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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DEM NORDWESTDEUTSCHEN RAUM ANLÄSSLICH IHRES
«AD-LIMINA»-BESUCHES

Montag, 14. Dezember 1992

 

Lieber Herr Kardinal,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Zu Eurem Besuch im Hause des Bischofs von Rom heiße ich Euch, die Ihr für die Pastoral in den Diözesen im Norden und Westen Deutschlands Verantwortung tragt, herzlich willkommen. Einige von Euch darf ich zu ihrem ersten ”Ad-limina-Besuch“ besonders begrüßen: unseren lieben Kardinal Meisner als Erzbischof von Köln in der Nachfolge des unvergessenen Kardinals Josef Höffner und unseren Mitbruder Hubert Luthe, der als zweiter Bischof von Essen die Leitung des Ruhrbistums als Nachfolger von Kardinal Franz Hengsbach übernommen hat. Herrn Kardinal Meisner danke ich für seine Worte, mit denen er einen Einblick in die Lage Eurer Region und in die Sorgen, die Euch belasten, vermittelt hat. Das vornehmste Ziel Eures Besuches, der Euch zu den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus führt, ist, die Gnade Eures Bischofsamtes neu zu beleben. Es ist für mich als Nachfolger des heiligen Petrus eine edle Aufgabe, Euch in Eurem apostolischen Amt zu bestärken. Eure Region verfügt über ein wertvolles und reiches christliches Erbe. Dies durfte ich während meiner beiden Pastoralbesuche in Deutschland selbst erfahren. Ihr habt bei unseren Gesprächen mit großer Offenheit die Gesamtheit der Schwierigkeiten im pastoralen Bereich benannt. Sie sind symptomatisch für die fortschreitende Säkularisierung, die Euer christliches Erbe immer mehr in den Hintergrund zu drängen droht. Wenn auch die Gläubigen sich dadurch nicht selten entmutigen lassen, hat sich dennoch vielerorts ein lebendiges Gemeindeleben bewahrt. Es gibt Zeichen der Hoffnung; Eure pastoralen Anstrengungen sind nicht vergebens. Lasst Euch auch in Zukunft nicht entmutigen, sondern setzt Eure Arbeit zusammen mit Euren Priestern, Diakonen, Ordensleuten und verantwortlichen Laien fort! Übermittelt ihnen den Ausdruck meines Vertrauens und die Zusicherung, dass ich um ihre Sorgen weiß und sie im Gebet vor den Herrn trage.

2. In der Ausübung Eures Amtes als Hirten des Volkes Gottes wird es entscheidend sein, die Bedeutung der Eucharistie als Quelle unserer Kraft immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Im Gottesdienst der Gemeinde erfüllen nicht nur die Priester ihre Aufgabe und erleben ihn als die Mitte ihrer priesterlichen Existenz, sondern auch die übrigen Glieder der Kirche haben hier ihren Ort. Die volle und aktive Teilnahme an der heiligen Liturgie ist ”die erste und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen“. Sorgt dafür, dass in den Gemeinden der Sinn für das Mysterium erhalten bleibt oder wieder neu belebt wird. Es ist Eure Aufgabe, über die würdige Gestaltung der Gottesdienste in Euren Gemeinden zu wachen. Niemand, ”auch wenn er Priester ist, darf nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern“, auch nicht mit der Absicht, den zum Gottesdienst versammelten Gläubigen aktuelle gesellschaftspolitische Anliegen bewusst machen zu wollen. In der Feier der heiligen Geheimnisse muss der Mensch vor allem Gott und nicht in erster Linie sich selbst wiederfinden. Die Gläubigen müssen von der Eucharistie als der Mitte ihres christlichen Lebens ausgehen, damit sie ihren Auftrag im Rahmen der Verkündigung der Frohbotschaft und ihr Zeugnis als Laien für das Reich Gottes erfüllen. Aus der Eucharistie sollen sie Kraft schöpfen für ihre Evangelisierungsarbeit auf allen Ebenen des alltäglichen Lebens wie auch in den Bereichen von Politik, Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch des internationalen Lebens und der Massenmedien, ja auf allen Gebieten menschlichen Lebens in der Welt. Auf diese Weise verändert die Kraft des Ostermysteriums die Welt und führt sie dem Reich Gottes entgegen.

3. In diesem Zusammenhang möchte ich eine weitere Sorge ansprechen: nämlich die offensichtlich immer stärker werdende Tendenz in der Gesellschaft, den Lebensrhythmus sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch um einer einseitigen Bevorzugung der Freizeitgestaltung willen zu ändern. Aus derartigen Strömungen erwächst die Gefahr, dass der traditionell religiöse Gehalt des Sonntags, des Tages des Herrn, in den Hintergrund tritt; dieser ist vielen Menschen oft nicht mehr bewusst. Wo aber das Geschenk des Sonntags und der christlichen Feiertage seines ursprünglichen Gehaltes entleert wird, verkommt es zum Dispositionsgut reiner Nützlichkeitserwägungen. Dazu macht die soziale Errungenschaft des arbeitsfreien Samstags den Sonntag mehr und mehr zum ausklingenden Teil des ”Wochenendes“. Andererseits verlangen hochtechnisierte Produktionsanlagen und die Tätigkeiten im sozialen Bereich eine verstärkte Flexibilität des Arbeits- und Produktionsprozesses, bei der das generelle Verbot der Sonntagsarbeit manchem hinderlich erscheint. Bei aller Einsicht in diffizile Sachzusammenhänge bitte ich Euch, dem Erhalt der Sonntagskultur auch weiterhin Eure Aufmerksamkeit zu schenken, da es ja um die Erhaltung von mehr als nur einem kirchlichen Feiertag geht. Die Bedeutung des Sonntags muss uns auch deswegen ein Anliegen bleiben, um in unserer Zeit wenigstens ansatzweise den Blick auf die Dimension des Transzendenten offenzuhalten.

4. Eurer besonderen Aufmerksamkeit möchte ich auch die Sorge um die Priesterberufe anempfehlen. Bei allen Initiativen bezüglich einer adäquaten Berufungspastoral werden wir dem Priestertum und seiner unersetzlichen spezifischen Bedeutung für die Kirche nur dann gerecht, wenn wir es nicht isoliert für sich selbst betrachten, sondern die Gesamtpastoral als Berufungspastoral verstehen. Menschsein ist immer Gerufensein von Gott, das sich auf die verschiedenste Weise ereignet. Erst recht kann dann Christsein in der Wechselbeziehung von Gottes Ruf und der Antwort des Menschen gelebt werden. Durch diese dialogische Grundstruktur wird der Gemeinschaftsraum der Kirche vorgeprägt. Gerufensein und gemeinschaftsbezogene Antwort gehören im Priestersein stets zusammen. Zuerst ereignet sich ”Berufung“ in der persönlichen gläubigen Begegnung zwischen Gott und dem konkreten Menschen. Deshalb muss es in den verschiedenen Formen der Berufungspastoral darum gehen, Menschen das Gespür für den Anruf Gottes in ihrem Leben zu vermitteln. Da christlicher Glaube wie auch der Dienst des Priesters wesensmäßig auf die Kirche bezogen und nur in ihr lebbar sind, hat jede Art von Berufung eine ekklesiale Dimension: zur eigenen Berufungsüberzeugung gehört untrennbar die Annahme durch die Kirche. Die Verbindung von persönlichem Berufungsbewusstsein und kirchlicher Eignungsfeststellung wird in einer Zeit zunehmender Individualisierung schwieriger und zugleich immer wichtiger. Deswegen bitte ich Euch, bei Initiativen zugunsten der Förderung geistlicher Berufe in den Diözesen, Dekanaten, Pfarreien, Orden und geistlichen Gemeinschaften besonders darauf zu achten, dass dieser Zusammenhang deutlich zur Geltung kommt.

5. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass Priesterbildung ein Lebensprozess ist, der nicht mit der Weihe seinen Abschluss findet, sondern ein lebenslanges Reifen darstellt. Dazu bedarf es in allen Dimensionen und Altersstufen einer je neuen menschlichen, theologischen, spirituellen und pastoralen Formung, die über bloße ”Weiterbildung“ hinaus auf eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung abzielt. Während der Bischofssynode 1990 und im daraus entstandenen nachsynodalen Apostolischen Schreiben ”Pastores Dasso Vobis“ wurde deshalb die Bedeutung einer ”Formatio permanens“ im Leben des Priesters nachdrücklich betont. Eine besondere Aufgabe kommt dabei dem Presbyterium in der Diözese sowie den verschiedenen Formen geistlicher Begleitung zu. In diesem Zusammenhang danke ich Euch, dass Ihr in Eurem gemeinsamen ”Brief an die Priester“ vor wenigen Wochen diese Frage aufgegriffen und wichtige Hinweise dazu gegeben habt.

6. Wenn wir Priestersein als umfassenden Lebensweg verstehen, kommt der ersten Ausbildungszeit bis zur Weihe eine besondere Bedeutung zu. In dieser Zeit werden Haltungen grundgelegt und Einstellungen vermittelt, die für das zukünftige Wirken entscheidend sind. Wie auch das nachsynodale Apostolische Schreiben, so betonte schon Eure ”Rahmenordnung“, dass Priesterausbildung nur in einer ”Gleichzeitigkeit“ von geistlichem Leben und menschlicher Reife, theologischer Bildung und pastoraler Befähigung erfolgen kann. Dabei ist darauf zu achten, dass die Kandidaten für den Priesterberuf zu einer geistlich fundierten Kooperationsfähigkeit ausgebildet werden, damit sie den Anforderungen, die der priesterliche ”Dienst an der Einheit“ in einer sich wandelnden Gesellschaft stellt, gerecht werden können. Das Seminar ist nie eine bloße Organisationsform, sondern bietet gerade unter veränderten Bedingungen die Chance, verschiedenste Erfahrungen mit Gott und der Welt in einen gemeinsamen Lebensraum einzubringen und sie auf die Lebensentscheidung für den priesterlichen Dienst hin zu überprüfen und auszurichten. Deshalb muss es Euer besonderes Anliegen sein, liebe Brüder, an dieser Institution festzuhalten und in Verbindung damit gewachsene neue Erfahrungen zu prüfen, um bewährte Ausbildungsformen in sinnvoller Weise auf die gewandelten Zeit- und Lebensverhältnisse abzustimmen. Bei dieser Gelegenheit bitte ich Euch, den Verantwortlichen für die Priesterausbildung mein besonderes Wort des Dankes für alle ihre Bemühungen zu übermitteln.

7. Wie ich bereits in ”Pastores Dabo Vobis“ erwähnt habe, muss der wissenschaftlichen Ausbildung im Blick auf die weltweit immer dringender werdende Neuevangelisierung zunehmende Bedeutung beigemessen werden. Angesichts der Herausforderung, eine nie zuvor erlebte Vielzahl und Verflochtenheit verschiedener Lebensbereiche vom Glauben her und auf ihn hin zu deuten, ist ein hohes theologisches Reflexionsniveau erforderlich. Bei diesem Bemühen können gerade die theologischen Fakultäten durch ihre Einbettung in das öffentliche Leben in Deutschland und die mit der Universitäts- und Hochschulstruktur gegebenen institutionellen Möglichkeiten des Kontaktes und des interdisziplinären Dialogs wichtige Dienste leisten. Dabei ist der enge Zusammenhang von Theologie und Glaube, von Wissenschaft und Frömmigkeit entscheidend. An den Fakultäten in Eurem Land hat sich insofern eine Weiterentwicklung vollzogen, als sie mehr und mehr von qualifizierten Laien besucht werden, denen für ihre Tätigkeit im Bereich von Kirche und Gesellschaft wichtige theologische Kenntnisse und spirituelle Impulse vermittelt werden müssen. Es kommt darauf an, diese Entwicklung mit der primären Aufgabe einer wissenschaftlich fundierten Priesterausbildung zu verbinden, damit das notwendige ”sentire cum ecclesia“ zugleich an Weite und Tiefe gewinnt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass heute viele junge Menschen in ihrem Glauben verunsichert sind, weil sie nicht mehr die notwendige Fundierung und Stütze in Familie und Gesellschaft besitzen. Anerkennend kann ich feststellen, dass Ihr regelmäßige Kontakte zu Euren theologischen Fakultäten pflegt. Allerdings bitte ich Euch darauf hinzuwirken, dass diese Kontakte zu einem von der Liebe zur Kirche geprägten Verhältnis zwischen dem Amt der Bischöfe und der Aufgabe der Professoren der Theologie beitragen. Eine hohe wissenschaftliche Qualifikation der Professoren allein genügt nicht; es gehört vielmehr zu ihrer Berufung, dass sie den Glauben der Kirche, der Gegenstand ihres Forschens ist, auch in der Lehre und mit ihrem Lebensbeispiel bezeugen. In diesem Zusammenhang wird auch ein Problem schmerzhaft bewusst, das Euch, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, seit Jahren beschäftigt. Trotz vielfältiger Anstrengungen gelingt es nicht, den wissenschaftlichen Nachwuchs in ausreichendem Maße für die vorhandenen Lehrstühle sicherzustellen. Dies gilt insbesondere unter dem Aspekt, dass Professoren an theologischen Fakultäten in der Regel Priester sein sollen. Die Bemühungen um eine genügende Präsenz der Theologie an den Hochschulen müssen darum von Überlegungen begleitet werden, die dazu führen, die Besetzung der Lehrstühle mit qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern durch eine Straffung des Studienangebotes auch in Zukunft zu ermöglichen. Deswegen möchte ich Euch ermuntern, sorgfältige Überlegungen anzustellen, um eine ausgewogene Verteilung der Studieneinrichtungen in Deutschland für die Zukunft zu sichern. Ein weiteres Problemfeld, das Eure Aufmerksamkeit erfordern wird, ist das Studium der Philosophie. Als wichtige Voraussetzung für das Studium der Theologie wird der Philosophie bisweilen leider in sehr verkürzter Weise Rechnung getragen. Meine Bitte geht dahin, die Fakultäten auf diesen Mangel aufmerksam zu machen, wo dies notwendig ist.
Eurer Unterstützung bedarf ferner eine lobenswerte Initiative des bayerischen Episkopats, die einzige Katholische Universität in Deutschland zu gründen und zu unterhalten. Die Universität Eichstätt braucht aber die Hilfe und Solidarität der gesamten Deutschen Bischofskonferenz, handelt es sich hier doch um ein Zentrum, das den Dialog zwischen Glauben und Kultur fördert und eine integrale Ausbildung anbietet, nämlich die der beruflichen Bildung und der Formung im Lichte des katholischen Glaubens.

8. Die Anwesenheit des Priesters ist an vielen Orten notwendig. Dennoch verlangt die pastorale Situation, dass die hauptberuflichen Mitarbeiter in den Pfarrgemeinden sich ihrer Verantwortung noch mehr bewusst werden, da ihr Dienst nicht ein Beruf ist wie jeder andere, sondern ihm entscheidend eine Berufung zugrunde liegt. Die Sendung der Kirche erfordert eine bewusste Zusammenarbeit aller, die in der Seelsorge unter der Verantwortung der Bischöfe stehen; denn Ihr habt den Auftrag, das kirchliche Leben in Einheit auszurichten. Die wertvolle Arbeit, die von den hauptberuflichen Mitarbeitern geleistet wird, sollte jedoch den großen Idealismus, der von den Laien in Euren Pfarreien aufgebracht wird, nicht unterdrücken. Eine fruchtbare Zusammenarbeit aller wird jedem Christen das Bewusstsein vermitteln, dass die Kirche, die Diözese und die Pfarrei seine eigene Sache ist und dass in der Tat sein Heil auf dem Spiel steht. Jeder Getaufte hat in der Kirche seinen Platz, denn Christus erwartet ihn dort. Dementsprechend gilt es, Mitverantwortung zu fördern, Schwerpunkte zu bilden, die gemeinsame Arbeit abzusprechen und aufzuteilen und einzelne Aufgaben und Verantwortungen sinnvoll zu delegieren. Ziel aller unserer Überlegungen muss es sein, mehr Raum für die eigentliche Seelsorge zu schaffen. Es muss besser möglich werden, dass die Priester und Diakone die Menschen, die nach persönlicher Beratung und Hilfe suchen, auf ihrem Weg begleiten. Je mehr die Priester in der Lage sind, die Funktion des Managers und des Machers abzulegen, desto mehr können sie als Seelsorger wirken. Der Dienst an den Sakramenten und die Verkündigung des Evangeliums haben für den Priester Vorrang. Auf den anderen Gebieten der Pastoral wird er sich verstärkt seiner Mitarbeiter bedienen müssen.

9. Vor ähnlichen Problemen stehen in Euren Diözesen auch die Ordensgemeinschaften. Die Ordensleute sind je nach dem ihnen eigenen Charisma in die diözesane Gemeinschaft eingefügt. Den wertvollen Beitrag der Ordensgemeinschaften zum Leben der Diözesen möchte ich ausdrücklich gutheiben. ”Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist“, sagt der heilige Paulus. Die Konstitution ”Lumen Gentium“ stellt fest. ”Die Ordensleute sollen sorgfältig darauf achten, dass durch sie die Kirche wirklich von Tag zu Tag mehr... Christus sichtbar mache, wie er auf dem Berg in der Beschauung weilt oder wie er den Scharen das Reich Gottes verkündet oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten bekehrt“. Die Ausstrahlung der kontemplativen Klöster, die Predigt, die Beteiligung an der Pfarrseelsorge, die Betreuung der Kranken, der Unterricht und die karitativen Werke sind Tätigkeitsfelder, in denen sich die Ordensleute Eurer Diözesen mit großer Hingabe einsetzen. Das Leben nach den Evangelischen Räten ist in besonderer Weise der Sorge und Förderung der Hirten der Kirche anvertraut. Dies wird auch durch die Tatsache deutlich und bekräftigt, dass sich die kommende Bischofssynode 1994 mit dem Wesen und Auftrag des gottgeweihten Lebens befassen wird und mit seiner Sendung in Kirche und Welt von heute. Meine Bitte ist, dass Ihr zur guten Vorbereitung und fruchtbaren Durchführung dieser Bischofssynode nach Kräften beitragt. Sie soll auch die Schwierigkeiten beheben helfen, die es heute bei vielen Ordensgemeinschaften gibt. Die vielfältigen gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit lassen auch die Orden nicht unberührt. Bietet den Ordensleuten Beratung und Hilfe an, und tragt dazu bei, dass wieder mehr junge Frauen und Männer dem Ruf zum Leben nach den Evangelischen Räten in den verschiedenen religiösen Gemeinschaften der Kirche folgen.
Bei der Planung und Durchführung der Apostolatswerke sollen die Bischöfe und Ordensoberen zusammenarbeiten. Dieses Miteinander, in das die Bischöfe ihre apostolische Konzeption und die Ordensleute den Dienst gemäß ihrem Charisma einbringen, sollte noch stärker gefördert werden.
Änderungen durch zwangsläufige Aufgabe von Tätigkeiten, die bisher von Ordensleuten ausgeübt wurden, müssen in Übereinstimmung mit dem Bischof erfolgen, der der Erstverantwortliche für die katholischen Einrichtungen im Dienst des Volkes Gottes bleibt. Die Ordensgemeinschaften in Deutschland haben den Aufruf des II. Vatikanischen Konzils zur Erneuerung ihres Lebens durch eine Rückbesinnung auf das Gründungscharisma und durch eine angemessene Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit ernst genommen. Sie haben hierbei große und anerkennenswerte Anstrengungen geleistet. Mit Euch möchte ich für die verdienstvolle Arbeit danken, die in Eurem Land durch Ordensfrauen und Ordensmänner geleistet wird. Übermittelt ihnen die herzliche Ermunterung des Papstes; ich rechne weiterhin mit ihrem Gebet.

10. Von großer Bedeutung in der Pastoral, die Ihr zusammen mit Euren Priestern und den Ordensleuten ausübt, wird die Weitergabe des Glaubens an die junge Generation sein. Zu Recht hat das II. Vatikanische Konzil die Jugendlichen ”die Hoffnung der Kirche“ genannt. Die Heilsbotschaft ist immer neu und aktuell, und sie bleibt auch jung im Dialog mit der Jugend: ”Die Kirche hat der Jugend viel zu sagen, und die Jugend hat der Kirche viel zu sagen. Dieser gegenseitige Dialog muss offenherzig, klar und mutig sein“. Zur Weitergabe des Glaubens an der Jahrtausendwende braucht die Kirche die jungen Menschen in besonderer Weise; sie braucht ihre Dynamik, ihre Aufrichtigkeit und die frische Kraft ihres Glaubens. Die Jugendlichen sind nicht lediglich Gegenstand der pastoralen Sorge der Kirche, sondern aktive Träger ihrer Sendung. Liebe Brüder, helft mit, die jungen Menschen in ihrem Idealismus und ihrer Suche nach dem Sinn für das Transzendente zu bestärken, damit sie nicht jener materialistischen Mentalität verfallen, die alles danach befragt, was ”es mir bringt“. Der Partialisierung der verschiedenen Lebensbereiche setzen junge Menschen heute eine tiefe Sehnsucht nach Ganzheit entgegen, der wir von seiten der Kirche große Aufmerksamkeit schenken müssen. Die Botschaft Jesu kommt dieser Sehnsucht entgegen; sie muss aus der Kraft eines lebendigen Glaubens obskuren Meditationsmechanismen und -inhalten sowie okkulten Praktiken entgegengesetzt. In der Pastoral haben wir den Jugendlichen die Erfahrung zu vermitteln, dass sie ein Glied am Leib Christi sind. Sie brauchen das Gefühl, in der Gemeinschaft beheimatet zu sein. Sie brauchen ein geistliches Zuhause, einen Ort, wo sie für einige Zeit zusammenleben können und wo sie geistliche Führung erfahren. Dem jungen Menschen geht es heute nicht mehr in erster Linie um Interessenvertretung in kirchlichen Jugendverbänden. Deswegen ermuntere ich Euch, neben der traditionellen Verbandsarbeit neue Wege zu gehen, die dem jungen Menschen Kirche als Heimat vermitteln, eine Kirche, die weltweit denkt und empfindet und konkret am Ort handelt, die bereit ist, die Liebe Christi erfahren zu lassen und ihr Raum zu geben, wie es im Epheserbrief heißt: ”In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt“.

11. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der Einstellung, die viele Jugendliche heute zeigen, können wir auch für die Kirche auf eine Zukunft in Europa hoffen. Über die drängenden Fragen der politischen und wirtschaftlichen Einigung hinaus müssen wir uns im Hinblick auf die Neuevangelisierung fragen: Wie steht es um das geistig-kulturelle und religiöse Selbstverständnis des neuen Europa? Die Kirche muss Sauerteig sein. Wir selbst müssen uns aus dem Evangelium heraus erneuern. Das wahre Ausmaß der Liebe Gottes, die sich am Kreuz offenbarte, wird dadurch sichtbar, dass er uns immer zuerst liebt: ”Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns (zuerst) geliebt... hat“. Die so verstandene Liebe gibt uns das wahre Licht, in dem wir unsere eigene Freiheit erkennen, die uns zu Dienern der Wahrheit macht. Es wird entscheidend davon abhängen, ob es uns in den nächsten Jahren gelingt, gegenüber der Verherrlichung des Reichtums und des Erfolges eine Gemeinsamkeit von ethischen Grundlagen und Werten zu schaffen. Das setzt voraus, dass die Kirche im Osten und Westen, die äußerlich so lange geteilt war und daher auch sehr verschiedene Erfahrungen gemacht hat, wieder eins werden muss, damit sie Seele des neuen Europa werden kann. Der gegenseitige Austausch von Erfahrungen und die gegenseitige Hilfe müssen intensiver werden, damit sich die einzelnen Teilkirchen besser kennenlernen, einander bereichern und auf der Basis des Wortes Gottes, des Evangeliums, wirklich eins werden. Helft mit, dass im neuen Europa ein überzeugendes und kraftvolles Christentum verkündet und gelebt wird.

