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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DEN ITALIENISCHEN ARBEITGEBERVERBAND "CONFINDUSTRIA"

Audienzhalle
Montag, 12. September 2022

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Liebe Unternehmer und
Unternehmerinnen,
guten Tag und herzlich willkommen!

Ich danke dem Vorsitzenden für die Begrüßung und die Einführung. Ich freue mich, euch begegnen zu dürfen und mich durch euch an die Welt der Unternehmer zu wenden, die ein wesentlicher Bestandteil zum Aufbau des Gemeinwohls und eine vorrangige Triebkraft für Entwicklung und Wohlstand sind.

Diese Zeit ist keine einfache Zeit, für euch und für alle. Auch die Unternehmenswelt leidet sehr. Die Pandemie hat viele Produktionstätigkeiten auf eine harte Probe gestellt; das ganze Wirtschaftssystem ist verwundet worden. Und jetzt ist noch der Krieg in der Ukraine dazugekommen, mit der daraus resultierenden Energiekrise. In diesen Krisen leidet auch der gute Unternehmer, der Verantwortung trägt für seine Firma und die Arbeitsplätze, auf dem die Unsicherheit und die Risiken lasten. Am Markt gibt es Unternehmer, die »bezahlte Knechte« sind, und Unternehmer, die dem guten Hirten ähnlich sind (vgl. Joh  10,11-18), die ebenso leiden wie ihre Arbeiter, die nicht vor den vielen umherstreifenden Wölfen fliehen. Die Menschen erkennen die guten Unternehmer. Das haben wir erst kürzlich gesehen, beim Tod von Alberto Balocco: Die ganze Unternehmens- und Zivilgemeinschaft war mit Schmerz erfüllt und hat Wertschätzung und Anerkennung zum Ausdruck gebracht.

Die Kirche hat von Anfang an auch Kaufleute, die Vorgänger der modernen Unternehmer, in ihren Schoß aufgenommen. In der Bibel und in den Evangelien ist von Arbeit, von Handel die Rede, und unter den Gleichnissen gibt es jene, in denen von Münzen, von Landbesitzern, von Verwaltern, von erworbenen wertvollen Perlen die Rede ist. Der barmherzige Vater im Evangelium nach Lukas (vgl. 15,11-32) wird uns als wohlhabender Mann geschildert, als Landbesitzer. Der barmherzige Samariter (vgl. Lk 10,30-35) könnte ein Kaufmann gewesen sein: Er nimmt sich des ausgeraubten und verwundeten Mannes an und vertraut ihn dann einem weiteren Unternehmer, einem Gastwirt, an. Die »zwei Denare«, die der Samariter dem Gastwirt vorschießt, sind sehr wichtig: Im Evangelium gibt es nicht nur die 30 Denare des Judas; nicht nur die. Tatsächlich kann derselbe Denar gestern wie heute benutzt werden, um einen Freund zu verraten und zu verkaufen, oder um ein Opfer zu retten. Das sehen wir jeden Tag, wenn die Denare des Judas und die des barmherzigen Samariters auf denselben Märkten, in denselben Wertpapierbörsen, auf denselben Handelsplätzen zusammen existieren. Die Wirtschaft wächst und wird menschlich, wenn die Denare der Samariter zahlreicher werden als die des Judas.

Das Leben der Unternehmer in der Kirche ist jedoch nicht immer einfach gewesen. Die harten Worte, die Jesus gegenüber den Reichen und dem Reichtum gebraucht, jene über das Kamel und das Nadelöhr (vgl. Mt  19,23-24), sind manchmal zu schnell auf jeden Unternehmer und jeden Kaufmann übertragen worden, die jenen Händlern gleichgestellt wurden, die Jesus aus dem Tempel vertrieben hat (vgl. Mt  21,12-13). In Wirklichkeit kann man Kaufmann, Unternehmer und gleichzeitig Jünger Christi sein, Bewohner seines Reiches. Es stellt sich daher die Frage: Unter welchen Bedingungen kann ein Unternehmer in das Himmelreich gelangen? Und ich erlaube mir, einige zu nennen. Das ist nicht einfach…

