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GEMEINSAME ERKLÄRUNG
VON
PAPST JOHANNES PAUL II.
UND DEM ÖKUMENISCHEN PATRIARCHEN BARTHOLOMAIOS I.

 

»Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe« (1 Kor 16,13–14).

1. Im Geist des Glaubens an Christus und der gegenseitigen Liebe, die uns verbindet, danken wir Gott für das Geschenk unserer erneuten Begegnung, die am Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus stattfindet. Wir bezeugen den festen Willen, den Weg zur vollen Gemeinschaft zwischen uns in Christus fortzusetzen.

2. Viele positive Schritte haben diesen gemeinsamen Weg bisher gekennzeichnet. Angefangen beim historischen Ereignis, das wir heute in Erinnerung rufen: die Umarmung zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. in Jerusalem auf dem Ölberg, am 5. und 6. Januar 1964. Wir, ihre Nachfolger, treffen uns heute wieder und wollen vor Gott, getreu dem Gedächtnis und den ursprünglichen Absichten, jener gesegneten Begegnung gedenken, die bereits in die Geschichte der Kirche eingegangen ist.

3. Die Umarmung unserer jeweiligen Vorgänger ehrwürdigen Angedenkens in Jerusalem war sichtbarer Ausdruck einer Hoffnung, die die Herzen aller erfüllte, wie es im Kommuniqué hieß: »Den Blick auf Christus gerichtet, der mit dem Vater Urbild und Urheber der Einheit und des Friedens ist, bitten sie Gott, daß diese Begegnung Zeichen und Anfang von Ereignissen sei, die zur Ehre Gottes und zur Erleuchtung seines gläubigen Volkes gereichen sollen. Nach jahrhundertelangem Schweigen sind sie jetzt zusammengekommen in dem Wunsch, den Willen des Herrn zu verwirklichen und die althergebrachte Wahrheit seines Evangeliums zu verkünden, das der Kirche anvertraut ist.«1

4. Einheit und Frieden! Die seit jener historischen Begegnung entzündete Hoffnung hat den Weg der vergangenen Jahrzehnte erhellt. Unsere Vorgänger und wir haben im Bewußtsein, daß die christliche Welt seit Jahrhunderten das Drama der Spaltung erleidet, den »Dialog der Liebe« beharrlich fortgesetzt und sehen jenem hellen und seligen Tag entgegen, an dem es möglich sein wird, an demselben Kelch des heiligen Leibes und des kostbaren Blutes des Herrn teilzuhaben.2. Die vielen kirchlichen Ereignisse, von denen die vergangenen 30 Jahre geprägt waren, haben dem Engagement der brüderlichen Liebe Grundlage und Festigkeit verliehen: einer Liebe zum Nächsten, die aus der Vergangenheit gelernt hat; die bereit ist, zu vergeben; die dazu neigt, lieber an das Gute als an das Böse zu glauben; die vor allem dem göttlichen Erlöser ähnlich werden will und die sich zu ihm hinziehen und von ihm verwandeln läßt.3.

5. Wir danken dem Herrn für die beispielhaften Gesten der gegenseitigen Liebe, der Teilhabe und des Teilens, die wir mit seiner Hilfe ausführen konnten; darunter nennen wir natürlich den Besuch des Papstes beim Ökumenischen Patriarchen Dimitrios im Jahr 1979, als am Sitz des Phanar die Errichtung der »Internationalen Gemischten Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche in ihrer Gesamtheit« angekündigt wurde: Dies war ein weiterer Schritt, um den »Dialog der Liebe« durch den »Dialog der Wahrheit« zu vervollständigen; der Besuch des Patriarchen Dimitrios in Rom im Jahr 1987; unser Treffen in Rom am Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus 1995, als wir in Sankt Peter zusammen beteten, obwohl wir uns während der Eucharistiefeier schmerzlicherweise trennen mußten, weil es uns noch nicht möglich ist, aus demselben Kelch des Herrn zu trinken. Dann, in jüngerer Zeit, das Treffen in Assisi zum »Gebetstag für den Frieden in der Welt« und die gemeinsame Erklärung zur Bewahrung der Schöpfung, die im Jahr 2002 unterzeichnet wurde.