12. Als Lehrer und Verkünder des Glaubens habt Ihr oft über Themen gesprochen, die das Leben Eurer Gesellschaft betreffen. Die Weisungen, die Ihr zum Bereich der sozialen Gerechtigkeit gegeben habt, zur Arbeitslosigkeit, sind vielen Anregung gewesen, in der öffentlichen Auseinandersetzung mit solchen Fragen aktiver zu werden und sich zu bemühen, den vielfältigen Gegebenheiten der Gesellschaft wirksam zu begegnen. Es ist unmöglich, all die lobenswerten Initiativen zu erwähnen, die auch Eure Unterstützung gefunden haben: Ich denke an die Arbeit der KAB, die in großem Rahmen des 100. Jubiläums des Erscheinens der Enzyklika ”Rerum novarum“ gedacht hat und durch die intensive Beschäftigung mit der Enzyklika ”Centesimus annus“ vielen Menschen bewusst werden lieb, wie sehr die Soziallehre der Kirche in hohem Mabe die wirklichen Probleme der Gesellschaft berührt. Seit dem vergangenen Jahr haben wir in dem seligen Adolph Kolping einen neuen Fürsprecher bei Gott. Er hat wegweisende Schritte eingeleitet, um die soziale Frage im Deutschland des letzten Jahrhunderts ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, und hat dazu beigetragen, dass die Kirche in ihrer Gesamtheit sich der schweren sozialen Probleme angenommen hat. Er selbst ging in seinem Lebenswerk mit leuchtendem Beispiel voran.

13. Danken möchte ich Euch ebenso für das mutige Eintreten zugunsten der Erhaltung der Schöpfung. Die Beziehung zwischen Mensch und Natur wieder in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen, gehört auch in den Verantwortungsbereich der Kirche, weil es hier auch um eine ethische Frage geht: ”Das tiefste und schwerwiegendste Zeichen dafür, dass der ökologischen Frage moralische Implikationen innewohnen, besteht im Mangel an Achtung vor dem Leben, den man in vielen die Umwelt belastenden Verhaltensweisen antrifft“.

Die Welt als Schöpfung zu begreifen heißt, dass sie uns als Leben anvertraut ist. Sie ist eine Gabe Gottes an die Menschen, und sie ist uns gegeben zur Weitergabe. Wir haben kein Recht, sie zu zerstören oder mit Hypotheken zu belasten, die nicht mehr berechenbar sind.

Wir Menschen sind Teil der Schöpfung. Dabei ist es unbestritten, dass dem Menschen in der Welt eine Sonderstellung zukommt. Der Mensch darf Lebewesen und Dinge nutzen, aber er muss sich stets vor Augen führen, dass auch sie Teil der Schöpfung sind und niemals bloße Verfügungsmasse in seiner Hand sein können.

Schöpfung schließt das Wirken und Schaffen der Menschen mit ein. Verdeutlicht den Gläubigen, dass die Kulturtätigkeiten des Menschen zu seiner Schöpfungsaufgabe gehören, der er sich in Verantwortung gegenüber den Mitgeschöpfen stellen muss.

14. Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, zum Abschluss dieser Begegnung möchte ich Euch in Eurem Dienst an der Kirche stärken und ermuntern. Unsere Mutter Kirche stellt das himmlische Jerusalem dar, das bereits mitten unter uns gegenwärtig ist. Voll Hoffnung bitte ich die Jungfrau Maria, täglich für Euch bei ihrem Sohn Fürbitte einzulegen, damit er Euch in Eurer Sendung Freude und Zuversicht schenken möge. Zugleich rufe ich auf Euch den Schutz der Diözesanpatrone und der Heiligen Eurer Bistümer herab und erteile Euch, den Priestern, Diakonen, Ordensleuten und allen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
 

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