Die erste Bedingung ist das Miteinander-Teilen. Einerseits hilft der Reichtum sehr im Leben, aber oft verkompliziert er es auch: nicht nur, weil er zum Götzen und zum gnadenlosen Herrscher werden kann, der sich Tag für Tag das ganze Leben einverleibt. Er verkompliziert es auch, weil Reichtum zur Verantwortung ruft: Wenn ich erst einmal Güter besitze, dann lastet auf mir die Verantwortung, sie Früchte tragen zu lassen, sie nicht zu vergeuden, sie für das Gemeinwohl zu nutzen. Außerdem schafft der Reichtum um sich herum Neid, üble Nachrede, nicht selten Gewalt und Bosheit. Jesus sagt uns, dass es für einen Reichen sehr schwer ist, in das Reich Gottes zu gelangen. Schwer ja, aber nicht unmöglich (vgl. Mt  19,26). Tatsächlich wissen wir von wohlhabenden Menschen, die zur Urgemeinde Jesu gehörten, zum Beispiel Zachäus von Jericho, Josef von Arimatäa oder einige Frauen, die mit ihrem Besitz die Apostel unterstützten. In den ersten Gemeinden gab es Frauen und Männer, die nicht arm waren; und in der Kirche hat es immer wohlhabende Menschen gegeben, die dem Evangelium vorbildlich gefolgt sind: darunter auch Unternehmer, Bankiers, Wirtschaftsleute wie zum Beispiel die seligen Giuseppe Toniolo und Giuseppe Tovini. Um in das Himmelreich zu gelangen, wird nicht von allen verlangt, alles zu veräußern, wie der Kaufmann Franz von Assisi; von einigen, die Reichtümer besitzen, wird verlangt, sie mit anderen zu teilen. Das Miteinander-Teilen ist ein anderer Name der Armut nach dem Evangelium. Und tatsächlich ist das andere große wirtschaftliche Bild, das wir im Neuen Testament finden, die Gütergemeinschaft, von der in der Apostelgeschichte  berichtet wird: »Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele. […] Sie hatten alles gemeinsam. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt« (4,32-34).

Wie kann man heute diesen Geist des Miteinander-Teilens nach dem Evangelium leben? Es gibt verschiedene Formen, und jeder Unternehmer kann die eigene finden, gemäß seiner Persönlichkeit und seiner Kreativität. Eine Form des Miteinander-Teilens ist die Philanthropie, also das Schenken an die Gemeinschaft, auf verschiedene Weise. Und hier möchte ich euch danken für eure konkrete Unterstützung des ukrainischen Volkes, besonders der vertriebenen Kinder, damit sie zur Schule gehen können; danke! Sehr wichtig ist jedoch auch jene Form, die in der modernen Welt und in den Demokratien die Steuern und Abgaben sind: eine Form des Miteinander-Teilens, die oft nicht verstanden wird. Das Steuerabkommen ist das Herzstück des Sozialpakts. Die Steuern sind auch eine Form des Miteinander-Teilens von Reichtum, so dass dieser zum Gemeingut, zu öffentlichen Gütern wird: Schule, Gesundheitswesen, Rechte, Pflege, Wissenschaft, Kultur, Vermögen. Gewiss, die Steuern müssen gerecht, angemessen sein, im Verhältnis zur Steuerkraft eines jeden festgelegt werden, wie es in der Verfassung der Republik Italien heißt (vgl. Art. 53). Das Steuersystem und die Steuerverwaltung müssen leistungsfähig sein und dürfen nicht korrupt sein. Man darf die Steuern jedoch nicht als widerrechtliche Aneignung betrachten. Sie sind eine hohe Form des Miteinander-Teilens von Gütern, sie sind das Herzstück des Sozialpakts.

