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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 1. September 2004

 

Lesung: Psalm 115, 1.3.9.11–13.

1 Der Gott Israels und die Götter der anderen Völker Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, / nicht uns, sondern deinen Namen, in deiner Huld und Treue!
3 Unser Gott ist im Himmel; alles, was ihm gefällt, das vollbringt er.
9 Israel, vertrau auf den Herrn! Er ist für euch Helfer und Schild.
11 Alle, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf den Herrn! Er ist für euch Helfer und Schild.
12 Der Herr denkt an uns, er wird uns segnen, / er wird das Haus Israel segnen, er wird das Haus Aaron segnen.
13 Der Herr wird alle segnen, die ihn fürchten, segnen Kleine und Große.

1. Im soeben gehörten Psalm 115 (113B), der zu den Psalmen gehört, die in der Vesper gebetet werden, treffen der lebendige Gott und der tote Götze aufeinander. Die alte griechische Bibeltradition der sogenannten Septuaginta, gefolgt von der lateinischen Version der frühchristlichen Liturgie, hat diesen zur Ehre des wahren Herrn verfaßten Psalm mit dem vorhergehenden Psalm verknüpft. Daraus ist ein einziger Text entstanden, der aber deutlich erkennbar in zwei verschiedene Abschnitte unterteilt ist (vgl. 115: 113 A und 113 B).

Zu Beginn wird die Herrlichkeit des Herrn gepriesen, woraufhin das auserwählte Volk seinen Gott als den allmächtigen Schöpfer vorstellt: »Unser Gott ist im Himmel; alles, was ihm gefällt, das vollbringt er« (Ps 115,3). »Huld und Treue« sind typische Eigenschaften des Bundesgottes im Bezug auf das von ihm erwählte Volk Israel (vgl. V. 1). So werden Kosmos und Geschichte seiner Herrschaft untergeordnet, die eine Macht der Liebe und des Heils ist.

2. Dem von Israel angebeteten wahren Gott werden sogleich »die Götzen der Völker« gegenübergestellt (V. 4). Der Götzendienst ist eine Versuchung für die ganze Menschheit in jedem Land und zu jeder Zeit. Der Götze ist tot, Machwerk des Menschen, eine kalte, leblose Statue. Der Psalmist beschreibt sie ironisch in ihren sieben völlig nutzlosen Teilen: dem Mund, der nicht redet; den Augen, die nicht sehen; den Ohren, die nicht hören; einer Nase, die nicht riecht; Händen, die nicht greifen können; Füßen, die nicht gehen können; einer Kehle, die keinen Laut hervorbringt (vgl. V. 5–7).

Nach dieser schonungslosen Kritik an den Götzen spricht der Psalmist den sarkastischen Wunsch aus: »Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen« (vgl. V. 8). Es ist ein Wunsch, der so eindringlich ausgesprochen wird, daß er eine radikale Abschreckung vor dem Götzendienst hervorruft. Wer die Götzen des Reichtums, der Macht, des Erfolges anbetet, verliert seine Würde als menschliche Person. Der Prophet Jesaja sagte: »Ein Nichts sind alle, die ein Götterbild formen; ihre geliebten Götzen nützen nichts. Wer sich zu seinen Göttern bekennt, sieht nichts, ihm fehlt es an Einsicht; darum wird er beschämt« (Jes 44,9).

3. Hingegen wissen die Gläubigen des Herrn, daß der lebendige Gott für sie »Helfer und Schild« ist (vgl. 115,9–13). Sie werden in drei Gruppen vorgestellt: Da ist vor allem das »Haus Israel«, das heißt das ganze Volk, die Gemeinschaft, die sich im Tempel zum Gebet versammelt. Dort ist auch das »Haus Aaron«, das auf die Priester, die Wächter und Verkünder des Gotteswortes, verweist, die berufen sind, den Gottesdienst zu leiten. Am Schluß werden diejenigen gerufen, die den Herrn fürchten, das heißt die wahren und standhaften Gläubigen – und als solche werden nach dem babylonischen Exil und im späteren Judentum auch die Heiden bezeichnet, die sich mit aufrichtigem Herzen und echter Sehnsucht der Gemeinschaft und dem Glauben Israels nähern, wie zum Beispiel der römische Hauptmann Kornelius (vgl. Apg 10,1–2.22), der dann durch Petrus zum Christentum bekehrt wurde.

