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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 8. Mai 2002

 

Lesung: Ps 51, 3. 6. 9 –10 1. 

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Am Freitag jeder Woche wird in der Liturgie der Laudes der Psalm 51 gebetet, das »Miserere«, der beliebteste, am meisten gesungene und meditierte Bußpsalm, ein Hymnus, den der reumütige Sünder an den barmherzigen Gott richtet. Wir hatten in einer der vorhergehenden Katechesen bereits Gelegenheit, einen Überblick über dieses großartige Gebet zu bieten. Man begibt sich zunächst in den düsteren Bereich der Sünde, um das Licht der menschlichen Reue und Buße und der göttlichen Vergebung zu bringen (vgl. V. 3 –11). Dann geht man über zum Lobpreis des Geschenkes der göttlichen Gnade, die Geist und Herz des reuigen Sünders verwandelt und erneuert: Das ist ein heller Bereich, voll Hoffnung und Zuversicht (vgl. V. 12 –21). 

In unserer Reflexion wollen wir über den ersten Teil des Psalms 51 nachdenken und einige Aspekte eingehender untersuchen. An den Anfang möchten wir aber den wunderbaren göttlichen Spruch vom Sinai stellen, der gleichsam ein Bild des vom »Miserere« besungenen Gottes ist: »Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue: Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg« (Ex 34, 6 –7). 

2. Die anfängliche Bitte steigt auf zu Gott, um das Geschenk der Reinigung zu erhalten, so daß die Sünden, die – wie der Prophet Jesaja sagte – an sich »rot wie Scharlach« und »wie Purpur« sind, »weiß werden wie Schnee« und »wie Wolle« (vgl. Jes 1, 18). Der Psalmist bekennt seine Sünde klar und ohne zu zögern: »Ich erkenne meine bösen Taten …Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt« (Ps 51, 5 –6). 

Es tritt also das persönliche Gewissen des Sünders hervor, der seine bösen Taten klar erkennt. Das ist eine Erfahrung, die Freiheit und Verantwortung erfordert und zu dem Eingeständnis führt, eine Beziehung abgebrochen zu haben, um sich für ein dem Wort Gottes entgegengesetztes, alternatives Leben zu entscheiden. Daraus folgt die Entscheidung, sich radikal zu ändern. Das alles ist in dem Wort »erkennen« enthalten, einem Verb, das im Hebräischen nicht nur eine verstandesmäßige Zustimmung, sondern eine Lebensentscheidung bedeutet. 

Und das tun leider nicht viele, so daß Origines uns mahnt: »Es gibt Menschen, die sündigen, und danach ganz ruhig sind und sich wegen ihrer Sünde keine Sorgen machen, denen die begangene Sünde nicht im geringsten bewußt wird, ja, die leben, als sei nichts geschehen. Von diesen kann man wirklich nicht sagen: Meine Sünde steht mir immer vor Augen. Wenn sich hingegen jemand nachher wegen der Sünde verzehrt und quält, von Gewissensbissen gepeinigt und unablässig aufgerieben wird, wenn sich sein Innerstes auflehnt, um ihn anzuklagen, dann kann er mit gutem Recht ausrufen: Angesichts meiner Sünden gibt es für meine Gebeine keinen Frieden …Wenn wir uns also die begangenen Sünden vor die Augen unseres Herzens halten, sehen wir eine nach der andern, wir erkennen sie, wir erröten, und wir bereuen das, was wir getan haben, und sagen dann, zurecht aufgewühlt und entsetzt, daß es angesichts unserer Sünden keinen Frieden in unseren Gebeinen gibt …« (Homilie über die Psalmen, Florenz 1991, S. 277 –279). Erkenntnis und Bewußtsein der Sünde erwachsen deshalb aus einer Sensibilität, die dank des Lichtes des Wortes Gottes erlangt wird. 

3. Im Bekenntnis des »Miserere« gibt es einen besonders markanten Akzent: Die Sünde wird nicht nur in ihrer persönlichen und »psychologischen« Dimension erfaßt, sondern sie wird vor allem hinsichtlich ihrer theologischen Eigenschaften beschrieben. »Gegen dich allein habe ich gesündigt« (Ps 51, 6), ruft der Sünder aus, dem die Tradition das Gesicht Davids gegeben hat, der sich seines Ehebruchs mit Betsabea und der Anklage des Propheten Natan wegen dieses Verbrechens und der Ermordung ihres Ehemannes Uria (vgl. V. 2; 2 Sam 11 –12) bewußt ist. 

Die Sünde ist also nicht eine rein psychologische oder soziale Frage, sondern ein Ereignis, das die Beziehung zu Gott schädigt, indem sein Gesetz verletzt, sein Plan in der Geschichte zurückgewiesen, die Werteskala grundlegend geändert wird und »die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis gemacht«, das heißt »das Böse gut und das Gute böse genannt wird« (vgl. Jes 5, 20). Bevor sie gegebenenfalls eine Beleidigung gegen den Menschen darstellt, ist die Sünde vor allem Verrat an Gott. Bezeichnend dafür sind die Worte, die der verlorene Sohn, der mit Gütern verschwenderisch umgeht, zu seinem Vater sagt, der großzügig in der Liebe ist: »Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt!« (Lk 15, 21). 

4. In diesem Zusammenhang bringt der Psalmist einen anderen Aspekt vor, der eng mit der menschlichen Wirklichkeit verbunden ist. Es ist der Satz, der in verschiedener Weise ausgelegt und auch mit der Lehre von der Erbsünde verknüpft wurde: »Denn ich bin in Schuld geboren; in Sünde hat mich meine Mutter empfangen« (Ps 50, 7). Der Beter will auf die Gegenwart des Bösen in unserem ganzen Sein hinweisen, wie es durch die Erwähnung der Empfängnis und der Geburt deutlich wird; durch diese beiden Begriffe wird das ganze Dasein von seinem Ursprung an bezeichnet. Aber der Psalmist führt diesen Zustand nicht formell auf die Sünde von Adam und Eva zurück, er spricht nicht ausdrücklich von der Erbsünde. 

Jedenfalls ist klar, daß dem Psalmtext zufolge das Böse sich im Innersten des Menschen einnistet, es ist der historischen Wirklichkeit innewohnend, und deshalb ist die Bitte um das Eingreifen der göttlichen Gnade von entscheidender Bedeutung. Die Macht der Liebe Gottes übertrifft die der Sünde, der Sturzbach des Bösen besitzt weniger Kraft als das befruchtende Wasser der Vergebung: »Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden« (Röm 5, 20).

5. Auf diese Weise werden die Lehre von der Erbsünde und das gesamte biblische Bild des sündigen Menschen indirekt durch Worte wieder lebendig, die zugleich das Licht der Gnade und der Erlösung durchscheinen lassen. 

Wir werden in Zukunft noch auf diesen Psalm und seine nachfolgenden Verse zurückkommen und Gelegenheit haben, zu entdecken, daß das Schuldbekenntnis und das Bewußtsein des eigenen Elends nicht in Angst oder Schrecken vor dem Gericht, sondern in die Hoffnung auf die Läuterung, die Erlösung, die neue Schöpfung münden. 

Denn Gott »hat uns gerettet – nicht weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen können, sondern aufgrund seines Erbarmens – durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist. Ihn hat er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter« (Tit 3, 5 –6). 


Gott können wir nichts vormachen. Die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer und Herrn verlangt nach ganz tiefer Ehrlichkeit. Dies gilt auch für das Eingeständnis unseres Versagens und unserer Schuld. 

Die Bitte um Vergebung und Neuschaffung in Psalm 51 geht von der Einsicht aus, daß die Sünde nicht nur ein Problem sozialer oder psychologischer Natur ist. Sie richtet sich vielmehr gegen Gott selbst und verletzt somit unsere Beziehung zu Ihm. Weil die Sünde zuerst ein Verrat an Gott und seiner Liebe ist, fleht der reuige Mensch: „Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld; gegen dich allein habe ich gesündigt. " Den demütigen Beter trägt dabei die befreiende Erkenntnis des Apostels Paulus: „Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden!" (Röm 5, 20). 

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Ich heiße die deutschsprachigen Pilger und Besucher herzlich willkommen. In besonderer Weise begrüße ich die Angehörigen und Freunde der Päpstlichen Schweizergarde, die anläßlich der Vereidigung der neuen Rekruten nach Rom gekommen sind. Gerne erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen. 

  



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