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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 29. September 1999

   

Liebe Schwestern und Brüder!

1. In engem Zusammenhang mit dem Sakrament der Buße stellt sich unserem Nachdenken ein Thema, das mit der Feier des Jubiläums besonders verbunden ist: Ich beziehe mich auf das Geschenk des Ablasses, welches im Jubeljahr in besonders reicher Fülle angeboten wird, wie es in der Bulle Incarnationis mysterium und den angefügten Anweisungen der Apostolischen Pönitentiarie vorgesehen wird. 

Es handelt sich um ein brisantes Thema, über das es an geschichtlichen Mißverständnissen nicht gefehlt hat, die sich negativ auf die Gemeinschaft der Christen selbst auswirkten. Im gegenwärtigen ökumenischen Umfeld verspürt die Kirche die Notwendigkeit, daß diese alte Praxis, begriffen als bedeutungsvoller Ausdruck des Erbarmens Gottes, recht verstanden und angenommen werde. Die Erfahrung bestätigt in der Tat, daß der Ablaß oft mit einer oberflächlichen Haltung angegangen wird. Das führt schließlich dazu, das Geschenk Gottes zunichte zu machen und die vom Lehramt der Kirche angebotenen Wahrheiten und Werte zu verdunkeln. 

2. Der Ausgangspunkt, um den Ablaß zu verstehen, ist die Überfülle des Erbarmens Gottes, die am Kreuz Christi offenkundig wurde. Der gekreuzigte Jesus ist der große »Ablaß«, den der Vater der Menschheit gewährt hat mit der Vergebung der Sünden und der Möglichkeit eines Lebens als Kinder Gottes (vgl. Joh 1,12-13) im Heiligen Geist (vgl. Gal 4,6; Röm 5,5; 8,15-16). 

Allerdings kann in der Logik des Bundes, die den Kern der ganzen Heilsökonomie bildet, dieses Geschenk ohne die Annahme und Antwort unsererseits nicht empfangen werden. 

Im Licht dieses Grundsatzes ist es nicht schwer zu verstehen, wie die Versöhnung mit Gott, die zwar auf einem ungeschuldeten und überreichen Angebot des Erbarmens beruht, dennoch zugleich einen anstrengenden Prozeß erforderlich macht, in den der Mensch mit seinem persönlichen Einsatz und die Kirche mit ihrem sakramentalen Auftrag einbezogen sind. Für die Vergebung von nach der Taufe begangenen Sünden hat dieser Weg seinen Mittelpunkt im Sakrament der Buße, reift aber auch nach dessen Vollzug weiter. Der Mensch muß in der Tat schrittweise von den negativen Folgen »geheilt« werden, die die Sünde in ihm zurückgelassen hat (und welche die theologische Tradition »Strafe« und »Schuld« der Sünde nennt). 

3. Nach der sakramentalen Vergebung noch von Strafen zu sprechen mag aufs erste gesehen wenig folgerichtig erscheinen. Das Alte Testament zeigt uns aber, daß es normal ist, nach der Vergebung Sühnestrafen zu erleiden. So sagt Gott von sich selbst, er sei ein »barmherziger und gnädiger Gott«, er nehme »Schuld, Frevel und Sünde weg«, setzt jedoch hinzu, daß er »nicht ungestraft« lasse (Ex 34,6-7). Im zweiten Buch Samuel bewirkt das demütige Bekenntnis des Königs David nach dessen schwerer Sünde die Vergebung Gottes für ihn (vgl. 2 Sam 12,13), nicht aber die Aufhebung der angekündigten Strafe (vgl. ebd., 12,11; 16,21). Die Vaterliebe Gottes schließt Züchtigung nicht aus, auch wenn diese stets in barmherziger Gerechtigkeit zu verstehen ist. Sie stellt die verletzte Ordnung zum Wert des Menschenwohls selbst wieder her (vgl. Hebr 12,4-11). 

In diesem Zusammenhang meint zeitliche Strafe die Leidensbefindlichkeit desjenigen der, obschon mit Gott versöhnt, noch jene »Schuld« der Sünde an sich trägt, die ihn nicht völlig offen für die Gnade sein läßt. Und eben im Blick auf die vollkommene Genesung ist der Sünder gerufen, einen Weg der Reinigung zur Fülle der Liebe aufzunehmen. 

Bei diesem Weg kommt uns die Barmherzigkeit Gottes mit besonderen Hilfen entgegen. Die zeitliche Strafe selbst erhält die Funktion einer »Medizin«, in dem Maß als der Mensch sich durch sie zu gründlicher Bekehrung ansprechen läßt. Das ist auch die Bedeutung der im Bußsakrament geforderten »Genugtuung«. 

4. Der Sinn des Ablasses ist vor diesem Hintergrund völliger Erneuerung des Menschen aufgrund der Gnade Christi, des Erlösers, durch den Dienst der Kirche zu verstehen. Der Ablaß hat seinen geschichtlichen Ursprung im Bewußtsein der frühen Kirche, daß sie dem Erbarmen Gottes durch die Milderung der für die sakramentale Vergebung auferlegten kanonischen Bußen Ausdruck geben konnte. Die Milderung war allerdings immer durch entsprechende persönliche und gemeinschaftliche Verpflichtungen aufgewogen, welche als Ersatz die »medizinische« Wirkung der Strafe übernehmen konnten. 

Wir können nun begreifen, warum man unter Ablaß versteht: »Erlaß einer zeitlichen Strafe vor Gott für Sünden, die hinsichtlich der Schuld schon getilgt sind. Ihn erlangt der Christgläubige, der recht bereitet ist, unter genau bestimmten Bedingungen durch die Hilfe der Kirche, die als Dienerin der Erlösung den Schatz der Genugtuungen Christi und der Heiligen autoritativ austeilt und zuwendet« (Enchiridion indulgentiarum, Normae de indulgentiis, Libreria Editrice Vaticana 1999, S. 21; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1471). 

Es gibt also einen »Schatz der Kirche«, der durch Ablässe »ausgeteilt« wird. Das »Austeilen« darf dabei nicht als eine Art automatische Übertragung, als ob es um eine »Sache« ginge, verstanden werden. Vielmehr ist es der Ausdruck des vollen Vertrauens der Kirche, vom Vater erhört zu werden, wenn sie – in Anbetracht der Verdienste Christi und, auf sein Geschenk hin, auch derjenigen der Gottesmutter und der Heiligen – ihn bittet, den schmerzlichen Aspekt der Strafe zu lindern oder zu tilgen und deren »heilkräftige« Bedeutung über andere Wege der Gnade zu entfalten. Im unergründlichen Geheimnis der göttlichen Weisheit kann dieses Geschenk der Fürsprache auch den verstorbenen Gläubigen zum Wohl gelangen, die dessen Früchte in der ihrer Befindlichkeit eigenen Weise empfangen. 

5. Man sieht somit, daß der Ablaß, weit davon entfernt, eine Art »Lösegeld« vom Bemühen um Umkehr zu sein, vielmehr Hilfe zu einem bereitwilligeren, großherzigeren und radikaleren Einsatz darstellt. Letzteres ist sogar erforderlich, insofern als die geistliche Vorbedingung zum Erlangen des vollkommenen Ablasses im Ausschluß »jeglicher Hinwendung zu irgendwelcher, selbst läßlichen Sünde« (vgl. Enchiridion indulgentiarum, S. 25) besteht. 

Es wäre also ein Irrtum, zu denken, daß man dieses Geschenk durch einfaches Erfüllen gewisser äußerlicher Vorschriften gewinnen könnte. Wenn auch das verlangt wird, so als Ausdruck und Unterstützung für den Weg der Umkehr. Und besonders ist damit gemeint: ein äußeres Zeichen des Glaubens an die überreiche Fülle des göttlichen Erbarmens und an das wunderbare Ereignis der von Christus erwirkten Gemeinschaft, der die Kirche als sein Leib und seine Braut untrennbar mit sich vereinigt hat.


Ein Thema, das gerade in den Ländern der Reformation delikat ist, möchte ich heute behandeln: den Ablaß, eine alte kirchliche Praxis. Es ist mein tiefer Wunsch, daß der Ablaß auch unter ökumenischer Rücksicht recht verstanden und wohlwollend aufgenommen wird.

Ausgangspunkt ist Gottes reiche Barmherzigkeit. Jesus Christus selbst ist gleichsam der große "Sündennachlaß", den der Vater der Menschheit gewährt hat. Dieses göttliche Geschenk wartet darauf, daß der Mensch es dankbar annimmt. Auch der Mensch ist gefragt!

Zwar geschieht die Versöhnung mit Gott "gratis", als Gnadengabe des Himmels. Doch gleichzeitig darf der Mensch seinen Beitrag leisten: Sein persönlicher Einsatz und das sakramentale Handeln der Kirche werden gleichermaßen eingefordert.

So wird klar, was Ablaß bedeutet: Auf der einen Seite wird der Mensch im Sakrament der Buße von seinen Sünden freigesprochen. Der Genesungsprozeß ist eingeleitet. Auf der anderen Seite bleiben aber Wunden zurück, die sich erst nach und nach schließen und langsam heilen. Die Ablässe bezeichnen Schritte auf diesem Weg der vollständigen Heilung. Sie sind eine Art Medizin je nach dem Maß, in dem sich der Mensch auf eine tiefe und ehrliche Umkehr einläßt.

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Auch eine Pilgerfahrt nach Rom kann ein Schritt sein, um dem Leben eine neue Richtung zu geben. So grüße ich die vielen Brüder und Schwestern aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Teilnehmer an der zwanzigsten Pilgerfahrt "Rom im Rollstuhl" willkommen. Außerdem freue ich mich, daß so viele Schüler - und Jugendgruppen zu dieser Begegnung gekommen sind. Euch, Euren Lieben zu Hause sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.


Aufruf zum Gebet für Ost-Timor

Aus Ost-Timor kommen in diesen Tagen weiterhin tragische Nachrichten von Gemetzeln an wehrlosen Bürgern, an Christen, Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen, die ihr Leben im Dienst an der Allgemeinheit aufzehrten. Insbesondere habe ich mit tiefem Schmerz erfahren, daß am Samstagnachmittag in der Nähe von Baucau zahlreiche Personen ermordet wurden, darunter auch zwei Missionsschwestern, Canossianerinnen. Ich lade euch ein, ihrer im Gebet zu gedenken zusammen mit allen Opfern der timoresischen Tragödie. Laßt uns beten für die an Leib und Seele Leidenden, für die Flüchtlinge und Vertriebenen sowie auch für alle, die zu deren Hilfe und zur Befriedung des Gebiets im Einsatz sind. Bitten wir den Herrn, daß das Beispiel dieser Zeugen einer Liebe bis hin zur völligen Hingabe ihres Lebens beitragen möge, daß in Ost-Timor eine hoffnungsvolle Zukunft entsteht. Ebenfalls möchte ich meine Anerkennung ausdrücken für die Initiative der in der Konferenz Christlicher Rundfunkanstalten Europas zusammengeschlossenen Radiosender, die heute miteinander durch besondere Sendungen und Appelle ihre Solidarität mit der Kirche und dem Volk von Ost-Timor bekunden.

  



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