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EXEQUIEN FÜR KARDINAL FRANÇOIS-XAVIER NGUYÊN VAN THUÂN

PREDIGT DES HL. VATERS JOHANNES PAUL II.

Freitag, 20. September 2002

 

1. »Ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit« (Weish 3, 4). 

Diese tröstlichen Worte aus dem Buch der Weisheit laden uns ein, im Licht der Hoffnung unser Bittgebet für die erwählte Seele des verstorbenen Kardinals François-Xavier Nguyên Van Thuân zu erheben, denn er hatte sein ganzes Leben unter das Zeichen der Hoffnung gestellt. 

Natürlich sind alle, die ihn kannten und liebten, über seinen Tod sehr betrübt: seine Angehörigen und insbesondere seine Mutter, der ich meine liebevolle Anteilnahme zum Ausdruck bringe. Außerdem denke ich an die geliebte Kirche in Vietnam, die ihn zum Glauben wiedergeboren hat;und ich denke auch an das gesamte vietnamesische Volk: Der hochverehrte Kardinal hat es ausdrücklich in seinem geistlichen Testament genannt und seine ununterbrochene Liebe zu diesem Volk bekannt. Es trauert um Kardinal Van Thuân auch der Hl. Stuhl, dem er in den vergangenen Jahren als Vizepräsident und dann als Präsident des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden gedient hat. 

Er scheint auch in diesem Augenblick mit gewinnender Freundlichkeit die Aufforderung zur Hoffnung an uns alle zu richten. Als ich ihn im Jahr 2000 bat, die Meditationen für die geistlichen Exerzitien der Römischen Kurie zu leiten, wählte er als Thema »Zeugen der Hoffnung«. Nun hat ihn der Herr »wie Gold im Schmelzofen« erprobt und ihn als »vollgültiges Opfer« angenommen, und wir können wahrlich sagen, daß »seine Hoffnung voll Unsterblichkeit war« (vgl. Weish 3, 4. 6), das heißt erfüllt von Christus, der das Leben und die Auferstehung aller Menschen ist, die auf ihn vertrauen. 

2. Hoffe auf Gott! Mit dieser Aufforderung zum Gottvertrauen hatte dieser liebe Kardinal seine Meditationen bei den geistlichen Exerzitien begonnen. Seine Predigten sind mir in Erinnerung geblieben wegen der Tiefe seiner Überlegungen, bereichert um viele persönliche Rückblicke, die sich zum Großteil auf seine dreizehnjährige Haft bezogen. Er berichtete, wie er im Gefängnis erkannt habe, daß die Grundlage des christlichen Lebens die »Entscheidung für Gott allein« ist, indem man sich vollständig seinen Vaterhänden überläßt. 

Wir sind aufgerufen, so fügte er im Licht seiner persönlichen Erfahrung hinzu, allen Menschen das »Evangelium der Hoffnung« zu verkünden; und er betonte: Nur durch die Radikalität des Opfers kann man diese Berufung – auch inmitten schwerster Prüfungen – zur Vollendung führen. »Jedem Schmerz die Bedeutung eines der unzähligen Gesichter des gekreuzigten Jesus zu geben und es mit dem seinen zu verbinden heißt, sich in die gleiche Dynamik von Schmerz und Liebe einzubringen; es heißt, Anteil zu haben an seinem Licht, seiner Kraft, seinem Frieden; es heißt, in uns eine neue und verstärkte Gegenwart Gottes zu finden« (vgl. Testimoni della speranza, Rom 2001, S. 124). 

3. Man könnte sich fragen, woher er die Geduld und den Mut nahm, die ihn stets ausgezeichnet haben. Er war überzeugt davon, daß seine Priesterberufung geheimnisvoll, aber wirklich mit dem Blut der Märtyrer verbunden war, die im vergangenen Jahrhundert während ihrer Verkündigung des Evangeliums in Vietnam starben. »Die Märtyrer – so schrieb er – haben uns gelehrt, ja zu sagen: ein bedingungs- und grenzenloses Ja zur Liebe des Herrn; aber auch ein Nein gegenüber den Verlockungen, den Kompromissen, der Ungerechtigkeit, die vielleicht mit der Absicht verbunden war, das eigene Leben zu retten« (vgl. ebd., S. 139 –140). Er fügte hinzu, daß es sich dabei nicht um Heroismus handelte, sondern um Treue, gereift, indem der Blick auf Jesus, das Vorbild jedes Zeugen und Märtyrers, gerichtet war. Ein Erbe, das Tag für Tag in einem Leben voll Liebe und Sanftmut anzunehmen ist. 

