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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AUSGESPROCHEN VON KARDINAL AGOSTINO CASAROLI
AN DIE EUROPÄISCHEN ARBEITER WÄHREND
DER GEDENKFEIER DER ENZYKLIKA RERUM NOVARUM

Freitag, 15. Mai 1981

Liebe Brüder und Schwestern!
Queridos Irmãos e Irmãs:
Dierbare Broeders en Zusters,

4. Indem ich nun, liebe Brüder und Schwestern, mit meinen Ausführungen in eurer Muttersprache fortfahre, grüße ich euch von Herzen zu eurer Jubiläumswallfahrt der ”Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung“ in die Ewige Stadt. Unsere heutige Gedenkfeier ist nicht nur eine dankbare Erinnerung an die Veröffentlichung der großen Sozialenzyklika Rerum Novarum durch Papst Leo XIII vor genau neunzig Jahren, sondern ist zugleich ein gemeinsames Bekenntnis zu deren richtungweisenden Aussagen. Wir erinnern uns ihrer, um sie im Zusammenhang der nachfolgenden lehramtlichen Verlautbarungen zur Soziallehre der Kirche noch entschlossener fruchtbar zu machen für die Welt der Arbeit in unserer Zeit. Gerade in unseren Tagen hat die soziale Frage eine komplexe und universale Dimension angenommen. Sicher trug das Ringen der Kirche in diesem Jahrhundert seine Früchte: Das soziale Gewissen schlug lauter; staatliche Gesetzgebung änderte sich; Programme der Industriearbeit förderten menschliche Solidarität und Promotion.

Trotzdem kann nicht behauptet werden, daß in der Welt inzwischen soziale Gerechtigkeit regiere. Nur stichwortartig möchte ich heute einige verbliebene Irrtümer, Mängel und Nöte erwähnen.
Es gibt Regionen der Erde, in denen Überfluß und Luxus Tür an Tür wohnen mit erniedrigender, ja lebensbedrohender Armut. Ein gleicher Gegensatz findet sich, vielleicht weniger augenfällig, aber genau so skandalös wieder beim internationalen Vergleich: eine geringe Zahl von Nationen hat die Reichtümer angesammelt, und andernorts kämpfen ganze Völker um ihr Existenzminimum.

Individuelles Unrecht durch konkrete Ausbeutung des Menschen bleibt unbeanstandet; ausreichender Schutz für werdende Mütter mangelt; Arbeits und Lebensbedingungen verletzen den Gleichheitsgrundsatz und verändern sich je nach Geschlecht, nach politischer und religiöser Uberzeugung der Arbeitnehmer. An menschenunwürdige Lebensbedingungen in den Randgebieten der großen Städte, an Vermassung und Marginalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen hat man sich auscheinend gewöhnt. Gewerkschaftlicher Zusammenschluß gilt zwar als Menschenrecht. Trotzdem wird er oft politisch mißbraucht; die Vertretungsmacht der Arbeitnehmer mit Hilfe der Gewerkschaften läßt in vielen Fällen zu wünschen übrig. Der Arbeitsschutz wird da und dort nicht ernsthaft angegangen; so daß vermeidbare Unfälle geschen und menschliche Tragödien ihren Lauf nehmen. Arbeitslosigkeit nimmt eher zu als ab. und gerade unter der Jugend hat sie unverantwortliche psychologische und charakterliche Auswirkungen. Das Problem der Automatisierung läßt die Arbeitnehmer ganzer Industriezweige um ihren Arbeitsplatz bangen; die an- und ungelernten Arbeiter bleiben vielfach großer wirtschaftlicher Unsicherheit ausgeliefert.

Gastarbeiter, durch die Not gezwungen, müssen Familien-, Traditions- und Heimatbande lösen; entfremden sich in vielen Fällen ihren Ehepartnern; verzichten für ihre Kinder auf angemessene Ausbildung und wünschenswerte Zukunft. Sie werden oft nach Bedarf eingestellt, herumgestoßen und entlassen.

Sicher bedingen komplexe Hintergrundprobleme technischer und auch weltwirtschaftlicher Art diese Entwicklung. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, uns – als Hirten – mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber wegen des ethischen und religiösen Auftrags der Kirche dürfen jedenfalls die großen Trends unserer Gesellschaftsentwicklung nicht unbeachtet bleiben. Sie sind in ihren negativen Auswirkungen zu brandmarken. Was sie an Irrtum und ideologischer Irreführung enthalten, muß herausgefiltert und angeklagt werden. Die Utopie eines irdischen Messianismus, von der sich die Verfechter des dialektischen und des praktischen Materialismus täuschen lassen, ist aufzudecken. Die Kirche kann sich dieses Auftrags nicht entziehen.

Die echte und engagierte Auseinandersetzung mit der sozialen Frage ist uns ohne Zweifel aufgegeben. Denn die Kirche hat ja die Würde des Menschen zu schützen. Versäumte sie das, so würde sie ihre Pflicht verletzen und ihre Glaubwürdigkeit einbüßen bei der Verkündigung des Evangeliums und der Sorge um das ewige Heil. Schon seit der Übernahme des Alten Testaments und durch die Jahrhunderte hin hat das Christentum jeder Form von Arbeit, der körperlichen und der geistigen, seine Hochschätzung entgegengebracht.

