Index   Back Top Print

[ DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PT ]

JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 20. August 2003

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Lesung: Ps 147,12–15.19–20
12 Dank für Gottes Güte Jerusalem, preise den Herrn, lobsinge, Zion, deinem Gott!
13 Denn er hat die Riegel deiner Tore festgemacht, die Kinder in deiner Mitte gesegnet;
14 er verschafft deinen Grenzen Frieden, und sättigt dich mit bestem Weizen.
15 Er sendet sein Wort zur Erde, rasch eilt sein Befehl dahin.
19 Er verkündet Jakob sein Wort, Israel seine Gesetze und Rechte.
20 An keinem andern Volk hat er so gehandelt, keinem sonst seine Rechte verkündet. Halleluja!

1. Der Psalm, der uns soeben zur Meditation vorgeschlagen wurde, ist der zweite Teil des vorhergehenden Psalms 146. Die alten lateinischen und griechischen Übersetzungen, auf die sich die Liturgie bezieht, haben ihn hingegen als einen eigenständigen Gesang betrachtet, denn sein Beginn unterscheidet ihn ganz eindeutig vom vorigen Abschnitt. Der Anfang ist berühmt geworden, auch weil er oft auf lateinisch vertont wurde: »Lauda, Jerusalem, Dominum.« Diese einleitenden Worte sind die typische Einladung jener Psalmenhymnen, in denen ein Lobpreis auf den Herrn angestimmt wird: Jetzt wird Jerusalem – als Personifizierung des Volkes – aufgefordert, seinen Gott zu preisen und ihm zu lobsingen (vgl. V. 12).

Sofort wird der Grund erwähnt, weswegen die betende Gemeinschaft ihr Lob zum Herrn erheben soll. Dieser Grund ergibt sich aus der Geschichte: Er, der Israel aus dem babylonischen Exil befreite, schenkte seinem Volk Sicherheit, indem er »die Riegel der Tore [der Stadt] festmachte « (vgl. V. 13).

Als Jerusalem unter dem Angriff der Heerscharen König Nebukadnezzars im Jahr 586 v. Chr. zerstört worden war, hatte das Buch der Klagelieder Gott selbst als Richter über die Sünden Israels dargestellt, wie er »die Mauer der Tochter Zion [schleifte …] In den Boden sanken ihre Tore, ihre Riegel hat er zerstört und zerbrochen « (Klgl 2,8.9). Nun hingegen ist der Herr erneut der Erbauer der heiligen Stadt; im wiederaufgebauten Tempel segnet er aufs neue seine Kinder. So findet das Werk Nehemias Erwähnung (vgl. Neh 3,1–38), der die Mauern Jerusalems wiederaufrichtete, damit die Stadt erneut zu einer Oase der Ruhe und des Friedens werde.

2. Der Friede, salôm, kommt einem in der Tat sofort in den Sinn, auch weil er symbolisch im Namen Jerusalems enthalten ist. Schon der Prophet Jesaja hatte der Stadt verheißen: »Ich setze den Frieden als Aufsicht für dich ein und die Gerechtigkeit als deinen Vogt« (60,17).

Aber Gott bewirkt nicht nur den Wiederaufbau der Stadtmauern, die er segnet und in Sicherheit befriedet: Er gewährt Israel auch andere wichtige Gaben. Dies wird im letzten Abschnitt des Psalms beschrieben, wo an die Geschenke der Offenbarung, des Gesetzes und der göttlichen Gebote erinnert wird: »Er verkündet Jakob sein Wort, Israel seine Gesetze und Rechte« (Ps 147,19).

So wird die Erwählung Israels und sein einzigartiger Auftrag unter den Völkern gefeiert, nämlich der Welt das Wort Gottes zu verkünden. Es ist ein prophetischer und priesterlicher Auftrag, denn »welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?« (Dt 4,8). Durch Israel – und somit auch durch die christliche Gemeinschaft, das heißt die Kirche – kann das Wort Gottes in der Welt ertönen und Norm und Lebenslicht für alle Völker werden (vgl. Ps 147,20).

3. Wir haben nun den ersten Grund für das Lob, das zum Herrn erhoben werden soll, aufgezeigt: Es hat eine historische Begründung, denn es ist mit dem befreienden und offenbarenden Wirken Gottes gegenüber seinem Volk verknüpft.