4. Wenn wir nun diesem heroischen Boten des Evangeliums Christi die letzte Ehre erweisen, danken wir dem Herrn, daß er uns in ihm ein leuchtendes Vorbild christlicher Konsequenz bis zum Martyrium gegeben hat. Von sich selbst behauptete er mit eindrucksvoller Schlichtheit: »Im Abgrund meines Leidens […] habe ich nie aufgehört, alle zu lieben. Ich habe niemanden aus meinem Herzen ausgeschlossen« (vgl. ebd., S. 124). 

Sein Geheimnis war ein unverbrüchliches Vertrauen auf Gott, genährt vom Gebet und von seinem mit Liebe angenommenen Leiden. Im Gefängnis zelebrierte er jeden Tag die Eucharistie mit drei Tropfen Wein und einem Tropfen Wasser in seiner geöffneten Hand. Sie war sein Altar, seine Kathedrale. Der Leib Christi war seine »Medizin«. Bewegt erzählte er: »Jedes Mal hatte ich Gelegenheit, die Arme auszubreiten und mich mit Jesus ans Kreuz zu nageln, mit ihm den bittersten Kelch zu trinken. Wenn ich die Wandlungsworte wiederholte, schloß ich jeden Tag mit ganzem Herzen und ganzer Seele einen neuen Bund, einen ewigen Bund zwischen Jesus und mir durch sein Blut, das sich mit meinem vermischte« (vgl. ebd., S. 168). 

5. »Mihi vivere Christus est« (»Denn für mich ist Christus das Leben «) (Phil 1, 21). Treu bis in den Tod, machte sich Kardinal Nguyên Van Thuân den Ausspruch des Apostels Paulus zu eigen, den wir soeben gehört haben. Auch während seines langen und leidvollen Krankenhausaufenthalts bewahrte er seine innere Ruhe und sogar die Freude. In den letzten Tagen, als er nicht mehr sprechen konnte, hielt er seinen Blick fest auf das ihm gegenüberstehende Kreuz gerichtet. Er betete still, während er sein letztes Opfer vollbrachte als krönenden Abschluß eines Daseins, das von einer heroischen Gleichgestaltung mit Christus geprägt war. Was Jesus kurz vor seinem Pascha sagte, gilt auch für ihn: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12, 24). 

Nur durch das Selbstopfer trägt der Christ zum Heil der Welt bei. So war es für unseren verehrten Mitbruder und Kardinal. Er verläßt uns, aber sein Vorbild bleibt. Der Glaube versichert uns, daß er nicht tot, sondern in den ewigen Tag, der kein Ende kennt, eingetreten ist. 

6. »Heilige Maria […] bitte für uns […] in der Stunde unseres Todes.« Im Kerker, als er nicht beten konnte, wandte er sich an Maria: »Mutter, du siehst, daß ich am Ende bin, ich kann nicht mehr beten. Ich lege alles in deine Hände und sage nur: Ave Maria!« (vgl. ebd., S. 253). 

In seinem geistlichen Testament bittet der verstorbene Kardinal um Vergebung und versichert dann, daß er weiterhin alle lieben wird. »Ich bin bereit zu gehen – schreibt er –, und ich hasse niemanden. Alle Leiden von einst opfere ich der Unbefleckten Jungfrau Maria und dem hl. Josef auf.« 

Das Testament endet mit einer dreifachen Aufforderung: »Liebt die heilige Jungfrau, und vertraut auf den hl. Josef, bleibt der Kirche treu, seid einig und barmherzig zu allen Menschen.« Das war, zusammengefaßt, sein ganzes Dasein. 

Möge er jetzt, zusammen mit Josef und Maria, aufgenommen werden, um in der Freude des Paradieses das glorreiche Antlitz Christi zu schauen, das er auf Erden leidenschaftlich als seine einzige Hoffnung gesucht hat. 

Amen!

 

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