6. Trotz unseres festen Willens, den Weg zur vollen Gemeinschaft fortzusetzen, wäre es unrealistisch gewesen, keine Hindernisse zu erwarten, Hindernisse verschiedener, vor allem lehramtlicher Natur, aber auch solche, die von den Bedingtheiten einer schwierigen Geschichte herrühren. Auch neue Probleme, die durch die tiefen Wandlungen im sozialpolitischen Gefüge Europas entstanden sind, blieben nicht ohne Folgen in den Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen. Mit der wiedergewonnenen Freiheit der Christen in Mittelosteuropa sind auch frühere Ängste neu erwacht, die den Dialog erschweren. Die Mahnung des hl. Paulus an die Korinther: »Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe«, muß aber in uns und unter uns Widerhall finden.

7. Die »Internationale Gemischte Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche in ihrer Gesamtheit«, die mit soviel Hoffnung ihre Arbeit aufgenommen hat, ist in den vergangenen Jahren ins Stocken geraten. Sie kann aber wirksames Mittel sein, um die ekklesiologischen und historischen Probleme zu untersuchen, die unseren Schwierigkeiten zugrunde liegen, und um Lösungsmöglichkeiten zu finden. Es ist unsere Pflicht, das entschlossene Bemühen fortzusetzen und die Arbeiten baldmöglichst wieder aufzunehmen. Indem wir von den beiderseitigen entsprechenden Initiativen der Sitze in Rom und in Konstantinopel Kenntnis nehmen, wenden wir uns an den Herrn, daß er unseren Willen stütze und alle davon überzeuge, wie unerläßlich es ist, den »Dialog der Wahrheit« weiterzuführen.

8. Unser heutiges Treffen in Rom erlaubt uns auch, uns mit einigen Problemen und Mißverständnissen, die jüngst entstanden sind, brüderlich auseinanderzusetzen. Die lange Praxis des »Dialogs der Liebe« kommt uns gerade in solchen Situationen zu Hilfe, so daß die Schwierigkeiten mit Gelassenheit angegangen werden können und den eingeschlagenen Weg zur vollen Gemeinschaft in Christus nicht verlangsamen oder verdunkeln.

9. Angesichts einer Welt, die unter jeder Art von Spaltungen und Mißverhältnissen leidet, will das heutige Treffen konkret und nachdrücklich betonen, wie wichtig es ist, daß die Christen und die Kirchen untereinander in Frieden und Harmonie leben, um einmütig in glaubwürdigerer und eindrucksvollerer Weise die Botschaft des Evangeliums zu bezeugen.

10. In dem besonderen Kontext Europas, das sich auf dem Weg zu umfassenderen Formen der Integration und Erweiterung nach dem Osten des Kontinents befindet, danken wir dem Herrn für diese positive Entwicklung und verleihen der Hoffnung Ausdruck, daß sich die Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Orthodoxen in dieser neuen Lage verbessert. Viele Herausforderungen sind gemeinsam anzugehen, um zum Wohl der Gesellschaft beizutragen: die Plage des Terrorismus durch die Liebe heilen, die Hoffnung auf Frieden verbreiten, zur Heilung vieler schmerzlicher Konflikte beitragen; Europa das Bewußtsein seiner christlichen Wurzeln zurückgeben; einen wahren Dialog mit dem Islam aufbauen, weil aus der Gleichgültigkeit und gegenseitigen Unkenntnis nur Mißtrauen und sogar Haß entstehen kann; das Bewußtsein von der Heiligkeit des menschlichen Lebens nähren; darauf hinwirken, daß die Wissenschaft nicht den göttlichen Funken verneine, den jeder Mensch mit dem Geschenk des Lebens empfängt; mithelfen, daß unsere Erde nicht verunstaltet wird und daß die Schöpfung die Schönheit bewahren kann, die Gott ihr geschenkt hat; aber vor allem mit neuer Kraft die Botschaft des Evangeliums verkünden und den Zeitgenossen deutlich machen, wie sehr das Evangelium ihnen hilft, sich selbst zu finden und eine menschlichere Welt aufzubauen.

11. Bitten wir den Herrn, daß er der Kirche und der Welt Frieden schenke und daß er durch die Weisheit seines Geistes unseren Weg zur vollen Gemeinschaft belebe, »ut unum in Cristo simus«.

Aus dem Vatikan, am 29. Juni 2004

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1Gemeinsames Kommuniqué von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I., Tomos Agapis - Vatikan - Phanar, 1971, Nr. 50, S. 120.

2Vgl. Ansprache von Patriarch Athenagoras I. an Papst Paul VI., (5. Januar 1964), ebd., Nr. 48, S. 109.

3 Vgl. Ansprache von Papst Paul VI. an Patriarch Athenagoras I., (6. Januar 1964), ebd., Nr. 49, S. 117.

                      



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