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ERÖFFNUNG DER 70. GENERALVERSAMMLUNG DER ITALIENISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE ITALIENISCHE BISCHOFKONFERENZ

Synodenhalle
Montag, 22. Mai 2017

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Liebe Brüder!

Während ich in diesen Tagen die Begegnung mit euch vorbereitet habe, geschah es, dass ich mehrmals den »Besuch« des Heiligen Geistes anrief, den Besuch dessen, der »der Seele Salbung, höchstes Gut« ist. Denn ohne seine Kraft »kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund«, und all unser Mühen bleibt umsonst. Wenn sein »glückseliges Licht« nicht in unser Inneres eindringt, bleiben wir die Gefangenen unserer Ängste und sind unfähig zu erkennen, dass wir allein von der Liebe gerettet werden: Was in unserem Inneren keine Liebe ist, das entfernt uns vom lebendigen Gott und von seinem heiligen Volk.

»Komm herab, o Heil’ger Geist, der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt. … Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.« Die erste dieser Gaben ist bereits das »convenire in unum«, die Bereitschaft, die Zeit, das Zuhören, die Kreativität und den Trost miteinander zu teilen. Ich wünsche euch, dass diese Tage von einem offenen, demütigen und aufrichtigen Austausch geprägt sein mögen. Habt keine Angst vor Augenblicken der Konfrontation: Vertraut euch dem Heiligen Geist an, der offen macht für die Verschiedenheit und der das Unterschiedliche in der brüderlichen Liebe versöhnt.

Lebt die bischöfliche Kollegialität, bereichert von der Erfahrung, die ein jeder einbringt und die ihr aus den Tränen und den Freuden eurer Teilkirchen schöpft. Gemeinsam unterwegs sein, das ist der konstitutive Weg der Kirche; das ist die Chiffre, die es uns ermöglicht, die Realität mit den Augen und dem Herzen Gottes zu deuten; das ist die Bedingung, um Jesus, dem Herrn, zu folgen und in dieser verwundeten Zeit Diener des Lebens zu sein. Der synodale Atem und die synodale Gangart offenbaren zum einen, was wir sind, und zum anderen die Dynamik der Gemeinschaft, die unsere Entscheidungen beseelt. Nur unter dieser Perspektive können wir wirklich unsere Pastoral erneuern und sie an die Sendung der Kirche in der Welt von heute anpassen. Nur so können wir uns der Komplexität der heutigen Zeit stellen, dankbar für den zurückgelegten Weg und entschlossen, ihn mit Parrhesia fortzusetzen. In der Wirklichkeit ist dieser Weg allerdings auch von Verschlossenheit und Widerstand gekennzeichnet:

Unsere Treulosigkeiten sind eine schwere Hypothek, die die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses für das »depositum fidei« belasten, eine wesentlich schlimmere Bedrohung als jene, die von der Welt mit ihren Verfolgungen kommt. Dieses Bewusstsein hilft uns, uns als Empfänger der »Briefe an die Gemeinden« zu erkennen, mit denen das Buch der Offenbarung beginnt (1,4- 3,22), das großartige Buch der christlichen Hoffnung. Bitten wir um die Gnade zu hören, was der Geist heute den Gemeinden sagt. Nehmen wir sein prophetisches Zeugnis an, um zu verstehen, was er in uns heilen will: »Komm, der alle Armen liebt, komm, der gute Gaben gibt, komm, der jedes Herz erhellt.«

Wie die Gemeinde von Ephesus haben vielleicht auch wir zuweilen die erste Liebe verlassen, die einstige Frische und Begeisterung… Kehren wir zu den Ursprüngen zurück, zur Ursprungsgnade. Lassen wir uns von Jesus anblicken, dem »Ja« des treuen Gottes, dem »unum necessarium«: »Möge kein anderes Licht über dieser Versammlung schweben als Christus, das Licht der Welt; möge keine andere Wahrheit unsere Herzen interessieren als die Worte des Herrn, unseres einzigen Meisters; möge keine andere Bestrebung uns leiten als der Wunsch, ihm absolut treu zu sein; kein anderes Vertrauen soll uns stützen als jenes, das unsere große Schwachheit stärkt, weil es sich auf seine Worte stützt: ›Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt‹ (Mt 28,20)« (Paul VI., Ansprache zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils, 29. September 1963).

Wie die Gemeinde von Smyrna sind vielleicht auch wir in Augenblicken der Prüfung Opfer der Ermüdung, der Einsamkeit, der Sorge um die Zukunft. Wir sind erschüttert, wenn wir sehen, wie wenig der Gott Jesu Christi mit dem Bild und den Erwartungen des »frommen« Mannes übereinstimmen kann: er enttäuscht, erschüttert, gibt Anstoß. Bewahren wir das Vertrauen in die überraschende Initiative Gottes, die Kraft der Geduld und die Treue der Bekenner: Wir werden den zweiten Tod nicht zu fürchten brauchen.

