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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE TEILNEHMER DES STUDIENSEMINARS
DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE LAIEN
ÜBER DIE KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN UND NEUEN GEMEINSCHAFTEN
(ROM, 16.-19. JUNI 1999)

 

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Aus Ländern aller Kontinente kommend, habt ihr euch hier in Rom eingefunden, um gemeinsam über euer Hirtenamt im Hinblick auf die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften nachzudenken. Erstmalig tritt auf Initiative des Päpstlichen Rates für die Laien, in Zusammenarbeit mit der Kongregation für die Glaubenslehre und der Kongregation für die Bischöfe, eine solch bemerkenswerte und qualifizierte Gruppe von Bischöfen zusammen, um gemeinsam jene kirchlichen Realitäten zu erörtern, die ich aufgrund ihrer anregenden Beiträge zum Leben des Gottesvolkes ohne weiteres als »providentiell « bezeichnet habe (vgl. Ansprache bei der Begegnung mit den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, 7; O.R. dt., Nr. 24, 12.6.1998, S. 8)

Allen danke ich für ihre Anwesenheit und ihren Einsatz auf diesem wichtigen pastoralen Sektor. Ferner möchte ich den Organisatoren, dem Päpstlichen Rat für die Laien, der Kongregation für die Glaubenslehre und der Kongregation für die Bischöfe, zu dieser für die kirchliche Sendung in der heutigen Welt zweifellos nützlichen Initiative herzlichst gratulieren.

Das Seminar, dem ihr euch in diesen Tagen gewidmet habt, läßt sich ohne weiteres mit einem mir sehr teuren apostolischen Projekt verbinden, dem Resultat meines Treffens mit den Vertretern von über fünfzig dieser Bewegungen und Gemeinschaften auf dem Petersplatz am 30. Mai des vergangenen Jahres. Zweifellos werden die Ergebnisse eurer Reflexion bald erkennbar sein und dazu beitragen, daß jenes Projekt und jenes Treffen noch reichere Früchte für das Wohl der ganzen Kirche hervorbringen werden.

2. Das Konzilsdekret über den Hirtendienst der Bischöfe beschreibt den eigentlichen Kern des bischöflichen Amtes folgendermaßen: »Bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu lehren, sollen sie den Menschen die Frohbotschaft Christi verkünden; das hat den Vorrang unter den hauptsächlichen Auf gaben der Bischöfe. In der Kraft des Geistes sollen sie die Menschen zum Glauben rufen oder im lebendigen Glauben stärken. Das Geheimnis Christi sollen sie ihnen unverkürzt vorlegen, jene Wahrheiten nämlich, deren Unkenntnis gleichbedeutend ist mit Unkenntnis Christi« (Christus Dominus, 12). Das Bestreben jedes Hirten, die Menschen zu erreichen und ihre Herzen, ihre Intelligenz, ihre Freiheit, ihr Verlangen nach Glückseligkeit anzusprechen, entspringt der Sorge Christi für den Menschen, seinem Mitleid mit denjenigen, die er als Schafe bezeichnete, die keinen Hirten haben (vgl. Mk 6,34 und Mt 9,36), und entspricht dem apostolischen Eifer des hl. Paulus: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16). In der heutigen Zeit zeigen sich die Herausforderungen der Neuevangelisierung oft auf dramatische Art und Weise und drängen die Kirche, insbesondere ihre Hirten, nach neuen, den Anforderungen unserer Zeit besser entsprechenden Formen der Verkündigung und Missionstätigkeit zu suchen.

Zu den dringendsten pastoralen Aufgaben zählt heute in erster Linie die Aufmerksamkeit für die Gemeinden, die sich in stärkerem Maße der mit den christlichen Initiationssakramenten verbundenen Gnade bewußt sind– Grundlage der Berufung, in allen Bereichen des Lebens Zeugen des Evangeliums zu sein. Die dramatische Wirklichkeit unserer Zeit drängt die Gläubigen in den täglichen Begegnungen und freundschaftlichen Beziehungen zu einem konkreten christlichen Leben und Zeugnis für einen von der Freude des Mitteilens erleuchteten Glaubensweg. Eine weitere nicht zu unterschätzende pastorale Dringlichkeit ist der Aufbau christlicher Gemeinden – Strukturen einer echten Aufnahme für alle, die den speziellen Anforderungen jeder Person mit steter Aufmerksamkeit begegnen. Ohne solche Gemeinschaften wird es stets schwieriger werden, im Glauben zu wachsen und der Versuchung zu widerstehen, gerade jenen Glauben zu einer bruchstückhaften und gelegentlichen Erfahrung zu machen, der hingegen das gesamte menschliche Leben inspirieren sollte.

3. In diesen Kontext reiht sich das Thema eures Seminars über die kirchlichen Bewegungen ein. Wenn ich am 30. Mai 1998 auf dem Petersplatz in Anspielung auf die Blüte der kirchlichen Charismen und Bewegungen nach dem II. Vatikanischen Konzil von einem »neuen Pfingsten« gesprochen habe, dann wollte ich mit diesem Ausdruck in der Entwicklung der Bewegungen und neuen Gemeinschaften auf ein Zeichen der Hoffnung für die Missionstätigkeit der Kirche hinweisen. Aufgrund der Verweltlichung, die in vielen Seelen den Glauben geschwächt oder sogar erlöscht und den Weg für irrationale Überzeugungen geebnet hat, steht die Kirche in vielen Teilen der Welt einer mit der ursprünglichen Situation vergleichbaren Umgebung gegenüber.

