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APOSTOLISCHE REISE NACH NORWEGEN, ISLAND,
FINNLAND, DÄNEMARK UND SCHWEDEN

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE SKANDINAVISCHE BISCHOFSKONFERENZ

Oslo (Norwegen) - Donnerstag, 1. Juni 1989

 

Verehrte, liebe Mitbrüder!

1. ”Der Friede sei mit euch!“ Mit diesem Segensgruß unseres auferstandenen Herrn an die Apostel grüße ich heute Euch und die Eurer Hirtensorge in diesen nordischen Ländern anvertrauten Ortskirchen. Herzlich danke ich Euch für die freundliche Einladung zu diesem Pastoralbesuch, die Ihr mir während Eures Ad-limina-Besuches in Rom im Februar 1987 ausgesprochen habt. Mit Euch zusammen freue ich mich darüber, daß diese Begegnung nun schon zweieinhalb Jahre danach im freundlichen Einvernehmen mit den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie mit den zuständigen staatlichen Stellen der jeweiligen Länder stattfinden kann.

Mein Dank gilt sodann dem Vorsitzenden Eurer Bischofskonferenz, Bischof Verschuren, für seinen brüderlichen Willkommensgruß, den er soeben in Eurem Namen an mich gerichtet hat. Ich möchte diesen meinerseits erwidern, besonders gegenüber dem neuen Oberhirten von Reykjavik, Bischof Jolson, den wir heute zum ersten Mal in unserer Mitte begrüßen dürfen.

2. Zu Recht können wir unsere heutige Begegnung, wie schon Euer Vorsitzender betont hat, als Fortsetzung unseres brüderlichen Gedankenaustausches bei Eurem letzten Ad-limina-Besuch in Rom verstehen. Im Rückblick darauf dürfen wir der göttlichen Vorsehung von Herzen danken, daß einige pastorale Anliegen, die damals noch als Wunsch oder Plan vorgetragen wurden, inzwischen mit Gottes Hilfe Wirklichkeit geworden sind. Ich denke vor allem an die am 23. Oktober 1988 im Vatikan erfolgte Seligsprechung Eures großen nordischen Glaubenszeugen Niels Stensen. Möge dieser neue selige Fürsprecher im Himmel nun, wie ich schon damals gewünscht habe, ”den weiteren Weg der Kirche in Euren Gemeinden mit seinem besonderen Schutz und Beistand begleiten“.  Ferner konntet Ihr in der Zwischenzeit das geplante Seminar für Priesteramtskandidaten in Stockholm eröffnen, das auch anderen Diözesen offenstehen und die katechetische sowie pastorale Arbeit in Euren Ortskirchen fördern und vertiefen soll. Ich begrüße die Gründung dieser wertvollen Einrichtung und erbitte ihr Gottes Segen für eine fruchtbare Erfüllung der ihr gestellten Aufgaben.

Sodann erblicke ich im Zustandekommen dieser meiner Pastoralreise selbst eine handgreifliche Bestätigung für das weitere Voranschreiten der ökumenischen Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Euren nordischen Ländern, das ganz den Hoffnungen des II. Vatikanischen Konzils entspricht und in dem auch Ihr – wie im Grußwort gerade erneut betont – ein Hauptanliegen Eurer pastoralen Arbeit seht. Auch die ökumenische Entwicklung in Euren Ländern gibt uns Grund, Gott dafür zu danken, daß wir in den letzten Jahrzehnten viele Vorurteile und Mißverständnisse miteinander überwinden und viel Gemeinsames entdecken konnten. Wenn auch bis zur vollen Glaubens und Kirchengemeinschaft noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, so ist es um so wichtiger, daß die Christen angesichts der zunehmenden Entchristlichung in der heutigen Welt schon jetzt alles miteinander tun, was nur irgendwie möglich und wünschenswert ist. Pflegt darum weiter den ökumenischen Dialog und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den nicht-katholischen christlichen Gemeinschaften. Gebe Gott, daß auch dieser mein Pastoralbesuch zu einem tieferen gegenseitigen Verständnis und zu einem noch entschlosseneren gemeinsamen Bemühen um die volle Einheit in der Liebe und Wahrheit Jesu Christi beitragen möge.

3. Wie ich in meiner Ansprache anläßlich Eures Ad-limina-Besuches unterstrichen habe, sehen sich alle christlichen Kirchen durch die zunehmende Säkularisierung in der heutigen Gesellschaft einer gemeinsamen Herausforderung gegenüber. Der Sinn für die transzendente Wirklichkeit und für den lebendigen Gott ist bei vielen Menschen verkümmert oder fast erstorben. In einer nur sich selbst genügenden und nur mit sich selbst beschäftigten säkularisierten Welt scheint man Religion und Kirche nicht mehr zu brauchen. Auch unter Christen hat der Glaube im konkreten Alltag an Kraft verloren. Das schlägt sich nicht zuletzt im Rückgang des Kirchenbesuches und des Gebetes im Leben des einzelnen und der Familien nieder. Die Distanzierung vieler Getaufter vom gemeinschaftlichen Leben der Kirche nimmt weiter zu. Ein allgemeiner Relativismus breitet sich aus, der den Absolutheitsanspruch des Christentums leugnet und in Gefahr steht, die verschiedenen Weltanschauungen unterschiedslos auf eine gemeinsame Ebene zu stellen.

