all ihren Teilen gehört, ja vielmehr die Berufung jedes Getauften ist. Und für die Mission müssen wir noch mehr auf den Reichtum der verschiedenen Traditionen hören. Ich denke zum Beispiel an das Katechumenat von Erwachsenen, das die Feier der Sakramente der christlichen Initiation als Einheit vorsieht: ein Brauch, der in den Ostkirchen bewahrt und auch bei Kindern praktiziert wird. In beiden Fällen kann man erahnen, wie wichtig eine kluge mystagogische Katechese ist, die die Getauften aller Altersstufen zu einer reifen und frohen Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft begleitet. In der lateinischen Kirche fehlt uns diese mystagogische Katechese. Auf diesem Weg sind die verschiedenen Dienste in der Kirche sehr wertvoll wie auch die Harmonie in den Beziehungen zu den Ordensmännern und -frauen, die ihrem jeweiligen Charisma entsprechend auch in eurem Umfeld tätig sind. All diesen Aspekten habt ihr in diesen Tagen eure Aufmerksamkeit geschenkt.

Es gibt eine Erfahrung, in der sich der »Ton« unserer Menschlichkeit formen lässt, nicht von wechselnden Meinungen und den doch notwendigen soziologischen Analysen, sondern vom Wort und vom Geist des Auferstandenen. Diese Erfahrung ist die Liturgie. Und das lässt uns auch an den synodalen Weg denken, ja vielmehr an den synodalen Prozess. Der synodale Prozess ist kein Parlament. Er besteht nicht darin, dass wir untereinander die unterschiedlichen Meinungen zum Ausdruck bringen und dann eine Synthese aufstellen oder eine Abstimmung halten, nein. Der synodale Prozess ist ein gemeinsames Gehen unter der Führung des Heiligen Geistes, und ihr in euren Kirchen habt die Synoden, alte synodale Traditionen, und ihr seid Zeugen dafür. Der Heilige Geist ist in der Synodalität da, und wenn der Geist nicht da ist, dann ist es nur ein Parlament oder eine Meinungsumfrage, aber keine Synode. Diese Erfahrung – so sagte ich – ist der Himmel auf Erden, und das geschieht in der Liturgie, wie vor allem der Osten gerne sagt. Aber die Schönheit der ostkirchlichen Riten ist weit davon entfernt, eine Fluchtoase oder ein Ort des Konservatismus zu sein. Die liturgische Versammlung erkennt sich als solche, nicht weil sie sich selbst zusammenruft, sondern weil sie die Stimme eines Anderen hört, ihm zugewandt bleibt und gerade deswegen die Dringlichkeit spürt, auf den Bruder und die Schwester zuzugehen und Chris-tus zu verkünden. Auch jene Traditionen, die den Gebrauch der Ikonostase mit der Königstür beibehalten oder den Vorhang, der das Allerheiligste in bestimmten Augenblicken des Gottesdienstes verdeckt, lehren uns, dass diese architektonischen oder rituellen Elemente nicht die Vorstellung von der Distanz Gottes vermitteln, sondern vielmehr das Geheimnis des Sich-Herabneigens hervorheben – die »Synkatabasis« –, in dem das Göttliche Wort in die Welt gekommen ist und kommt.

Der Liturgische Kongress aus Anlass der 25-Jahr-Feier der Instruktion über die Umsetzung der liturgischen Vorschriften des Gesetzbuchs der katholischen Ostkirchen ist eine gute Gelegenheit, um einander in den liturgischen Kommissionen der verschiedenen Kirchen sui iuris kennenzulernen; er ist eine Einladung, den Weg gemeinsam mit dem Dikasterium und seinen Konsultoren zu gehen, wie es das Zweite Ökumenische Vatikanische Konzil aufgezeigt hat. Auf diesem Weg wird es gut sein, dass jedes Glied der einen und sinfonischen katholischen Kirche stets eine hörende Haltung gegen-über den anderen Traditionen bewahrt, im Hinblick auf ihre Wege der Suche und der Reform, aber dabei die eigene Besonderheit bewahrt. Die Treue zur eigenen Besonderheit macht den sinfonischen Reichtum der Ostkirchen aus. Man könnte zum Beispiel über die Möglichkeit nachdenken, liturgische Bücher in der Sprache der Länder einzuführen, wo die jeweiligen Gläubigen leben, aber hinsichtlich der Form der Gottesdienstfeier ist es notwendig, die Einheit zu wahren gemäß dem, was von den Synoden festgelegt und vom Apostolischen Stuhl approbiert wurde. Liturgische Partikularismen, die in Wirklichkeit Spaltungen anderer Art innerhalb der jeweiligen Kirchen offenbaren, sind zu vermeiden. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass die Brüder der orthodoxen und der orientalisch-orthodoxen Kirchen auf uns blicken: Auch wenn wir nicht denselben Tisch der Eucharistie teilen können, feiern und beten wir fast immer mit denselben liturgischen Texten. Hüten wir uns daher vor Experimenten, die dem Weg zur sichtbaren Einheit aller Jünger Christi schaden könnten. Die Welt braucht das Zeugnis der Gemeinschaft: Wenn wir Ärgernis geben durch liturgische Streitigkeiten – und leider gab es in letzter Zeit einige –, spielen wir das Spiel dessen, der der Meister der Spaltung ist.

Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für eure Arbeit in diesen Tagen. Ich bin euch stets im Gebet nahe. Bringt euren Gläubigen meine Ermutigung und meine Segen. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke.



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