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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 10. Oktober 200
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Lesung: Jer 31,10 – 14 
Gott befreit und versammelt sein Volk in der Freude

1. »Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn, verkündet es auf den fernsten Inseln« (Jer 31,10). Welche Botschaft vermitteln uns diese feierlichen Worte von Jeremias, die wir im soeben vorgelesenen Canticum gehört haben? Es ist eine trostreiche Nachricht, und nicht zufällig werden die Kapitel, die sie enthalten (vgl. 30 – 31), als »Trostschrift« bezeichnet. Die Botschaft betrifft in erster Linie das antike Israel, aber sie läßt in gewisser Weise bereits die Botschaft des Evangeliums durchscheinen. 

Die Hauptaussage der Nachricht lautet: »Der Herr wird Jakob erlösen und ihn befreien aus der Hand des Stärkeren« (Jer 31,11). Den geschichtlichen Hintergrund dieser Worte bildet eine Zeit der Hoffnung, die das Volk Gottes etwa ein Jahrhundert nach der Besetzung des Nordteils des Landes durch die Assyrer im Jahr 722 erlebte. Nun, zur Zeit des Propheten, läßt die religiöse Reform von König Joschija eine Rückkehr des Volkes zum Bund mit Gott erkennen und nährt die Hoffnung, daß die Zeit der Strafe zu Ende ist. Es eröffnet sich die Perspektive, daß der Norden seine Freiheit wiederfindet und Israel und Juda in Einheit zusammenfinden. Alle, auch die »fernsten Inseln«, sollen Zeugen dieses wunderbaren Ereignisses sein: Gott, der Hirt Israels, wird nun eingreifen. Er, der die Versprengung seines Volkes erlaubte, kommt nun, um es zusammenzuführen. 

2. Die Einladung zur Freude wird mit tief bewegenden Bildern dargestellt. Es ist eine Weissagung, die zum Träumen anregt! Sie schildert eine Zukunft, in der die Verbannten »kommen und jubeln« und nicht nur den Tempel des Herrn, sondern auch alle Güter wiederfinden werden: Korn, Wein, Öl, Lämmer und Rinder. Die Bibel kennt keinen abstrakten Spiritualismus. Die verheißene Freude betrifft nicht nur das Innerste des Menschen, sondern der Herr kümmert sich um das Leben des Menschen in all seinen Dimensionen. Jesus selbst wird diesen Aspekt hervorheben und seine Jünger auffordern, auch hinsichtlich der materiellen Bedürfnisse auf die Vorsehung zu vertrauen (vgl. Mt 6,25 –34). Unser Canticum bekräftigt diese Sichtweise: Gott möchte den Menschen in seiner Gesamtheit glücklich machen. Die Lebensumstände, die er für seine Kinder vorbereitet, werden durch das Bild des »bewässerten Gartens« (vgl. Jer 31,12) als Zeichen der Frische und Fruchtbarkeit zum Ausdruck gebracht. Die Trauer verwandelt sich in Jubel, man sättigt sich an Köstlichkeiten (vgl. V. 14) und wird mit Gaben überhäuft, so daß man ganz spontan zu tanzen und zu singen anfängt. Es herrscht überschwengliche Freude, das ganze Volk ist von Glückseligkeit erfüllt. 

3. Die Geschichte lehrt uns, daß dieser Traum damals nicht in Erfüllung ging, aber sicher nicht deshalb, weil Gott sein Versprechen gebrochen hätte: Für diese Enttäuschung war wiederum das Volk mit seiner Untreue verantwortlich. Das Buch Jeremia will dies aufzeigen durch die Entwicklung einer Weissagung, die, leiderfüllt und bedrückend, schrittweise zu einigen der traurigsten Kapitel in der Geschichte Israels führt. Man wartet nicht nur vergeblich auf die Rückkehr der Verbannten des Nordens: Im Jahr 587 v. Chr. wird Nebukadnezzar sogar Judäa besetzen. Dann werden bittere Tage beginnen, und an den Strömen von Babel wird man die Harfen an die Weiden hängen (vgl. Ps 137,2). In der Seele regt sich keinerlei Bereitschaft, zur Genugtuung der Peiniger zu singen. Wie könnte sich jemand freuen, der mit Gewalt der Heimat entrissen wird, dem Land, in dem Gott seine Wohnstatt errichtet hat. 

4. Dennoch verliert die Einladung zur Freude, die diese Weissagung charakterisiert, nichts von ihrer Bedeutung. Unerschütterlich bleibt nämlich die letztendliche Motivation, auf der sie gründet; diese Motivation zeigt sich besonders in einigen eindrucksvollen Versen, die denen des Stundengebets vorausgehen. Wir müssen sie uns deutlich vor Augen halten, wenn wir die freuderfüllten Worte unseres Canticums lesen. Sie beschreiben die Liebe Gottes zu seinem Volk mit bewegenden Worten und verweisen auf einen unwiderruflichen Bund: »Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt« (Jer 31,3). Sie besingen die väterliche Zuneigung eines Gottes, der Efraim, seinen Erstgeborenen, ruft und ihn zärtlich umsorgt: »Weinend kommen sie, und tröstend geleite ich sie. Ich führe sie an wasserführende Bäche, auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln. Denn ich bin Israels Vater« (Jer 31,9). Auch wenn die Verheißung damals wegen der Nichtentsprechung der Kinder unerfüllt bleiben mußte, bleibt die Liebe des Vaters in ihrer ganzen, ergreifenden Milde. 

5. Diese Liebe ist der rote Faden, der die Abschnitte der Geschichte Israels – in ihren Freuden und Traurigkeiten, in ihren Erfolgen und Niederlagen – miteinander verbindet. Gott läßt nicht nach in seiner Liebe, und sogar die Bestrafung ist Ausdruck hiervon; auf diese Weise nimmt sie eine pädagogische und heilsbringende Bedeutung an. 

Auf dem starken Fels dieser Liebe läßt die Aufforderung zur Freude in unserem Canticum an eine Zukunft Gottes denken, die zwar mit Verzögerung, aber dennoch früher oder später kommen wird, trotz aller Unzulänglichkeiten der Menschen. Diese Zukunft hat sich im neuen Bund verwirklicht durch den Tod und die Auferstehung Christi und die Gabe des Geistes – sie wird aber ihre vollständige Erfüllung erst bei der eschatologischen Rückkehr des Herrn finden. Im Licht dieser Gewißheiten bleibt der »Traum« Jeremias eine reelle geschichtliche Möglichkeit, der bedingt ist durch die Treue der Menschen; er bleibt vor allem ein letztes Ziel, das durch die Treue Gottes gewährleistet und durch seine Liebe in Christus besiegelt wird. 

Wenn wir also diese Weissagung Jeremias lesen, müssen wir das Evangelium, die frohe, von Christus in der Synagoge von Nazaret verkündete Botschaft, widerhallen lassen (vgl. Lk 4,16 - 21). Das christliche Leben sollte ein wahrer »Jubel« sein, den nur unsere Sünde gefährden kann. Das Stundengebet lädt uns ein, durch das Rezitieren der Worte Jeremias unser Leben in Christus, unserem Erlöser (vgl. Jer 31,11), zu verankern und in Ihm das Geheimnis der wahren Freude in unserem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben zu suchen. 


Liebe Schwestern und Brüder!

Die trostreichen Worte des Propheten Jeremias erreichen die Herzen der Israeliten seiner Zeit in einer traurigen Situation. Das Volk Gottes soll neue Hoffnung schöpfen und sich am Herrn erfreuen, der die Geschicke der einzelnen Menschen und die Geschichte der Gemeinschaft lenkt. 

Überschwenglich sind die Worte und blumenreich die Bilder, die zur Zuversicht und Freude führen sollen. Die Not der Verbannten wendet sich, sie haben Teil am Reichtum des Landes und am Ertrag des Bodens. Gott will, daß der Mensch Sinn und Glück findet, ganz und gar, mit Leib und Seele. 

Diese Vision des Jeremias wird sich freilich erst in der Endzeit einstellen. Seit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi sind wir unter der Führung des Heiligen Geistes unterwegs: zum Ziel der ewigen Freude in Gott. 

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Herzlich begrüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders willkommen heiße ich die Teilnehmer an der Wallfahrt der Kirchenchöre des Erzbistums Köln in Begleitung von Kardinal Joachim Meisner. Wer singt, der betet zweifach! Euer Singen sei stets Gebet aus dem Innersten des Herzens. Gerne erteile ich euch allen und euren Lieben daheim den Apostolischen Segen. 

                         



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