5. Darum halten sich christlicher Glaube und Kirche für besonders berechtigt, die Gesellschaft zu mahnen: Kultur, Fortschritt und Wohlfahrt des Menschen tragen ihren Namen nur zu Recht, wenn mit ihnen vertiefte ethische Besinnung einhergeht. Lediglich die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im engeren Sinn zu stellen reicht nicht aus. Niemand kann übersehen, daß diese Frage verwoben ist mit Problemen, die tiefer sitzen. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit hatte gut daran getan, die Perspektive des ”Habens“ in Zusammenhänge, die das ”Sein“ betreffen, einzubinden. Und heute gilt es, für gerade dieses Augenmerk den Blickwinkel zu wählen. Denn das Gebot der Stunde ist mehr denn je die Sorge um die Ganzheitlichkeit des Menschen – die Hinwendung zu umfassender personaler Förderung. Sie sieht den Menschen nicht länger nur als materiell bedürftiges Wesen, sondern als Gottes Ebenbild, berufen, Gottes Schöpfung in der Arbeit fortzugestalten; erwählt, sich bis zur Wiederkunft Christi in den Dienst der Heraufführung des neuen Himmels und der neuen Erde zu stellen.

Für die vertiefte ethische Besinnung zeichnet sich folgendes ab: Industrie, Produktion und wirtschaftlicher Aufschwung sind gewiß zunächst das Ergebnis menschlicher Arbeit und menschlicher Klugheit. Aber kein Menschen kann aus sich selbst heraus die gennannten Leistungen vollbringen. Er ist auf Vorgegebenes verwiesen. Er macht sich die Gesetze der Natur zunutze, die in der Schöpfung herrschen. Er bedient sich des Stoffes, den sie ihm bietet. Er beginnt also nicht im luftleeren Raum, formt sein Werk keineswegs aus dem Nichts, sondern wertet das Geschaffene aus.

Dies müßte dem Christen trotz aller gegenläufigen Strömungen bewußt bleiben; und er müßte es allen Menschen in Erinnerung rufenkeineswegs um den menschlichen Fortschritt zu schmälern, aber doch um allen Wichtiges deutlich zu machen: Die Brücke deines Gelingens ruht auf zwei Pfeilern, von denen nur der eine in deiner eigenen Vollmacht gründet; der andere erwächst aus einem Boden, dessen Herr du nicht bist, der dir ganz einfach vorgegeben ist.

Darum hast du Ehrfurcht vor dieser Wirklichkeit, wenn du ein nachdenklicher Mensch bist. Du weißt, die Wirklichkeit der Schöpfung, Welt genannt, ist zwar in deine Hand gegeben; aber du hast kein grenzenloses Verfügungsrecht über sie. Nur der Herr der Welt hat absolute Macht über sie, denn Leben und Welt gingen aus seiner Hand hervor.

Gewiß, wir haben viel gelernt. Mit Eifer haben wir die Erde durchforscht und uns ihrer mit staunenswerter Perfektion bedient. Aber müßten wir uns nicht gegenseitig noch die Augen öffnen für die Genialität der entdeckten Ordnung? Können unsere Mitmenschen in dieser Ordnung auf Dauer den Ordnenden übersehen? – Und sollten die Augen vieler von ihnen wirklich mit Blindheit geschlagen sein, so müssen doch wir Glaubende auf ihn verweisen, damit sein Name nicht totgeschwiegen wird durch eine Welt, die immer weniger als Schöpfung erscheint und zunehmend die Züge allein des Menschen trägt.

6. Mir scheint, daß die Zeit reif ist, von Gott als dem Schöpfer zu sprechen. Vielleicht finden wir offene Ohren bei denen, die sich wehren gegen eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur, gegen die Zerstörung unserer Mutter Erde. Vielleicht geht anderen auf, daß die Freude am gelungenen Werk Teilnahme an der Freude des Schöpfers selbst ist, wie sie im Bericht von der Erschaffung der Welt vor dem Sündenfall der Menschen zum Ausdruck kommt: ”Und Gott sah alles, was er gemacht hatte – und siehe, es war sehr gut“.

Oder es werden die auf uns hören, deren Vertrauen in die Macht des Menschen gelitten hat. Ohne die Verderbnis menschlicher Sünde wäre die Schöpfung allein Widerschein göttlicher Güte gewesen. Doch nach dem Fall hat diese Schöpfung, hat auch die vom Menschen geschaffene neue Welt des Fortschritts und der Technik, nicht länger ihre eindeutige und problemlose Gutheit. Sie ”seufzt und liegt in Wehen“. Jedes von Plagen heimgesuchte, vom Krieg geschlagene oder von der Technik verwüstete Land weiß davon zu berichten: Die Schöpfung harrt noch der Erlösung. So kann auch die Entdeckung der Wissenschaft nicht immer zum Heil des Menschen sein.

