Index   Back Top Print

[ DE  - ES  - FR ]

ANSPRACHE VON PAPST PIUS XII.
AN DEN PRÄSIDENTEN DER
BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
*

 Mittwoch, 27. November 1957

 

Wir entbieten Ihnen Unseren Gruß, geehrte Herren: Herrn Außenminister von Brentano, Herrn Botschafter Graf Strachwitz wie den anderen Herren, die Sie dem Herrn Bundespräsidenten das Geleit zu Uns gegeben haben.

Ihr Besuch, hochgeehrter Herr Bundespräsident, bietet Uns eine willkommene Gelegenheit, um Ihnen selbst und in Ihrer Person dem deutschen Volk Unseren Glückwunsch auszusprechen. Der verlorene Krieg hatte die Zusammenbrüche, die seine Folge waren, geradezu gehäuft. Er hatte einen wirtschaftlichen Trümmerhaufen hinterlassen. Zu den vielfältigen wirtschaftlichen Katastrophen gesellte sich eine fast noch beängstigendere politische, nach innen und nach außen. Das restliche Deutschland musste zudem in kürzester Zeit Millionen von Ostvertriebenen Lebensraum schaffen und diese eingliedern. Darüber hinaus hatte Ihr Volk von einem Tag auf den anderen eine rücksichtslos drosselnde Geldentwertung hinzunehmen.

Deutschland hat diese, wie es damals schien, hoffnungslose Lage »gemeistert«. Der Ausdruck ist hier am Platz. Es sind Ihrem Volk in der Stunde der Not Meister der Politik und Wirtschaft geschenkt worden, deren Namen es immer mit hohen Ehren nennen wird. Das Volk hat der Führung entsprochen. Es ist Uns gesagt worden, wenn Deutschland seine wirtschaftliche Katastrophe so schnell überwunden habe, verdanke es dies an erster Stelle dem unbändigen Fleiß und Wagemut seiner Unternehmer ˗ und, so dürfen Wir sicher beifügen, in nicht geringerem Maß der Einsicht, dem harten Willen und der Fähigkeit seiner Arbeiterschaft. Ihr Volk hat auch gleich von den ersten Nachkriegsjahren an unter bedrohlichen Umständen und in den entscheidenden Stunden in bemerkenswertem Maß gesunden politischen Sinn bewiesen. Wir dürfen aber wiederholen, worauf Wir schon einmal hinwiesen: möge Geduld und »Wartenkönnen«  immer ein stark bestimmendes Element seiner politischen Reife sein! Wir kennen die Sorge des deutschen Volkes um die »Zone«. Es tut jedoch wohl daran, die Bekundung, die es dieser Sorge verleiht, immer am Allgemeinwohl auszurichten und so zu bemessen, dass sie die Staatsführung nicht erschwert, sondern erleichtert.

Das alte Deutschland ist bis tief ins 19. Jahrhundert hinein Bindeglied durch Mitteleuropa gewesen. Wir kennen ˗ nicht nur durch Unseren langjährigen Aufenthalt in München und Berlin - Deutschlands Verhältnisse und seine Lage in Europa zu gut, als dass Wir Uns nicht darüber freuten, dass das neue Deutschland, unmittelbar nach seiner verhängnisvollsten Phase eines übersteigerten Nationalismus, unter neuen Verhältnissen und in anderer Form an einer Einigung Europas, die stärker werden soll, als sie je zuvor war, in vorderster Linie und mit Erfolg teilnimmt. Unsere Freude ist besonders groß darüber, dass nunmehr aus echtem und ehrlichem Wollen verantwortlicher Staatsmänner auf beiden Seiten, der Hoffnung und dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Völker entsprechend, das Kernstück und Rückgrat eines geeinten Europas geschaffen worden ist, die Annäherung, das gute Verhältnis und der beiderseitige Wille zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich, ein Ergebnis, auf das Jahrhunderte warten mussten und das wir nur Gottes Schutz empfehlen können.

Die äußere und innere Überwindung der Kriegsfolgen, das Emporsteigen eines neuen Deutschlands und die Grundlegung des geeinten Europas - dies alles hat sich vollzogen unter Ihrer persönlichen Mitwirkung, hochgeehrter Herr Bundespräsident, schon in den Jahren, bevor Sie das deutsche Volk durch seine Vertreter zum Staatsoberhaupt erkor, wie in den Jahren Ihrer Präsidentschaft. Sie haben Elemente, die den Rechtsstaat als solchen kennzeichnen und stärken, zum Grundgesetz beigesteuert und in Ihrem hohen Amt deren Verwirklichung immer im Auge behalten. Sie haben den relativen Primat der sozialen Gesetzgebung und Sicherung betont, und Sie waren ein Förderer all dessen, was dem europäischen Zusammenschluss dienen konnte. Wir wissen auch, dass Ihr hohes Amt und die vielen Beziehungen, die es Ihnen zur Verfügung stellte, Ihrem Denken und Wollen in jenen Richtungen Nachdruck und Wirksamkeit verliehen haben.

Deutschland und ganz Europa haben noch schwere Fragen und Aufgaben zu lösen. Wenn es dabei gilt, die wahre Freiheit zu sichern und die Kultur zu retten, denen Europa seine Größe verdankte, so geht es nicht nur und nicht in erster Linie um materielle Werte, sondern vor allem um jene geistig-sittlichen Kräfte, die einer Kultur überhaupt innewohnen müssen, wenn sie den Anspruch erheben will, die Würde des Menschen und seine Freiheit - wohlgemerkt zum Guten, zu gewährleisten und zu fördern. Auch die Mächte, von denen Europa seine Kultur und Freiheit bedroht sieht, haben eine Weltanschauung, einen geistigen Unterbau, und nur auf jene, die dieser anderen Weltanschauung ein entschiedenes Nein entgegensetzen und aus diesem Nein die Folgerungen für ihr eigenes Denken und Handeln ziehen, wird Verlass sein im Ringen um die Freiheit des noch freien und um die Befreiung des der Freiheit beraubten Europas. Wir sprechen dies aus, weil Wir um Deutschland und Europa bangen würden, sollten sie sich ganz im Materiellen verlieren, und weil Wir glauben dessen sicher sein zu können, dass Unser Wort in Ihren Überzeugungen, hochgeehrter Herr Bundespräsident, Widerhall findet.

In diesem Zusammenhang möchten Wir auf ein für die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Deutschland glückliches Ereignis des laufenden Jahres hinweisen : 1933 ist, und zwar auf Ersuchen der damaligen deutschen Regierung, von Unserem Vorgänger mit dem Deutschen Reich ein, Konkordat abgeschlossen worden. Der Heilige Stuhl hat Gewicht darauf gelegt, sich genau an dessen Bestimmungen zu halten auch seit Kriegsende, in der klaren Einsicht, dass, wenn überhaupt ein Vertrag, das Konkordat zu Kategorie jener nicht innerdeutschen Verträge zu rechnen sei, deren Fortbestand 1945 ausdrücklich bestätigt wurde. Es hat Uns angenehm berührt, dass Sie, hochgeehrter Herr Bundespräsident, und die Bundesregierung schon vor Jahren derselben Überzeugung ihre Stimme liehen. Nunmehr hat der in Bundesdeutschland für Verfassungsfragen zuständige oberste Gerichtshof gleichfalls in bejahendem Sinn entschieden, sodass zu Unserer Befriedigung zwischen dem Heiligen Stuhl und Ihrem Land wieder volle Rechtssicherheit geschaffen ist.

Konkordate sind Rechtsinstrumente. Allein unter der Rücksicht des wahren Besten von Volk und Staat gesehen, wollen sie den Raum bereit stellen, in dem die katholische Kirche oder die Katholiken des betreffenden Landes ihre Weltanschauung frei und ruhig zur Entfaltung und Wirkung bringen können. Wir denken, dass der Hinweis auf die Geschichte und Gegenwart Uns berechtigt zu sagen: Die katholische Weltanschauung, verstanden als Überzeugung und Tat, hat starke Werte beizutragen, wo es sich um die Erhaltung des geistig-seelischen Unterbaus echter und bester europäischer Kultur handelt, eines Unterbaus, ohne den der Kampf um die Freiheit mit einem Gegner wie jener ganz anderen Macht gewordenen Weltanschauung von vornherein verloren wäre.

Dem deutschen Volk erhoffen Wir daher, dass es seine wirtschaftliche Blüte immer überstrahlen lasse von seiner religiössittlichen Kraft. In dieser Hoffnung senden Wir ihm durch Sie, hochgeehrter Herr Bundespräsident, innigsten Gruß und rufen Gottes Huld und Gnade in, reichster Fülle auf es herab.


*Discorsi e Radiomessaggi di Sua Santità Pio XII, XIX,
 19. Pontifikatsjahr, 2. März 1957-1. März 1958, SS. 631-634
 Tipografia Poliglotta Vaticana.

AAS 49 (1957), S.1033-1036.

L’Osservatore Romano 28.11.1957, S.1.

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana