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Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Liebe Schwestern und Brüder!
Zur Eröffnungsfeier des 90. Katholikentages in Berlin gilt Dir, lieber Brüder Georg Sterzinsky, als dem Oberhirten der gastgebenden Diözese Berlin mein herzlicher Gruß. Ebenso gilt mein aufrichtiger Gruß Deinen Mitbrüdern im Bischofsamt und Euch allen, Schwestern und Brüder, vor allem den zahlreichen jugen Menschen, die Ihr in der Gemeinschaft des Glaubens aus allen Teilen Deutschlands und den benachbarten Ländern zu diesem Katholikentag gekommen seid. Besonders grüße ich alle Berlinerinnen und Berliner; betrachtet es als besonderes Geschenk Gottes, daß der erste Katholikentag nach der öffnung der Mauer und nach den großen politischen Umwälzungen in Eurem Land in der Stadt Berlin stattfinden kann. Gern nehme ich an Eurer Freude teil.
Es ist nicht ohne Bedeutung, daß am Ende des letzten Deutschen Katholikentages in Aachen Euer damaliger Berliner Bischof, Joachim Kardinal Meisner, die Einladung zum nächsten Treffen dieser Art nach Berlin ausgesprochen hat. Seitdem haben Entwicklungen von historischer Tragweite stattgefunden, wie wir sie damals in diesem Ausmaß und für diesen Zeitpunkt nicht erahnen konnten. Sie haben diese Stadt in die Mitte der Aufmerksamkeit der ganzen Welt gerückt. Eure Stadt Berlin is erneut ein Symbol der Hoffnung geworden.
Der Fall von Mauern sowie der Sturz gefährlicher Götzenbilder und einer unfrei machenden Ideologie haben gezeigt, daß grundlegende Freiheiten, die dem menschlichen Leben Sinn verleihen, auf Dauer nicht unterdrückt oder gar erstickt werden können. Die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion gehören zu den unveräußerlichen Grundrechten menschlicher Existenz, und sie sind eine wesentliche Voraussetzung, um das ”gemeinsame Haus“ Europa zu bauen, das - in Rückbesinnung auf christliche Traditionen - entscheidend wieder ein ”Europa des Geistes“ werden muß.
Trotz aller Komplexität im sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereich kann auf Dauer kein Staat und keine Gesellschaft auf ein transzendentes moralisches Fundament verzichten. Dies gilt für westliche wie für östliche Gesellschaften: weder der dialektische noch der praktische Materialismus können für den Menschen heute Grundlage der Hoffnung sein.
Worauf also sollen wir unsere Hoffnung bauen? Der letzte Berliner Katholikentag vor zehn Jahren stand unter dem Motto ”Christi Liebe ist stärker“. Die Liebe, die Christus auf die Erde gebracht hat, ist unsere Hoffnung. Dieser Hoffnung können wir nur zum Durchbruch verhelfen, wenn wir versuchen, dem Willen Gottes in Gegenwart und Zukunft je neu gerecht zu werden. Theologie und Verkündigung dürfen sich nicht nach dem Wind von Modeerscheinungen richten, sondern müssen sich ihrer missionarischen Aufgabe sicher sein. Die Laien müssen erneut in Glaubensfragen und im daraus sich ergebenden ethischen Lebensvollzug Zeugnis ablegen, das auf einer zutiefst geistlichen Dimension beruht; das im Getümmel von geistigen Irrungen und Verwirrungen für das persönliche und gesellschaftliche Leben eine Verankerung des Denkens und Verhaltens aus dem christlichen Glauben heraus ermöglicht.
Die Mitgliedschaft in katholischen Verbänden und Organisationen allein reicht nicht; das Kriterium kann nicht gesellschaftliches Engagement und gesellschaftliche Nützlichkeit sein. Unsere persönliche Glaubensbereitschaft ist gefragt; und sie kann nur geweckt werden aus einem zutiefst spirituellen Leben. Laßt Euch nicht vereinnahmen von rein gesellschaftlichen und politischen Interessen! Sucht aus Eurer Verantwortung als Christen heraus zuerst die Auseinandersetzung mit Verhaltensweisen und Mentalitäten, die es zu korrigieren gilt, und in zweiter Linie erst mit Strukturen!
Dann hat das Motto dieses Katholikentages ”Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ seinen Sinn für unser Leben als einzelne und als Gesellschaft. Räumen wir dem Willen Gottes Macht und Recht auf dieser Erde ein! Nur wenn dieser Wille Gottes zum Wegweiser unseres Denkens und Wirkens auf dieser Erde wird, werden wir nicht dem trügerischen Schein verfallen, sondern der Wahrheit dienen, werden nicht zerstören, sondern aufbauen, nicht uns im Kreis bewegen, sondern zum wahren Fortschritt beitragen. ”Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“, das heit, da wir uns als Mitarbeiter für das Reich Gottes in Dienst nehmen lassen. Dann können wir als Christen unsere Verantwortung für die Zukunft wahrnehmen und in Ehrfurcht vor allem, was Gott geschaffen hat, mit den Gütern dieser Welt umgehen.
Die Zukunft Europas muß uns allen ein Herzensanliegen sein. Nur ein Europa, das um seine geistigen Wurzeln weiß, kann zusammenfinden und sich noch stärker den Problemen der Dritten und Vierten Welt widmen. Als Kirche müssen wir wieder die Kraft und den Elan finden, um Kultur, Erziehung und das soziale Umfeld zu durchdringen. Kirche will sich nicht in die Politik einmischen, aber sie mu die Werte zur Geltung bringen, die ein Volk braucht, um die Zukunft bauen zu können. Als Kirche müssen wir es verhindern, da der Mensch nach der Überwindung marxistischer Entfremdung sich im Konsumismus und Materialismus verliert.
Der geistige Wieder -und Neuaufbau Europas muß uns alle interessieren. Und die Kirchen in den einzelnen Ländern müssen sich hierfür gegenseitig helfen. Deswegen ist mir die Sondersynode der europäischen Bischöfe ein großes Anliegen; und ich fordere jetzt schon besonders auch die Laien auf, ihren Beitrag dieser gewaltigen Aufgabe nicht zu versagen, sondern ihre Verantwortung aus einem wirklich personalen Glauben heraus wahrzunehmen. Wir alle dürfen die uns gegebene Chance nicht verspielen.
Ihr seid in Berlin zusammengekommen. Versucht in diesen Tagen, modellhaft jene Gemeinschaft zu sein, die auf Werten und Grudsätzen basiert, die Eure Zukunft wahrhaft zu tragen und Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit wahrhaft zu schaffen vermögen.
Dazu mögen Euer Gebet, Eure Gottesdienste, Eure Arbeit, Euer Zeugnis und Eure Gespräche einen Beitrag leisten. In diesen Tagen weiß ich mich mit Euch allen, mit den Katholiken in ganz Deutschland sowie mit allen Christen in Ost und West vereint im Gebet um die erneute Herabkunft des Heiligen Geistes. Daß wir mit seiner Hilfe den Willen des Vaters, der wie im Himmel so auf Erden waltet, erkennen und tun, erteile ich Euch allen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 23. Mai 1990.

IOANNES PAULUS PP. II

 

 

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