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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 5. Mai 2004

 

Lesung: Brief an die Kolosser 1,3.12–20

3 Wir danken Gott, dem Vater Jesu Christi, unseres Herrn, jedesmal, wenn wir für euch beten.
12 Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
13 Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes.
14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.
18 Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang.
19 Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
20 um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.

1. Wir haben den wunderbaren christologischen Hymnus des Briefes an die Kolosser gehört. Er kommt in allen vier Wochen vor, in denen sich die Liturgie der Vesper entfaltet, und wird den Gläubigen als Canticum angeboten. Dabei wird er in der Fassung vorgestellt, die der Text wahrscheinlich von Anfang an besaß. In der Tat sind viele Bibelgelehrte der Meinung, der Hymnus könnte das Zitat eines Liedes der Kirchen von Kleinasien sein, das von Paulus im Brief an die Christengemeinde von Kolossä verwendet wurde, einer damals blühenden und dicht bevölkerten Stadt.

Der Apostel hat sich jedoch niemals an diesen Ort in Phrygien, einer Region der jetzigen Türkei, begeben. Die Ortskirche war von Epaphras, einem seiner Jünger, gegründet worden, der von dort stammte. Er wird am Ende des Briefes kurz erwähnt zusammen mit dem Evangelisten und »Arzt Lukas«, dem »lieben Freund«, wie Paulus ihn nennt (4,14), und mit Markus, dem »Vetter des Barnabas« (4,10), vielleicht dem gleichnamigen Begleiter von Barnabas und Paulus (vgl. Apg 12,25; 13,5.13) und späteren Evangelisten.

2. Da wir noch mehrmals Gelegenheit haben werden, auf dieses Canticum zurückzukommen, begnügen wir uns für heute mit einem Überblick und einem geistlichen Kommentar, der von einem bekannten Kirchenvater, dem hl. Johannes Chrysostomus (4. Jh. n. Chr.), einem berühmten Redner und Bischof von Konstantinopel, verfaßt wurde. In dem Hymnus erscheint die großartige Gestalt Christi, des Herrn des Kosmos. »Er ist vor aller Schöpfung« wie die vom Alten Testament als Gabe Gottes gerühmte Weisheit (vgl. z. B. Spr 8,22–31), »in ihm hat alles Bestand«; ja, »alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (Kol 1,16–17).

Es entfaltet sich also im Universum ein transzendenter Plan, den Gott durch das Werk des Sohnes verwirklicht. Das verkündet auch der Prolog des Evangeliums nach Johannes, wenn dieser bekräftigt: »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (Joh 1,3). Auch die Materie mit ihrer Energie, das Leben und das Licht tragen die Spuren des Wortes Gottes, »seines geliebten Sohnes« (Kol 1,13). Die Offenbarung des Neuen Testaments wirft neues Licht auf die Worte des Weisen aus dem Alten Testament, der erklärt hatte, »von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen« (Weish 13,5).

3. Das Canticum des Briefes an die Kolosser zeigt eine andere Rolle Christi auf: Er ist auch Herr der Heilsgeschichte, die in der Kirche offenbar wird (vgl. Kol 1,8) und sich »am Kreuz durch sein Blut« vollendet (V. 20), der Quelle von Frieden und Harmonie für die ganze Menschheitsgeschichte.

Deshalb ist nicht nur der für uns äußere Horizont von der wirksamen Gegenwart Christi gekennzeichnet, sondern auch die ganz spezifische Wirklichkeit des Menschen, das heißt die Geschichte. Sie ist nicht blinden und vernunftwidrigen Kräften preisgegeben, sondern wird – trotz der Sünde und des Bösen – durch das Werk Christi gestützt und auf die Vollendung ausgerichtet. So wird durch das Kreuz Christi die ganze Wirklichkeit mit dem Vater versöhnt (vgl. V. 20).

Der Hymnus zeichnet auf diese Weise ein wunderbares Bild vom Universum und von der Geschichte, wobei er uns einlädt, Zuversicht zu haben. Wir sind kein unnützes, sinnlos in Raum und Zeit verstreutes Staubkörnchen, sondern Teil eines weisen Planes, der aus der Liebe des Vaters hervorgegangen ist.

4. Wie wir angekündigt haben, geben wir jetzt dem hl. Johannes Chrysostomus das Wort, damit er diese Reflexion eindrucksvoll abschließen kann. In seinem Kommentar zum Brief an die Kolosser spricht er ausführlich über dieses Canticum. Zu Beginn unterstreicht er das ungeschuldete Geschenk Gottes, »der uns fähig gemacht hat, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind« (V. 12). »Warum spricht er von Los?«, fragt sich Chrysostomus und antwortet: »Um zu zeigen, daß niemand durch die eigenen Werke in das Reich Gottes gelangen kann. Wie so oft hat auch hier ›Los‹ die Bedeutung von ›Glück‹. Niemand kann sich so verhalten, daß er das Reich verdient, sondern alles ist Geschenk des Herrn. Deshalb sagt er: ›Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan‹« (PG 62,312).

Diese gütige und mächtige Ungeschuldetheit taucht später wieder auf, wenn wir lesen, daß in ihm alles erschaffen wurde (vgl. Kol 1,16). »Von ihm hängt das Wesen von allem ab«, erklärt der Bischof. »Er hat es nicht nur ins Dasein gerufen, sondern er trägt es noch, und wenn es seiner Vorsehung entzogen würde, ginge alles unter und löste sich auf … Alles hängt von ihm ab: In der Tat, schon das Hinneigen zu ihm genügt, um es zu stützen und zu stärken« (PG 62,319).

Um so mehr ist das, was Christus für die Kirche, deren Haupt er ist, vollbringt, Zeichen einer ungeschuldeten Liebe. An dieser Stelle (vgl. V. 18), erklärt Chrysostomus, »erwähnt der Apostel, nachdem er über die Würde Christi gesprochen hatte, auch seine Liebe zu den Menschen: ›Er ist das Haupt seines Leibes, der die Kirche ist‹, und er wollte seine enge Gemeinschaft mit uns zeigen. Er, der so erhaben und allen überlegen ist, vereinigte sich mit denen, die unten sind« (PG 62,320).

 


Christus ist Herr über Raum und Zeit. „Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand" (Kol 1, 17). In ihm sehen wir das ewige Wort, das die Geschöpfe durch die Zeiten trägt. Im irdischen Leben stehen wir im Kampf mit dem Bösen und der Sünde. Doch wir wissen: Der Gottessohn gewährt uns Anteil „am Los der Heiligen, die im Licht sind" (Kol 1, 12). Das Blut Christi am Kreuz schenkt Frieden und Heil.

Kreuz und Licht gehören zusammen. Wo das Kreuz aufstrahlt, hat es den Glanz der Liebe Gottes. Die Kirche lebt vom Kreuz her. Wer sich an den Gekreuzigten hält, darf in der Gemeinschaft seiner Liebe ruhen. In ihm, Christus, der das Haupt seiner Kirche ist, findet unsere Existenz ihre Vollendung.

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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Heute heiße ich besonders die Eltern und Freunde der Rekruten der Päpstlichen Schweizergarde willkommen, die morgen feierlich vereidigt werden. Ebenso grüße ich die Teilnehmer an der Wallfahrt des Bistums Hildesheim. Lebt als frohe Zeugen der Liebe Christi unter den Menschen! Sein Friede begleite euch!

 



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