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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 25. Juli 200
1

 

Lesung: Tob 13,2.6.7.9 – 10a 

Der Herr bestraft und rettet 

1. »Ich will meinen Gott rühmen, den König des Himmels« (Tob 13,9). Der Mensch, der diese Worte im soeben verkündeten Canticum ausspricht, ist der betagte Tobit, von dem das Alte Testament in dem nach seinem Sohn Tobias benannten Buch (Anm. d. Red.: Dies gilt nicht für die Bibelübersetzung in deutscher Sprache.) eine kurze und erbauliche Lebensgeschichte zeichnet. 

Um den Sinn dieses Hymnus vollkommen zu verstehen, muß man sich die Erzählungen auf den vorhergehenden Seiten vergegenwärtigen. Die Geschichte ereignet sich unter den in Ninive im Exil lebenden Israeliten. Auf sie blickt der Verfasser des Bibeltextes – der viele Jahrhunderte später schreibt –, um sie den Brüdern und Schwestern im Glauben, die unter einem fremden Volk verstreut leben und versucht sind, die Traditionen der Väter aufzugeben, als Vorbild vorzustellen. Die Beschreibung Tobits und seiner Familie wird somit als Lebensprogramm angeboten. Er ist der Mann, der trotz allem den Vorschriften des Gesetzes treu bleibt, insbesondere der Praxis des Almosengebens. Über ihn bricht das Unheil in Form von Armut und Blindheit herein, aber sein Glaube erlischt nicht. Die Antwort, die Gott durch den Engel Rafael gibt, läßt dann auch nicht auf sich warten: Er geleitet den jungen Tobias auf einer risikoreichen Reise, führt ihn zu einer glücklichen Ehe und heilt den Vater Tobit schließlich von seiner Blindheit. 

Die Botschaft ist eindeutig: Wer Gutes tut, besonders indem er sein Herz für die Bedürfnisse des Nächsten öffnet, ist dem Herrn wohlgefällig. Auch wenn er Prüfungen erdulden muß, wird er zu guter Letzt Gottes Wohlwollen erfahren. 

2. Vor diesem Hintergrund nehmen die Worte unseres Hymnus ihre ganze Bedeutung an. Sie laden dazu ein, nach oben zu schauen, auf »Gott, der in Ewigkeit lebt«, auf sein Reich, das »ewig währt«. Aus diesem Schauen auf Gott entwickelt sich eine Skizze der Theologie der Geschichte. In ihr versucht der Bibelautor auf die Frage zu antworten, die das versprengte und leidgeprüfte Gottesvolk sich stellt:Warum behandelt Gott uns so? Die Antwort bezieht sich sowohl auf die Gerechtigkeit als auch auf die Barmherzigkeit Gottes: »Er züchtigt uns wegen unserer Sünden, doch hat er auch wieder Erbarmen« (V. 5). Die Bestrafung erscheint auf diese Weise als eine Art göttliche Pädagogik, in der allerdings dem Erbarmen immer das letzte Wort vorbehalten ist: »Er züchtigt und hat auch wieder Erbarmen; er führt hinab in die Unterwelt und führt auch wieder zum Leben« (V. 2). 

Demzufolge kann man Gott, der sein Geschöpf nie verläßt, vollkommen vertrauen. Ja noch mehr: Die Worte des Hymnus führen zu einer Sichtweise, die sogar leidvollen Situationen eine heilsbringende Bedeutung zuweist, indem sie das Exil in eine Gelegenheit zum Zeugnis für die Werke Gottes verwandeln: »Bekennt euch zu ihm vor allen Völkern, ihr Kinder Israels; denn er selbst hat uns unter die Völker zerstreut. Verkündet dort seine erhabene Größe« (V. 3 – 4). 

3. Ausgehend von dieser Einladung zur Deutung des Exils unter der Perspektive der göttlichen Vorsehung können wir unsere Gedanken ausweiten auf die Betrachtung des geheimnisvoll positiven Sinns, den der Zustand des Leidens annimmt, wenn er in Hingabe an den Plan Gottes gelebt wird. Schon im Alten Testament setzen sich verschiedene Stellen mit diesem Thema auseinander. Denken wir nur an die Geschichte im Buch Genesis über Josef, der von seinen Brüdern verkauft wird (vgl. Gen 37, 2 – 36) und doch dazu bestimmt ist, einst ihr Retter zu sein. Und wie könnten wir das Buch Ijob vergessen? Hier ist es sogar ein Unschuldiger, der leidet und keine Erklärung für sein Drama findet, wenn er sich nicht der Größe und Weisheit Gottes überläßt (vgl. Ijob 42,1 – 6). 

Für uns, die wir diese Abschnitte aus dem Alten Testament aus christlicher Sicht deuten, kann der Bezugspunkt nur das Kreuz Christi sein, in dem das Geheimnis des Leids in der Welt seine tiefe Antwort findet. 

4. An die Sünder, die wegen ihres Unrechts gezüchtigt wurden (vgl. V. 5), richtet der Hymnus Tobits einen Aufruf zur Bekehrung, und er eröffnet die wunderbare Aussicht einer »beiderseitigen« Umkehr Gottes und des Menschen: »Wenn ihr zu ihm umkehrt, von ganzem Herzen und aus ganzer Seele, und euch an seine Wahrheit haltet, dann kehrt er sich euch zu und verbirgt sein Angesicht nicht mehr vor euch« (V. 6). Die Verwendung eines ähnlichen Wortes – »umkehren« und »zukehren« – für das Geschöpf und für Gott, wenn auch mit unterschiedlicher Bedeutung, ist sehr aussagekräftig. 

Wenn der Verfasser des Canticum vielleicht an die Vorteile denkt, die die »Rückkehr« Gottes mit sich bringt – das heißt an seine neue Gunst gegenüber dem Volk –, müssen wir im Licht des Geheimnisses Christi vor allem an das Geschenk denken, das Gott selbst ist. Noch mehr als seine Gaben braucht der Mensch Ihn selbst. Die Sünde ist eine Tragödie nicht so sehr, weil sie die Strafe Gottes auf uns zieht, sondern weil sie Ihn aus unserem Herzen verdrängt. 

5. Der Hymnus lenkt daher unsere Blicke auf das Antlitz Gottes, der als Vater betrachtet wird, und er lädt uns zum Lob und Preis ein: »Er ist unser Herr und Gott, er ist unser Vater« (V. 4). Hier spürt man den Sinn der besonderen »Kindschaft«, die Israel als Geschenk des Bundes erfährt und die das Mysterium der Menschwerdung des Gottessohnes vorbereitet. Dann wird in Jesus das Antlitz des Vaters erstrahlen, und seine grenzenlose Barmherzigkeit wird offenbar werden. 

Es würde ausreichen, an die vom Evangelisten Lukas verfaßte Parabel des barmherzigen Vaters zu denken. Der Umkehr des verlorenen Sohnes entspricht nicht nur die Vergebung des Vaters, sondern seine Umarmung voller unendlicher Zärtlichkeit, die von Freude und festlicher Stimmung begleitet ist: »Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn« (Lk 15,20). Die Worte unseres Canticum kommen dem bewegenden Bild aus dem Evangelium sehr nahe. Daraus ergibt sich das Bestreben, Gott zu loben und ihm zu danken: »Wenn ihr dann seht, was er für euch tut, bekennt euch laut und offen zu ihm! Preist den Herrn der Gerechtigkeit, rühmt den ewigen König!« (V. 7). 


Liebe Schwestern und Brüder!

Die Worte aus dem Buch Tobit, die wir soeben vernommen haben, stehen im Zusammenhang mit der Errettung aus der großen Not, die der greise Tobit mit großer Ergebenheit und Glaubenstreue überwunden hat.  

Er und seine Familie sind leuchtende Beispiele des Glaubens an Gott, der niemals einen Menschen verläßt, auch wenn dieser für eine bestimmte Zeit Krankheit und Leid, Trauer und Angst erleiden muß. 

Deshalb besingt Tobit voller Dankbarkeit und Zuversicht Gottes Barmherzigkeit und Liebe. Denn der Gerechte weiß, daß ihn nichts zerstören kann, weil Gottes Wohlwollen immer und in jeder Situation den einzelnen begleitet.          

   * * * * * 

Herzlich begrüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders willkommen heiße ich die Jugendlichen aus Bonn und die Ministranten und Ministrantinnen. Nehmt Euch Tobit zum Vorbild. Vertraut auch ihr auf den Herrn und überwindet mit eurem Glauben, eurer Hoffnung und eurer Liebe die dunklen Täler und Schattenseiten eures Lebens. Gerne erteile ich euch allen und euren Lieben daheim den Apostolischen Segen. 

                               



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