Auf diese drei Gruppen von wahren Gläubigen kommt der Segen Gottes herab (vgl. Ps 115,12–15). Er ist nach biblischem Verständnis Quelle der Fruchtbarkeit: »Es mehre euch der Herr, euch und eure Kinder« (V. 14). Abschließend stimmen die Gläubigen, die sich über das vom lebendigen Gott und Schöpfer erhaltene Geschenk des Lebens freuen, ein kurzes Loblied an und erwidern den heilbringenden Segen Gottes mit ihrem dankbaren und vertrauensvollen Lobpreis (vgl. V. 16–18). 

4. Einer der Väter der Kirche des Orients, Gregor von Nyssa (4. Jahrhundert), verweist in seiner fünften Homilie über das Hohelied der Liebe auf unseren Psalm, wenn er den Übergang der Menschheit »vom Eis des Götzendienstes zum Frühling des Heils« beschreibt. Denn, so merkt Gregor an, die menschliche Natur hatte sich gleichsam selbst in die »unbeweglichen starren Wesen« verwandelt, die »zu Kultobjekten gemacht worden waren«, wie es geschrieben steht: »Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen.« »Es versteht sich von selbst, daß es so geschah. Denn so wie jene, die den wahren Gott im Blick haben, die Eigenschaften der göttlichen Natur in ihrem Innern empfangen, so verwandelt sich derjenige, der sich der Eitelkeit der Götzen verschrieben hat, vom Menschen, der er war, in das, was er im Blick gehabt hat, und wird zu Stein. Weil also die wegen des Götzendienstes zu Stein gewordene menschliche Natur gegenüber dem Guten starr und im Eis des Götzendienstes festgefroren war, ist über dem harten Winter die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen und hat den Frühling mit der warmen Mittagsluft gebracht, die das Eis schmelzen läßt und mit den aufsteigenden Strahlen dieser Sonne alles erwärmt, was sich darunter befindet; und so ist der durch dieses Eis zu Stein gewordene Mensch, vom Geist erwärmt und vom Strahl des göttlichen Wortes erweicht, wieder zum Wasser geworden, das für das ewige Leben sprudelt« (Omelie sul Cantico dei cantici, Roma 1988, S. 133–134).


Der suchende Mensch steht in der Gefahr einer Versuchung. Den leeren Götzen traut er mehr als dem lebendigen Gott. Doch bleibt der Götze unbeseelt, kalt und leblos. Wer die Götzen des Reichtums, der Macht und des Erfolgs verehrt, verliert die Menschlichkeit.

Die Gläubigen aber wissen: Der lebendige Gott allein ist „Helfer und Schild" (Psalm 115, 9-11). Der Herr schenkt Heil und führt zum Leben.

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Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Strebt gemeinsam nach guten Werken im Zeugnis für die Liebe Christi! Gottes Güte begleite euch allezeit.

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APPELL DES PAPSTES

Mit tiefem Schmerz und mit Sorge habe ich von den erneuten schrecklichen Nachrichten über die Terroranschläge in Israel und Rußland erfahren, bei denen zahlreiche wehrlose und unschuldige Opfer zu Tode gekommen sind.

Auch im leidgeprüften Irak reißt die Kette blinder Gewalt nicht ab, die die baldige Rückkehr zu einem zivilen Zusammenleben verhindert. Zum Entsetzen über die barbarische Hinrichtung von zwölf Nepalesen kommt das Bangen um das Schicksal der beiden französischen Journalisten hinzu, die von ihren Entführern noch immer in Geiselhaft gehalten werden.

Ich appelliere eindringlich, daß überall der Rückgriff auf Gewalt aufhört, die einer guten Sache stets unwürdig ist, und daß die beiden französischen Journalisten menschlich behandelt werden und möglichst bald unversehrt zu ihren Lieben zurückkehren können.

Heute, am 1. September, jährt sich der Tag der Invasion in Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs, der in Europa und in anderen Kontinenten Tod und Trauer zur Folge hatte. In Erinnerung an jene Tage erbitten wir von Gott, dem Vater aller Menschen, in diesem Moment schwerer und weitverbreiteter Spannungen das wertvolle Geschenk des Friedens.

 



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