Ich bin mir durchaus bewußt, daß die Bewegungen und neuen Gemeinschaften, wie jedes Werk, das – auch wenn es von Gott ausgeht – sich in der menschlichen Geschichte entwickelt, in diesen Jahren nicht immer nur rein positiv beurteilt worden sind. Wie ich am 30. Mai 1998 betonte, »hat ihre unerwartete und teilweise sogar bahnbrechende Neuheit…natürlich Fragen, Unbehagen und Spannungen nach sich gezogen und manchmal zu Überheblichkeit und Anmaßung einerseits und zu nicht wenigen Vorurteilen und Vorbehalten andererseits geführt« (vgl. ebd., 6; O.R. dt., Nr. 24, 12.6.1998, S. 8). Aber in ihrem gemeinsamen Zeugnis an jenem Tag vor dem Nachfolger Petri und zahlreichen Bischöfen sah und sehe ich den Anfang »eines neuen Abschnitts: den der kirchlichen Reife. Das bedeutet nicht, daß alle Probleme gelöst sind. Es ist vielmehr eine Herausforderung, ein Weg, den wir gehen sollen« (vgl. ebd.).

Dieser Weg verlangt von den Bewegungen eine stets festere Einheit mit den Hirten, die Gott auserwählt und geweiht hat, um sein Volk im Glanz des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu vereinigen und zu heiligen, denn »kein Charisma dispendiert von der Rückbindung an die Hirten der Kirche und von der Unterordnung unter sie« (vgl. Christifideles laici, 24). Es ist somit die Pflicht der Bewegungen, im Bereich der Gemeinschaft und Sendung der Ortskirchen ihren charismatischen Reichtum auf demütige und hochherzige Art und Weise zu teilen.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, euch, deren Aufgabe es ist, die Authentizität der Charismen zu prüfen und über ihren geeigneten Gebrauch im kirchlichen Bereich zu entscheiden, rufe ich zu großzügiger Vaterschaft und langmütiger Liebe (vgl. 1 Kor 13,4) gegenüber diesen Realitäten auf, denn jedes Werk der Menschen braucht Zeit und Geduld für seine notwendige und unerläßliche Läuterung. Mit klaren Worten nimmt das II. Vatikanische Konzil hierzu Stellung: »Das Urteil über ihre Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12 u. 19–21)« (Lumen gentium, 12), damit alle Charismen in ihrer Verschiedenheit und Komplementarität zum Gemeinwohl beitragen (vgl. ebd., 30).

Liebe Brüder, ich bin überzeugt, daß durch eure aufmerksame und herzliche Bereitschaft, auch dank nützlicher, dem Gebet, der Reflexion und Freundschaft gewidmeter Treffen, eure Autorität nicht nur entgegenkommender, sondern auch anspruchsvoller, eure Weisungen wirksamer und gezielter und euer Amt, das euch zur Förderung der Charismen ihrem »allgemeinen Nutzen« entsprechend anvertraut worden ist, fruchtbarer werden wird. Eure erste Aufgabe ist es, die Augen der Herzen und des Geistes zu öffnen, um die vielfältigen Formen der Präsenz des Geistes in der Kirche zu erkennen, sie zu prüfen und alle in Wahrheit und Liebe zur Einheit zu führen.

4. Während meiner Begegnungen mit den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften habe ich wiederholt die enge Verbindung zwischen ihrer Erfahrung und der Realität der Teilkirchen und der Gesamtkirche hervorgehoben, deren Frucht und missionarischer Ausdruck sie sind. Im vergangenen Jahr habe ich vor den Teilnehmern des vom Päpstlichen Rat für die Laien organisierten internationalen Kongresses der kirchlichen Bewegungen öf fentlich »ihre Bereitschaft festgestellt, ihre Tatkraft zum Dienst für den Stuhl Petri und die Ortskirchen einzusetzen« (Botschaft an den Weltkongreß der kirchlichen Bewegungen, 27. Mai 1998, 2; O.R. dt., Nr. 24, 12.6.1998, S. 7). Zu den wesentlichen Erfolgen der Bewegungen gehört ihre Fähigkeit, in zahlreichen Christgläubigen, Männern und Frauen, Erwachsenen und Jugendlichen, jenen lebhaften missionarischen Eifer zu wecken, der unerläßlich ist für die Kirche auf der Schwelle des dritten Jahrtausends. Dieses Ziel kann allerdings nur dort erreicht werden, wo »sie sich in Demut in das Leben der Ortskirchen einfügen und von Bischöfen und Priestern herzlich in die Diözesan- und Pfarrstrukturen aufgenommen werden« (Redemptoris missio, 72).

Welche konkrete Bedeutung hat das für das Apostolat und die pastorale Arbeit? Das war eine der wesentlichen Fragen eures Seminars. Wie kann diese besondere Gabe empfangen werden, die der Geist der Kirche in unserer heutigen Zeit bietet? Wie können wir sie mit all ihrer Tragweite, ihrer Fülle, mit all der ihr eigenen Dynamik entgegennehmen? Als Hirten habt ihr die Verantwortung, auf diese Fragen in angemessener Form zu antworten. Eure große Aufgabe ist es, die Gabe des Geistes nicht ungenützt zu lassen, sondern sie im Dienst für das gesamte christliche Volk stets fruchtbringender zu machen.

Von ganzem Herzen hoffe ich, daß euer Seminar vielen Bischöfen als Quelle der Ermutigung und Inspiration für ihr Hirtenamt dienen wird. Möge Maria, die Braut des Heiligen Geistes, euch helfen, das zu hören, was der Geist der Kirche heute zu sagen hat (vgl. Offb 2,7). Mit brüderlicher Solidarität werde ich euch beistehen, mein Gebet wird euch begleiten; von Herzen segne ich euch und das, was die göttliche Vorsehung eurer Hirtensorge anvertraut hat.

Aus dem Vatikan, am 18. Juni 1999. 



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