Es gibt aber einen weiteren Grund zum Jubel und Lobpreis: Er ist kosmischer Natur, weil er verbunden ist mit dem schöpferischen Wirken Gottes. Das Gotteswort bricht ein, um allem Seienden Leben zu verleihen. Wie ein Bote läuft es rasch durch die riesigen Weiten der Erde (vgl. Ps 147,15). Und sofort geschehen überall Wunderwerke.

Dort kommt der Winter, dessen atmosphärische Phänomene in poetischem Stil dargestellt werden: Der Schnee ist wie Wolle in seiner Reinheit, der Reif mit seinen kleinen Körnern wie Asche aus der Wüste (vgl. V. 16), der Hagel ähnelt auf den Boden geworfenen Brotkrumen, der Frost läßt die Erde erstarren und die Vegetation stillstehen (vgl. V. 17). Es ist ein winterliches Bild, das uns einlädt, die Wunder der Schöpfung zu entdecken, und das in einem sehr malerischen Bild eines weiteren Buchs der Bibel wieder aufgenommen wird (vgl. Sir 43,18–20).

4. Aber schon tritt – ebenfalls durch das Wirken des Gotteswortes – erneut der Frühling in Erscheinung. Das Eis schmilzt; es weht ein warmer Wind, der die Wasser rieseln läßt (vgl. Ps 147,18). Es wiederholt sich der ewige Zyklus der Jahreszeiten, also auch die Lebensmöglichkeit für Männer und Frauen.

Selbstverständlich hat es an metaphorischen Deutungen dieser Gaben Gottes nicht gefehlt. Der »beste Weizen« ließ an das große Geschenk des eucharistischen Brotes denken. Origenes, der große christliche Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, erkannt in jenem Weizen sogar das Zeichen für Christus selbst und insbesondere für die Heilige Schrift.

Dies ist sein Kommentar: »Unser Herr ist das Weizenkorn, das zu Boden fiel und sich für uns vermehrte. Dieses Weizenkorn ist aber von einzigartiger Fülle […] Das Wort Gottes ist von einzigartiger Fülle, es enthält alle Wonnen. Alles, was du ersehnst, kommt vom Wort Gottes, so wie es die Juden berichten: Wenn sie das Manna aßen, nahm es in ihrem Mund den Geschmack an, den sich jeder von ihnen wünschte […] So ist es auch für das Fleisch Christi, das das Wort der Lehre, also das Verständnis der Heiligen Schrift, ist: Je größer unser Wunsch danach ist, desto größer wird auch die Nahrung, die wir dadurch erhalten. Wenn du heilig bist, findest du Erquickung; bist du Sünder, findest du Qual« (vgl. Origenes-Hieronymus, 74 Homilien über das Buch der Psalmen).

5. Der Herr wirkt demnach mit seinem Wort nicht nur in der Schöpfung, sondern auch in der Geschichte. Er offenbart sich durch die stille Sprache der Natur (vgl. Ps 18,2–7), äußert sich aber klar und deutlich durch die Bibel und seine persönliche Kommunikation mit den Propheten sowie in ganzer Fülle im Sohn (vgl. Hebr 1,1–2). Es sind zwei unterschiedliche, aber einander ergänzende Geschenke seiner Liebe.

Deshalb soll jeden Tag unser Lob zum Himmel aufsteigen. Es ist unser Dankeschön, das morgens im Gebet der Laudes beginnt, um den Herrn des Lebens und der Freiheit, des Daseins und des Glaubens, der Schöpfung und der Erlösung zu preisen.


Gott gibt den Menschen, was sie brauchen. Seine Gebote führen sie zum Licht und zum Heil. Das Gesetz des Herrn umgreift alles Sein. Es stiftet Festigkeit und Frieden.

Die Kirche ist gesandt, Gottes Wort der Welt zu verkünden. Sein Auftrag ist ihr eine heilige Norm. In der Erfüllung dieses Dienstes trägt sie reiche Frucht. Allen Völkern der Erde wird die Botschaft zuteil. Sie vereinen sich im Lobpreis des Herrn: „Er sättigt dich mit bestem Weizen" (Ps 147, 14).

***

Sehr herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher der deutschsprachigen Länder. Geht als Boten der Liebe und Treue Gottes durch die Welt! Euer Leben sei erfüllt von der Freude des Herzens. Gute, erholsame Ferien!

    



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana