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  JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 30. April 2003

 

Lesung: Psalm 101 

1 Die Vorsätze eines Königs 
[Ein Psalm Davids.] Von Gnade und Recht will ich singen; dir, o Herr, will ich spielen. 
2 Ich will auf den Weg der Bewährten achten. / Wann kommst du zu mir? Ich lebe in der Stille meines Hauses mit lauterem Herzen. 
3 Ich richte mein Auge nicht auf Schändliches; ich hasse es, Unrecht zu tun, es soll nicht an mir haften. 
4 Falschheit sei meinem Herzen fern; ich will das Böse nicht kennen. 
5 Wer den Nächsten heimlich verleumdet, den bring ich zum Schweigen. Stolze Augen und hochmütige Herzen kann ich nicht ertragen. 
6 Meine Augen suchen die Treuen im Land; / sie sollen bei mir wohnen. Wer auf rechten Wegen geht, der darf mir dienen. 
7 In meinem Haus soll kein Betrüger wohnen; kein Lügner kann vor meinen Augen bestehen. 
8 Morgen für Morgen spreche ich das Urteil / über die Frevler im Land, um in der Stadt des Herrn alle auszurotten, die Unrecht tun.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Nach den beiden Katechesen, die der Bedeutung der Osterfeiern gewidmet waren, setzen wir unsere Betrachtungen über die Liturgie der Laudes fort. Sie stellt uns am Dienstag der vierten Woche Psalm 101 vor, den wir soeben gehört haben. 

Er ist eine Betrachtung, die das Bild des idealen Politikers beschreibt, dessen Lebensmodell das göttliche Handeln und Herrschen über die Welt sein sollte: rechtschaffenes Tun, verbunden mit vollkommener moralischer Integrität und kraftvollem Engagement gegen Ungerechtigkeiten. Dieser Text wird jetzt als Lebensprogramm für den Gläubigen angeboten, der seinen Arbeitstag und den Umgang mit dem Nächsten beginnt. Es ist ein Programm von »Gnade und Recht« (vgl. V. 1), das in zwei große moralische Leitlinien untergliedert ist. 

2. Die erste wird »Weg der Bewährten« genannt und will die persönlichen Lebensentscheidungen hervorheben, die »mit lauterem Herzen«, das heißt nach bestem Gewissen, getroffen werden (vgl. V. 2). 

Einerseits wird in positiver Weise von den großen moralischen Tugenden gesprochen, die das »Haus«, das heißt die Familie des Gerechten, hell machen (vgl. V. 2): die Weisheit, die zu guter Erkenntnis und Urteilskraft verhilft; die Unschuld, die Reinheit des Herzens und der Lebensführung bedeutet; und schließlich die Lauterkeit des Gewissens, das keine Kompromisse mit dem Bösen duldet. 

Anderseits erwähnt der Psalmist eine negative Verpflichtung. Es handelt sich um den Kampf gegen jede Form von Bosheit und Ungerechtigkeit, damit von der eigenen Familie und den persönlichen Entscheidungen jede Verletzung der moralischen Ordnung ferngehalten wird (vgl. V. 3–4). 

Der große orientalische Kirchenvater Basilius schreibt in seinem Werk Die Taufe: »Wer mit Christus in einem Tod wie dem seinigen zusammengefügt ist, den darf nicht einmal die Lust eines Augenblicks verwirren, weil sie das Denken verunreinigt« (Opere ascetiche, Torino 1980, S. 548). 

3. Die zweite Leitlinie wird im Schlußteil des Psalms entwickelt (vgl. V. 5–8) und betont nachdrücklich die Bedeutung der ausgeprägtesten öffentlichen und sozialen Gaben. Auch in diesem Fall werden die wesentlichen Punkte einer Lebensführung angeführt, die das Böse mit Strenge und Entschlossenheit abweist. 