Diese bedrängenden Tatsachen können und dürfen aber für die Kirche, für uns Bischöfe, für unsere Priester und Gläubige niemals zum Anlaß für Kleinmut und Resignation werden. Darum möchte ich Euch bei unserer heutigen Begegnung neu dazu ermutigen und aufrufen, Euch mit dem Prozeß der Säkularisierung und der Aushöhlung das Glaubenslebens nicht abzufinden. Es gilt die weithin verlorengegangenen Grundlagen des Glaubens durch neue und verstärkte gemeinsame Anstrengungen zurückzugewinnen. Dies ist eine immer dringlicher werdende umfassende Aufgabe. Ich habe sie schon viele Male und bei verschiedenen Anlässen mit dem Wort ”Neu-Evangelisierung“ bezeichnet, deren die heutige Gesellschaft und auch weite Bereiche der Kirche wieder notwendig bedürfen. Deshalb stellt sich als primäre und wichtigste Aufgabe für die Bischöfe und Priester, die vielfältigen Aktivitäten und Dienste der Kirche wieder grundsätzlich auf das eine wesentliche Ziel hin auszurichten: auf die unverkürzte Weitergabe des Glaubens und auf seine stete Vertiefung. Diesem vordringlichen Anliegen entspricht auf glückliche Weise das biblische Motto, unter das Ihr meinen jetzigen Pastoralbesuch gestellt habt: ”Geht hinaus in alle Welt und verkündet die Frohe Botschaft allen Geschöpfen!“. Es ist der Auftrag Christi selbst, der uns darauf verpflichtet, daß unsere Pastoral in der modernen Industriegesellschaft wieder von Grund auf missionarisch wird.

4. Worin wir uns als Christen wieder neu einüben müssen, ist: als Jünger und Kirche Jesu Christi in lebendigen Zellen das Evangelium wirklich zu leben und so das verborgene Antlitz Gottes in unserer Welt erneut zum Strahlen zu bringen. Nur aus einer Besinnung auf den Grund und die Wurzeln unseres Glaubens kann neues Leben erwachsen. Voraussetzung dafür ist ein neues Ernstnehmen des Wortes Gottes in der heiligen Schrift. Denn, so sagt der hl. Hieronymus, ”wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht“.

Gottes Wort aufmerksam zu hören und mit Mut und Zuversicht zu verkünden, ist vor allem uns Bischöfen und unseren Priestern aufgetragen. Die Vermittlung des Glaubens durch Wort, Sakrament und Dienst der Liebe verlangt zuallererst von uns, daß wir als seine Zeugen selbst von Jesus Christus ergriffen sind. Zeuge sein heißt: sich selbst mit seiner ganzen Existenz in die Weitergabe des Glaubens einzubringen. Nur wer das Wort Gottes zuerst selbst tief in sich aufgenommen hat, kann es auch glaubwürdig an andere weitervemitteln. Daraus ergibt sich die große Notwendigkeit, daß die Priester und ihre pastoralen Mitarbeiter, denen die Weitergabe des Glaubens von Berufs wegen obliegt, eine entsprechend gründliche Vorbereitung und stete Weiterbildung erhalten, damit sie die Frohe Botschaft Jesu Christi den Menschen auch heute überzeugend zu verkündigen vermögen.

Die Kirche lebt und verwirklicht ihren Glauben auf vielfältige Weise: in den Gemeinden und Gemeinschaften, in Vereinen und Gruppen – den jeweiligen konkreten Gegebenheiten entsprechend. Die wichtigste Zelle bleibt aber – gerade auch bei den beschränkten Möglichkeiten Eurer Diasporasituation – die christlich gelebte und gestaltete Familie, die das II. Vatikanische Konzil bekanntlich ”eine Art Hauskirche“ nennt, in der die Eltern ”durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten Glaubensboten“ sein sollen.  Die Weitergabe des Glaubens verlangt besonders das vertrauensvolle Gespräch zwischen den Generationen, in dem diese ihre religiösen Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Der naturgegebene Raum für die Einübung in dieses Glaubensgespräch ist wiederum die Familie. Darum möchte ich die Familien- und Jugendpastoral erneut Eurer besonderen Sorge und Aufmerksamkeit empfehlen.