Ein anderer Weg des Miteinander-Teilens ist die Schaffung von Arbeit, Arbeit für alle, insbesondere für die jungen Menschen. Die jungen Menschen brauchen euer Vertrauen, und ihr braucht die jungen Menschen, denn Unternehmen ohne junge Menschen verlieren an Innovation, Kraft, Begeisterung. Schon immer war die Arbeit eine Form gemeinschaftlichen Reichtums: Indem ihr Menschen anstellt, verteilt ihr bereits eure Güter, schafft ihr bereits gemeinsamen Reichtum. Jeder neue Arbeitsplatz, der geschaffen wird, ist ein Stück des dynamisch miteinander geteilten Reichtums. Auch hier liegt die Zentralität der Arbeit in der Wirtschaft und ihre große Würde. Heute droht die Technik, uns diese große Wahrheit vergessen zu lassen, aber wenn der neue Kapitalismus Reichtum schaffen wird, ohne weiterhin Arbeit zu schaffen, dann gerät diese große gute Funktion des Reichtums in eine Krise. Und wo wir gerade über die jungen Menschen sprechen: Wenn ich den Regierenden begegne, sagen viele zu mir: »Das Problem meines Landes ist, dass die jungen Menschen abwandern, weil sie keine Möglichkeiten haben.« Arbeit zu schaffen, ist eine Herausforderung, und einige Länder befinden sich aufgrund dieses Mangels in einer Krise. Ich bitte euch um diesen Gefallen: dass es hier in diesem Land dank eurer Initiative, eures Mutes, Arbeitsplätze geben möge, dass sie vor allem für die jungen Menschen geschaffen werden mögen.

Dennoch lässt sich das Problem der Arbeit nicht lösen, wenn es weiterhin nur innerhalb der Grenzen des Arbeitsmarktes verankert bleibt: Das Modell der Gesellschaftsordnung muss in Frage gestellt werden. Welches Modell der Gesellschaftsordnung? Und hier kommen wir zur Frage des Geburtenrückgangs. Der Geburtenrückgang, zusammen mit der raschen Überalterung der Bevölkerung, erschwert die Situation für die Unternehmer, aber auch für die Wirtschaft allgemein: Er vermindert das Angebot an Arbeitskräften und vermehrt die Rentenausgaben zu Lasten der Staatsfinanzen. Es ist dringend erforderlich, die Familien und die Geburtenrate tätig zu unterstützen. Daran müssen wir arbeiten, um den demografischen Winter, in dem Italien und auch andere Länder leben, möglichst schnell hinter uns zu lassen. Es ist ein schlimmer demografischer Winter, der sich gegen uns wendet und unsere Wachstumsfähigkeit behindert. Kinder zu bekommen ist heute eine patriotische Frage, würde ich sagen, auch um das Land voranzubringen.

Ebenfalls im Hinblick auf die Geburtenrate: Manchmal hat eine Frau, die hier angestellt ist oder dort arbeitet, Angst, schwanger zu werden, denn es gibt eine Wirklichkeit – ich sage nicht, dass es bei euch so ist –, aber es gibt eine Wirklichkeit, dass sie, sobald man beginnt, den Bauch zu sehen, weggejagt wird. »Nein, nein, du darfst nicht schwanger werden.« Bitte, das ist ein Problem der Arbeiterinnen: Untersucht es, schaut, was man tun kann, damit eine schwangere Frau vorankommen kann, sowohl mit dem Kind, das sie erwartet, als auch mit der Arbeit. Und ebenfalls in Bezug auf die Arbeit gibt es noch ein weiteres Thema, das hervorgehoben werden muss. Italien hat eine starke gemeinschaftliche und territoriale Berufung: Die Arbeit wurde stets im Rahmen eines breiter angelegten Sozialpakts betrachtet, wobei das Unternehmen fester Bestandteil der Gemeinschaft ist. Das Territorium lebt vom Unternehmen, und das Unternehmen zieht Lebenssaft aus den Ressourcen der Nähe und trägt so grundlegend zum Wohlergehen der Orte bei, an denen es sich befindet. In diesem Zusammenhang muss die positive Rolle hervorgehoben werden, die die Unternehmen bezüglich der Wirklichkeit der Einwanderung spielen, indem sie die konstruktive Integration fördern und  unverzichtbare Fähigkeiten für das Überleben des Unternehmens im gegenwärtigen Kontext zu schätzen wissen. Gleichzeitig muss erneut nachdrücklich »nein« gesagt werden zu jeglicher Form der Ausbeutung von Menschen und Nachlässigkeit, was ihre Sicherheit betrifft. Das Problem der Migranten: Der Migrant muss aufgenommen, begleitet, unterstützt und integriert werden, und die Form der Integration ist die Arbeit. Wenn der Migrant jedoch abgewiesen oder einfach als Hilfsarbeiter ohne Rechte benutzt wird, so ist das ein großes Unrecht und tut auch dem eigenen Land nicht gut.