Besonders der Kampf gegen die Verleumdung und die heimliche Denunziation, eine grundlegende Aufgabe in einer Gesellschaft mit mündlicher Überlieferung, die der Rolle des gesprochenen Wortes in den zwischenmenschlichen Beziehungen besonderes Gewicht zuschrieb. Der König, der auch das Amt des Richters ausübt, verkündet, daß er in diesem Kampf äußerste Strenge anwenden wird: Er wird den Verleumder zum Schweigen bringen (vgl. V. 5). Dann wird jeder Stolz und Hochmut abgelehnt; der Umgang und der Rat dessen, der immer mit Falschheit und Lüge vorgeht, wird zurückgewiesen. Schließlich erklärt der König, auf welche Weise er seine »Diener«, das heißt seine Minister, auswählen will (vgl. V. 6). Er wird sie unter den »Treuen im Land« suchen. Er will sich mit rechtschaffenen Leuten umgeben und den Kontakt mit den »Betrügern« meiden (vgl. V. 7). 

4. Der letzte Vers des Psalms klingt besonders streng. Er kann den christlichen Leser in Verlegenheit bringen, weil vom »Ausrotten« die Rede ist: »Morgen für Morgen spreche ich das Urteil über die Frevler im Land, um in der Stadt des Herrn alle auszurotten, die Unrecht tun« (V. 8). Aber es ist wichtig, sich eine Sache vor Augen zu halten: Wer so spricht, ist nicht irgendeine Person, sondern der König, der höchste Verantwortliche für das Recht im Land. Mit diesem Satz bringt er symbolisch seine unnachsichtige Bekämpfung der Kriminalität zum Ausdruck, eine Verpflichtung, die von all denen geteilt wird, die in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten Verantwortung tragen. 

Offenbar steht diese Aufgabe des Verteidigers von Recht und Ordnung nicht jedem Bürger zu! Wenn deshalb die einzelnen Gläubigen diesen Satz des Psalms auf sich selbst anwenden wollen, müssen sie es im analogen Sinn tun, das heißt, daß sie sich entschließen, jeden Morgen aus dem eigenen Herzen und der eigenen Lebensführung die schlechten Wurzeln der Korruption und der Gewalt, der Verkehrtheit und Bosheit sowie jede Form von Egoismus und Ungerechtigkeit auszureißen. 

5. Wir beenden unsere Betrachtung mit dem Anfangsvers des Psalms: »Von Gnade und Recht will ich singen …« (V. 1). Ein christlicher Schriftsteller der Antike, Eusebius von Cäsarea, hebt in seinem Kommentar über die Psalmen den Vorrang der Gnade und Liebe über die notwendige Gerechtigkeit hervor: »Von deinem Erbarmen und deinem Urteil will ich singen und deine gewohnte Weise zeigen: Nicht zuerst urteilen und dann sich erbarmen, sondern zuerst sich erbarmen und dann urteilen, und mit Gnade und Barmherzigkeit die Urteile fällen. 

Aus diesem Grund, indem ich über den Nächsten ein barmherziges Urteil abgebe, wage ich, vor dich hinzutreten, um dich zu loben und zu preisen. Weil ich also weiß, daß man so handeln muß, bewahre ich meine Wege unbefleckt und schuldlos in der Überzeugung, daß dir auf diese Weise mein Loblied mit Hilfe der guten Werke wohlgefällig sein wird« (PG 23,1241). 


Gottes Herrschaft gründet auf seiner Barmherzigkeit. Diese Gewißheit begeistert den König David: „Von Gnade und Recht will ich singen" (Ps 101, 1). Der gerechte König nimmt sich Gottes Heilshandeln zum Vorbild und geht den Weg der Aufrichtigen. Von Unrecht und Falschheit will er nichts wissen (vgl. Ps 101, 4), denn Ehrlichkeit und Treue kennzeichnen den Bund zwischen Gott und seinem Volk.

Psalm 101 lädt uns ein, nach Gnade und Recht zu streben. Unsere Verwurzelung in Christus hilft uns, der Bosheit keinen Raum zu geben und auf die Vollendung in Gott zu hoffen.

Freundlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Besonders grüße ich die Mitglieder des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften. Stimmt alle ein in den Lobpreis Jesu Christi, des auferstandenen Herrn! Was der Mund bekennt, das bringe auch die gute Tat zum Ausdruck. Österliche Freude erfülle eure Herzen und Gottes Gnade begleite euch!

 

      



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