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              BOTSCHAFT VON PAPST JOHANNES PAUL II.  
AN DIE TEILNEHMER DES VON 
DER "UNIVERSITÀ CATTOLICA DEL SACRO CUORE" 
IN ROM VERANSTALTETEN 6.  NATIONALEN TREFFENS 
DER KATHOLISCHEN UNIVERSITÄTSDOZENTEN

 

Sehr geehrte Universitätsdozenten!

1. Über ein Jahr ist vergangen seit unserer Begegnung anläßlich des Großen Jubiläums, aber der Elan, den Euch diese so wertvollen Tage vermitteln konnten, hat nicht nachgelassen. 

Es war die besondere Gelegenheit für eine persönliche Begegnung vor allem mit Ihm, Jesus, dem Herrn, unserem einzigen Lehrer. Er ist die lebendige Quelle, der Ausstrahlungspunkt, die Nahrung, die im Wort und in der Eucharistie zur spürbaren inneren Erfahrung wird.  

Es bestand auch die Gelegenheit zur Vertiefung des Sinnes für die Kirche in der Wechselwirkung der Gemeinschaft und in der gegenseitigen brüderlichen Unterstützung all jener, die sich in Christus als Glieder der einen großen Familie erkennen. Daraus ist ein neuer Impuls zur Zeugnisgabe erwachsen mit dem Ziel, die Dynamik einer bedeutsamen, großherzigen und wahrhaftigen Präsenz in die tägliche Hochschularbeit einzubringen.  

Ihr seid von neuem zu diesem Treffen zusammengekommen und habt die Einladung, »hinauszufahren«, angenommen, die ich der ganzen Kirche und damit auch Euch als neuen Horizont des Hoffens und Handelns aufgetragen habe, damit Ihr über die konkreten Verpflichtungen nach- denkt, die die Perspektive des neuen Humanismus für das Leben Eurer Universitäten mit sich bringt.  

2. Es ist eine Zeit tiefer Umbrüche, und auch die alten und ehrwürdigen Institutionen – wie viele italienische Universitäten – müssen sich erneuern. In diesem Prozeß verflechten sich vielfältige, manchmal durchaus edle und lobenswerte, andere Male hingegen mehr instrumentale Faktoren mit der Gefahr, das Wissen auf ein Mittel zur Selbstbehauptung zu reduzieren, indem die Lehrtätigkeit auf eine utilitäre und pragmatische Übung herabgestuft wird.  

Der Dozent ist ein Lehrer. Er vermittelt das Wissen nicht so, als ob es ein Gebrauchsgegenstand wäre, sondern stellt vor allem eine Wissensbeziehung her, die, auch wenn sie aufgrund der zu hohen Anzahl der Studenten nicht zur persönlichen Begegnung führen kann, zum Wort des Lebens wird, noch bevor sie Kenntnisse übermittelt. Der Dozent unterrichtet im wahrsten Sinn des Wortes, das heißt, er trägt wesentlich zum Aufbau der Persönlichkeit bei; er erzieht, gemäß dem antiken sokratischen Vorbild, indem er hilft, die Fähigkeiten und Begabungen des einzelnen zu entdecken und zu entfalten; er bildet, gemäß dem humanistischen Verständnis, das dieses Wort nicht nur auf den notwendigen Erwerb beruflicher Kompetenzen beschränkt, sondern in einen festen Rahmen und in einen transparenten Zusammenhang von Lebensinhalten stellt.  

3. Ihr seid zur Lehrtätigkeit berufen. Es handelt sich um eine Berufung, eine christliche Berufung. Manchmal wird sie schon von Jugend an als Lebensziel empfunden, manchmal erwächst sie aus den scheinbar zufälligen, aber in Wirklichkeit providentiellen Ereignissen, die die Lebensgeschichte des einzelnen kennzeichnen. Dorthin, auf den Lehrstuhl, hat Gott Euch namentlich berufen zu einem unersetzlichen Dienst an der Wahrheit des Menschen.  

Das ist der Wesenskern des neuen Humanismus. Er konkretisiert sich in der Fähigkeit, zu zeigen, daß das Wort des Glaubens wahrhaftig eine Kraft ist, die den Verstand erleuchtet, ihn von jeder Knechtschaft befreit und zum Guten befähigt. Die jungen Generationen erwarten von Euch neue Synthesen des Wissens: nicht enzyklopädische, sondern humanistische. Es ist notwendig, die orientierungslose Zerstreuung zu überwinden und weitreichende Perspektiven vorzuzeichnen, die imstande sind, zum Engagement bei der Suche und Übermittlung von Wissen zu motivieren; zugleich sollen Personen herangebildet werden, die nicht die unermeßlichen und furchterregenden Möglichkeiten, die der wissenschaftliche und technologische Fortschritt in unserer Zeit erreicht hat, gegen den Menschen umkehren. Wie in der Frühzeit der Menschheit wird der Mensch auch heute, wenn er nach eigenem Belieben über die Früchte des Baums der Erkenntnis verfügen will, trauriger Urheber von Angst, Streit und Tod. 

4. Die in Italien in Gang gesetzte Reform im Bereich der Schulen und Universitäten ruft die kirchliche Pastoral auf den Plan, Formen der Stagnation im kulturellen Dialog zu überwinden und der die Begegnung zwischen der menschlichen Intelligenz zu fördern. In diesem Zusammenhang müssen die Suche nach der Wahrheit, die wissenschaftliche Forschung und die kulturelle Weitergabe gefördert werden. Auch heute sollte ein neues Streben nach der Einheit des Wissens entdeckt werden – genau wie das der »universitas«–, damit mit innovativem Mut die Studienordnungen nach einem hochqualifizierten kulturellen und bildungsbezogenen Plan vorgezeichnet werden, im Dienst am Menschen, am ganzen Menschen.  

Die Kirche, die der Universität große Aufmerksamkeit entgegenbringt, weil sie von ihr viel empfangen hat und sich viel von ihr erhofft, hat in diesem Erneuerungswerk ihren Beitrag einzubringen. Vor allem durch ihren unermüdlichen Hinweis, daß »das Herz jeder Kultur […] ihr Streben [ist ], dem größten aller Geheimnisse näherzukommen, dem Geheimnis Gottes« (Ansprache an die Vereinten Nationen anläßlich des 50. Gründungsjubiläums; in O.R. dt., Nr. 41,  13. 1.1995, S. 2). Außerdem durch ihren Hinweis, daß nur in dieser absoluten vertikalen Ausrichtung –dessen, der glaubt und deshalb die entdeckte Wahrheit noch weiter zu vertiefen sucht, aber auch dessen, der sucht und deshalb auf dem Weg des Glaubens ist – Kultur und Wissen sich in Wahrheit aufklären und dem Menschen als Geschenk des Lebens darbieten.  

 5. Der christliche Humanismus ist nichts Abstraktes. Die so wertvolle Forschungsfreiheit darf keine gleichgültige Neutralität gegenüber der Wahrheit sein. Die Universität ist berufen, immer mehr eine Werkstatt zu werden, in der ein universaler Humanismus gepflegt und entfaltet wird, der offen ist für die geistliche Dimension der Wahrheit. 

Die Diakonie der Wahrheit stellt eine epochale Aufgabe für die Universität dar. Sie verweist auf jene kontemplative Dimension des Wissens, die den humanistischen Wesenszug jeder Disziplin in den verschiedenen in Eurer Tagung behandelten Bereichen umschreibt. Aus dieser inneren Haltung erwächst die Fähigkeit, den Sinn der Ereignisse zu deuten und die kühnsten Entdeckungen herauszustellen. Die Diakonie der Wahrheit ist das Siegel des freien und offenen Intellekts. Nur wenn der Universitätslehrer diese Überzeugungen in seinem täglichen Lebensstil verkörpert, wird er Träger der Hoffnung für das persönliche und soziale Leben. Die Christen sind berufen, Zeugnis zu geben von der Würde der menschlichen Vernunft, von ihren Ansprüchen und ihrer Fähigkeit, die Wirklichkeit zu erforschen und zu erkennen; so überwinden sie den epistemologischen Skeptizismus, die ideologischen Verkürzungen des Rationalismus und die nihilistischen Ergebnisse des negativen Denkens.  

Der Glaube ist fähig, Kultur zu schaffen; er fürchtet die offene und freie kulturelle Auseinandersetzung nicht; seine Gewißheit ähnelt keineswegs der voreingenommenen ideologischen Verhärtung; er ist das helle Licht der Wahrheit, das sich dem Ideenreichtum nicht widersetzt,  sondern nur dem dunklen Irrtum. Der christliche Glaube erhellt und klärt das Dasein in allen seinen Bereichen auf. Von diesem inneren Reichtum belebt, verbreitet ihn der Christ mutig und bezeugt ihn mit Konsequenz.

6. Die Kultur läßt sich nicht auf die Bereiche der instrumentalen Nutzung verkürzen: Im Mittelpunkt muß der Mensch mit seiner Würde und seiner Offenheit für das Absolute bleiben. Das heikle und schwierige Werk der »Evangelisierung der Kultur« und der »Inkulturation des Glaubens« gibt sich nicht mit bloßen Verbesserungen zufrieden, sondern erfordert ein wahres Umdenken und eine schöpferische Ausdrucksform des methodologischen Werkzeugs, das die italienische Kirche sich in den vergangenen Jahren geben wollte: das »christlich orientierte Kulturprojekt«.  Es erwächst aus dem Bewußtsein, daß »die Synthese zwischen Kultur und Glaube nicht nur ein Anspruch der Kultur, sondern auch des Glaubens ist … Ein Glaube, der nicht Kultur wird, ist ein Glaube, der weder voll angenommen noch innerlich durchdacht noch treu gelebt wird« (Johannes Paul II., Schreiben zur Errichtung des Päpstlichen Rates für die Kultur, 1982).  

Auf diesen tiefen Anspruch antwortet die Praxis der intellektuellen Nächstenliebe. Das ist die besondere Pflicht, die die katholischen Universitätsmitglieder verwirklichen sollen in der Überzeugung, daß die Kraft des Evangeliums zu einer tiefen Erneuerung fähig ist. Daß der »Logos« Gottes dem menschlichen »logos« begegnet und daraus der »dia-logos« erwächst: Das erwartet und erhofft sich die Kirche für die Universität und die kulturelle Welt. 

Der neue Humanismus sei für Euch Perspektive, Projekt und Verpflichtung. Er wird dann Berufung zur Heiligkeit für alle, die in der Universität mitwirken. Zu dieser »hohen Zielsetzung« seid Ihr am Beginn des neuen Jahrtausends gerufen. 

Zur Bekräftigung dieser meiner Wünsche für Eure Tagung, auf deren Arbeiten ich reiche himmlische Gnaden herabflehe, erteile ich jedem einzelnen und seiner Familie einen besonderen Apostolischen Segen. 

Aus dem Vatikan, am 4. Oktober 2001

JOHANNES PAUL II.

 



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