Ich möchte auch daran erinnern, dass der Unternehmer selbst ein Arbeiter ist. Und das ist schön! Er lebt nicht von Rendite; der wahre Unternehmer lebt von der Arbeit, und er bleibt Unternehmer, solange er arbeitet. Der gute Unternehmer kennt die Arbeiter, weil er die Arbeit kennt. Viele von euch sind Handwerksunternehmer, die mit den Angestellten dieselbe Mühe und Schönheit des Alltags teilen. Eine der schweren Krisen unserer Zeit ist der Kontaktverlust der Unternehmer mit der Arbeit: Je mehr das Unternehmen wächst und sich vergrößert, läuft das Leben in Büros, Versammlungen, Reisen, Kongressen ab, und die Werkstätten und Fabriken werden nicht mehr besucht. Man vergisst den »Geruch« der Arbeit. Das ist schlimm. Es ist dasselbe, was auch mit uns Priestern und Bischöfen geschieht, wenn wir den Geruch der Schafe vergessen, keine Hirten mehr sind, sondern Funktionäre. Man vergisst den Geruch der Arbeit, man erkennt die Produkte nicht mehr mit geschlossenen Augen, indem man sie anfasst; und wenn ein Unternehmer seine Produkte nicht mehr anfasst, verliert er den Kontakt mit dem Leben seines Unternehmens, und oft beginnt auch sein wirtschaftlicher Abstieg. Der Kontakt, die Nähe ist der Stil Gottes: nahe sein.

Arbeit zu schaffen erzeugt außerdem eine gewisse Gleichheit in euren Unternehmen und in der Gesellschaft. Es stimmt, dass es in den Unternehmen eine Hierarchie gibt, es stimmt, dass es unterschiedliche Funktionen und Löhne gibt, aber die Löhne dürfen nicht zu verschieden sein. Heute ist der Wertschöpfungsanteil, der in die Arbeit fließt, zu klein, vor allem im Vergleich mit jenem, der in die Gewinneinkünfte und die Gehälter der Topmanager fließt. Wenn die Schere zwischen den höchsten und den niedrigsten Gehältern sich zu sehr weitet, dann wird die Unternehmensgemeinschaft krank, und bald wird auch die Gesellschaft krank. Adriano Olivetti, ein großer Kollege von euch aus dem vergangenen Jahrhundert, hatte eine Grenze für die Distanz zwischen den höchsten und den niedrigsten Gehältern festgelegt, weil er wusste, dass man, wenn die Löhne und Gehälter zu verschieden sind, in der Unternehmensgemeinschaft das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Bestimmung verliert, man keine Empathie und Solidarität zwischen allen schafft; und dass so die Arbeitsgemeinschaft angesichts einer Krise nicht so reagiert wie sie reagieren könnte, mit schwerwiegenden Folgen für alle. Der Wert, den ihr schafft, hängt von allen und jedem ab: Er hängt sowohl von eurer Kreativität, von der Begabung und von der Innovation als auch von der Zusammenarbeit aller, von der täglichen Arbeit aller ab. Denn es stimmt zwar, dass jeder Arbeiter von seinen Unternehmern und Vorgesetzten abhängig ist, aber es stimmt auch, dass der Unternehmer von seinen Arbeitern abhängig ist, von ihrer Kreativität, von ihrem Herzen und von ihrer Seele: Wir können sagen, dass er von ihrem geistlichen »Kapital«, dem der Arbeiter, abhängig ist.

Liebe Freunde, die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft können nicht gewonnen werden ohne gute Unternehmer, und das ist wahr. Ich ermutige euch, die dringende Erfordernis unserer Zeit zu spüren, Protagonisten dieses Epochenwandels zu sein. Mit eurer Kreativität und Innovation könnte ihr ein anderes Wirtschaftssystem zum Leben erwecken, wo der Umweltschutz ein direktes und unmittelbares Ziel eurer wirtschaftlichen Tätigkeit ist. Ohne neue Unternehmer wird die Erde die Auswirkungen des Kapitalismus nicht aushalten können, und wir werden den nächsten Generationen einen Planten hinterlassen, der zu sehr verwundet ist, auf dem das Leben vielleicht nicht mehr möglich ist. Was bisher getan wurde, genügt nicht: Bitte helfen wir einander, mehr zu tun.

Und ich danke euch, dass ihr gekommen seid. Ich wünsche euch alles Gute für euch und für eure Arbeit. Von Herzen segne ich euch und eure Familien. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke!



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