Menschenwerk und Fortschritt sind janusköpfig: Sie verbessern unsere Lebensmöglichkeiten, aber sie können auch in ungeahnter Brutalität auf den Menschen zurückschlagen, sie können sich als sein Feind erweisen, können den Menschen gar auslöschen. Und dies selbst dann, wenn sich der Angriff auf das Menschsein nicht mit der ungeheuren Gewalt einer Explosion vollzieht! Auch verborgene Einbrüche können sich ereignen, auch leisere Vorstöße wirken Unheil: wenn sich Fortschrittswille etwa als Waffe gegen die Familie auswirkt und wenn er uns selbst aus Besitzgier in Bann schlägt. Er verschlingt dann den ganzen Einsatz eines Menschen, seine Zeit, sein Interesse, seine Energie, und es leiden die Beziehungen zu denen, denen wir nahestehen. Aber die persönliche Zuwendung zum Ehegatten, die liebende Sorge der Mutter zu den Kindern dürfen nicht verdrängt werden.

Niemand kann Fortschritt und Wohlstand verdammen. Wir alle verdanken ihnen viel. Aber wenn sie zu Götzen werden, zeigen sie ihr dämonisches Gesicht. Dann befreien ihre Angebote nicht, sondern versklaven; dann erlösen sie nicht, sondern vernichten. Vielleicht befriedigen sie eine Weile, doch eines Tages entdeckt der Mensch: Anstrengungen und Mühe haben nicht die erträumte Erfüllung gebracht. Statt dessen ist eine traurige Leere eingezogen.

Darum muß von Gott die Rede sein, wenn das wahre Heil des Menschen bedacht wird: Gottes Heilstat in Jesus Christus ist zu feiern; seine Rechte an uns Menschen sind zu verkünden; ihm und seinem Willen ist die Ehre zu geben – im Wort und vor allem im Zeugnis des Lebens. Das ist der priesterliche Dienst, den wir Christen Gott schulden.

7. Habt darum den Mut, Zeugnis abzulegen von der zweifachen Dimension eurer Existenz als Arbeiter und als Christen. Tragt dazu bei, jede Form der Solidarität mit dem Geist der christlichen Gemeinschaft zu bereichern. Kündet den Namen Christi, des Zimmermanns, des Gottessohnes, des wahren Befreiers von allen Übeln, die den Menschen gefangenhalten und ihn bedrohen. Kündet ihn in euren Fabriken, auf euren Arbeitsplätzen und in euren Werkstätten! Laßt alle Christen teilnehmen and den Nöten und Freuden, an den Problemen und Hoffnungen der Welt der Arbeit. Ergreift Partei, auch wenn ihr nicht immer Beifall findet; tretet ein für die Weisungen von Glaube und Kirche, auch wenn sie Widerstand auslösen und zu Entscheidung zwingen. Seid Sauerteig und Same einer christlichen Präsenz überall dort, wo Arbeiter leben. Dann breitet sich Gottes Herrschaft aus und christliches Handeln, Brüderlichkeit und Solidarität unter allen Menschen wachsen. Die Kirche vertraut euch, sie begleitet und unterstützt euch, wenn ihr daran geht, den Arbeitern das Evangelium zu bringen und sie dadurch umfassend zu befreien.

8. E agora, aos irmãos e irmãs de língua portuguesa: também para vós, com saudações cordiais, uma benevolente palavra de apreço pela presença, e de estímulo: estímulo a serdes fiéis a vós mesmos, àquilo de bom que vos identifica como homens e trabalhadores cristãos, com sentido de Deus e respeito do próximo, sempre e em toda a parte; fiéis às vossas raízes pátrias e às sãs tradições humanas, familiares e cristãs, mas com abertura para o bem comum, numa correcta visão da dignidade sagrada de todos e de cada um dos membros da grande família humana.

Levai nos vossos corações, como lebrança deste encontro com o Papa, a certeza de que ele vos estima, vos compreende bem e convosco compartilha preocupações e ansiedades, esperanças e alegrias; a certeza de que Cristo, se O quiserdes advertir e acolher, está ao vosso lado: Ele – que quis ser um trabalhador – compreende-vos melhor do que ninguém e, também para vós, quer ser sempre Verdade e Vida, se aceitardes caminhar com Ele, pelos caminhos do amor, em demanda de um mundo cada vez mais justo, humano e fraterno; a certeza, enfim, de que, em Cristo, Deus vos ama: Ele é nosso Pai e quer abençoar-vos sempre, como o Papa vos abençoa hoje, de todo o coração: a vós, às vossas famílias e a todos os vossos amigos.

Je suis heureux de saluer tous les représentants du monde du travail ici présents pour célébrer avec nous le quatre-vingt-dixième anniversaire de l’encyclique Rerum Novarum et je souhaite avec eux que partout dans le monde le travail soit de plus en plus accompli dans des conditions de justice et de dignité qui assurent l’épanouissement humain et la sanctification des personnes, la sécurité de leurs familles, le progrès et la paix de la société.

 



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