Mit dem Verlust an sittlichen Grundwerten geht vor allem die Entwurzelung der Ehe- und Familienmoral einher. Gegen die wachsende Scheidungspraxis und den damit verbundenen allgemeinen Sittenverfall stellt sich uns als dringliche Aufgabe, den Menschen die authentische Lehre der Kirche über Ehe und Familie in einer vertieften Glaubenskatechese zu vermitteln, wie sie im Apostolischen Schreiben ”Familiaris Consortio“ ausführlich dargelegt ist.

5. Wie der Apostel sagt, kommt der Glaube vom Hören.  Deshalb müssen wir in unserem pastoralen Planen und Wirken der lebendigen Verkündigung und Bezeugung des Wortes Gottes in Predigt und Katechese, in der Familie, in Religionsunterricht und Jugendarbeit den Vorrang einräumen. Dem Dienst des Wortes gebührt der Vorzug vor jeder anderen noch so wichtigen und notwendigen Tätigkeit. Was die Menschen brauchen und worauf sie – vielleicht auch unbewußt – warten, ist die befreiende Botschaft vom Reich Gottes, das bereits im Kommen ist und die Welt heilt und verwandelt. Daraus erwächst sodann die richtige geistige uns sittliche Orientierung für das Leben.

Bei dieser geforderten Neu-Evangelisierung geht es gewiß darum, den unverkürzten katholischen Glauben und die verpflichtende Sittenlehre der Kirche weiterzugeben. Darüber hinaus kommt es aber vor allem darauf an, die christliche Grundhaltung des Glaubens als solche zu vermitteln, zu pflegen und zu entfalten; jene gläubige Sicht und Wertung der Gesamtheit des Lebens und der Welt, die allein von Christus he ihr wahres Maß und ihren wirklichen Sinn erhalten. Ich meine damit jenen lebendigen Glaubensgeist, durch den die Familien und Gemeinden, unsere Länder und Europa allein ihr wahrhaft christliches Gepräge zurückerhalten können.

6. Geht darum, liebe Mitbrüder, von dieser unserer Begegnung im Auftrage und Geiste Jesu Christi mit neuem Mut und mit neuer Zuversicht wieder hinaus zu Euren Diözesen und verkündet die Frohe Botschaft allen Menschen.  Wir wissen um die Größe unseres Auftrages und auch um die Schwierigkeiten, denen er in der Welt von heute und besonders auch in der Diasporasituation Eurer Ortskirchen begegnet. Sucht zusammen mit Euren Priestern und pastoralen Mitarbeitern nach den bestmöglichsten Mitteln und Wegen, um dem Verkündigungsauftrag Christi in unserer Zeit immer vollkommener und wirksamer zu entsprechen.

Ich möchte Euch, Euren Priestern und allen Laienhelfern an dieser Stelle zugleich von Herzen dafür danken, daß Ihr Euch schon bisher mit besten Kräften für ein reges und fruchtbares christliches Leben in Euren Diözesen und Gemeinden eingesetzt habt. Seid Euch stets dessen bewußt, daß Ihr auch in der Diasporasituation Eurer Ortskirchen nicht auf vergessenem oder verlorenem Posten steht. Auch in der ”Zerstreuung“ seid Ihr auf vielfältige Weise mit den Christen in anderen Ländern und mit der Weltkirche verbunden, die Euch ja durch zahlreiche lobenswerte Initiativen in Eurer pastoralen Arbeit brüderlichen Halt und Beistand gewähren. Auch diesen gilt hier unser gemeinsamer aufrichtiger Dank.

Seid Euch vor allem aber in lebendigen Glauben dessen froh bewußt, daß der Herr selber an Eurer Seite steht und Eurem Säen und Pflanzen in seinem Weinberg durch seine Gnade Wachsen und Gedeihen schenkt. Darum geschieht auch unser Glaubenszeugnis und die Glaubensweitergabe in ihrer höchsten Form in der gottesdienstlichen Feier, im gemeinsamen Hören des Wortes Gottes, in Lobpreis und Gebet, in Spenden und Empfangen der Sakramente; in der Liturgie der Kirche also, in der nicht mehr wir, sondern Christus selber der Haupthandelnde ist – vor allem in der Feier der Eucharistie, die die Quelle und Mitte des ganzen christlichen und kirchlichen Lebens ist. Schon wo zwei oder drei im Namen Christi versammelt sind, da ist er (Christus), wie er uns selber versichert hat, mitten unter ihnen.  Und wo Christus zugegen ist, da ist Kirche, da ist anbrechendes Reich Gottes in dieser Welt.

Der allmächtige und gütige Gott, der in Christus unser Immanuel: ”Gott-mit-uns“ geworden ist, stärke und führe Euch weiterhin in Eurem bischöflichen Wirken. Er segne Euch und Eure Ortskirchen und lasse sein Reich der Wahrheit und der Liebe unter Euch wachsen. – Gelobt sei Jesus Christus!

 

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