Wie die Gemeinde von Pergamon versuchen vielleicht auch wir zuweilen, den Glauben mit der geistlichen Weltlichkeit zusammengehen zu lassen, das Leben nach dem Evangelium mit der Logik von Macht und Erfolg, krampfhaft präsentiert als funktional für das gesellschaftliche Image der Kirche. Der Versuch, zwei Herren zu dienen, ist vielmehr Beweis für mangelnde innere Überzeugung. Lernen wir, auf unnütze Ambitionen und die Manie unserer Selbstbezogenheit zu verzichten, um beständig unter dem Blick des Herrn zu leben, der in so vielen gedemütigten Brüdern und Schwestern gegenwärtig ist: wir werden der Wahrheit begegnen, die wirklich frei macht.

Wie die Gemeinde von Thyatira sind wir vielleicht der Versuchung ausgesetzt, das Christentum auf eine Reihe von Prinzipien zu verkürzen, denen es an Konkretheit fehlt. Dann verfällt man einem fleischlosen Spiritualismus, der die Wirklichkeit vernachlässigt und die Zärtlichkeit gegenüber dem Fleisch des Nächsten verlorengehen lässt. Kehren wir zurück zu den Dingen, die wirklich zählen: Glaube, Liebe zum Herrn, freudiges und unentgeltliches Dienen. Machen wir uns die Gesinnung und die Taten Jesu zu eigen und wir werden wirklich in die Gemeinschaft mit ihm eintreten, dem Morgenstern, der niemals untergeht.

Wie die Gemeinde von Sardes können wir vielleicht vom Schein, von Äußerlichkeit oder Opportunismus verführt und von den Moden und dem Urteil der anderen beeinflusst werden. Das unterscheidend Christliche dagegen lässt die Annahme des Evangeliums sprechen durch Werke, konkreten Gehorsam, gelebte Treue; durch den Widerstand gegen den Selbstherrlichen, den Hochmütigen, den sich als Herr Aufspielenden; durch die Freundschaft zu den Kleinen und das Teilen mit den Bedürftigen. Lassen wir uns von der Nächstenliebe in Frage stellen, beherzigen wir die Weisheit der Armen, fördern wir die Inklusion! Und aus Barmherzigkeit werden wir uns im Buch des Lebens wiederfinden.

Wie die Gemeinde von Philadelphia sind wir zur Standhaftigkeit aufgerufen, dazu, uns ohne Scheu in die Wirklichkeit zu werfen: Das Gottesreich  ist der kostbare Edelstein, für den wir ohne Zögern alles andere verkaufen und uns ganz der Hingabe und der Sendung öffnen. Gehen wir mutig durch jede Tür, die der Herr vor uns öffnet. Nützen wir jede Gelegenheit, um den anderen nahe zu sein. Auch der beste Sauerteig bleibt für sich allein ungenießbar, während er in seiner Einfachheit eine große Menge Mehl durchsäuert: Mischen wir uns unter die Stadt der Menschen, arbeiten wir tatkräftig an der Begegnung mit den verschiedenen kulturellen Reichtümern mit, setzen wir uns gemeinsam für das Wohl jedes einzelnen und für das Gemeinwohl aller ein. So werden wir Bürger des neuen Jerusalem sein. Wie die Gemeinde von Laodizea kennen wir vielleicht die Lauheit des Kompromisses, die Unentschiedenheit aus Kalkül, die Falle der Zweideutigkeit.

Wir wissen, dass genau diesen Haltungen die schwerste Verurteilung gilt. Im Übrigen erinnert uns ein Glaubenszeuge des 20. Jahrhunderts daran, dass die billige Gnade der Todfeind der Kirche ist: Sie ist Leugnung des lebendigen Wortes Gottes und verschließt uns den Weg zu Christus. Die wahre Gnade – die Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – kann nur teuer sein: denn sie ruft in die Nachfolge Christi, denn sie kostet den Menschen das Leben, denn sie verurteilt die Sünde und rechtfertigt den Sünder, denn sie dispensiert nicht von Taten… Die Gnade hat einen hohen Preis, aber sie schenkt Leben und führt dazu, in der Welt zu leben, ohne sich an sie zu verlieren (vgl. D. Bonhoeffer, Nachfolge).

Öffnen wir das Herz für das Klopfen des ewigen Pilgers: Lassen wir ihn eintreten, halten wir Mahl mit ihm. Wir werden aufbrechen, um überallhin zu gelangen mit der Verkündigung von Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit und Frieden. Liebe Brüder, der Herr will uns niemals entmutigen. Deshalb wollen wir nicht bei den Zurechtweisungen stehenbleiben, die doch stets aus Liebe geschehen (vgl. Offb 3,19) und die zur Liebe hinführen. Lassen wir uns aufrütteln, läutern und trösten: »Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält. Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.« Mut ist von uns gefordert, um zu vermeiden, dass wir uns an Situationen gewöhnen, die so tief eingewurzelt sind, dass sie normal oder unüberwindlich zu sein scheinen. Die Prophezeiung erfordert keine Brüche, sondern mutige Entscheidungen, die einer wirklichen kirchlichen Gemeinschaft zu eigen sind: Sie führen dazu, sich von den Ereignissen und den Menschen »stören« zu lassen und sich vom heilenden Geist der Seligpreisungen beseelt in die Situation der Menschen zu versetzen. Auf diesem Weg werden wir die Formen unserer Verkündigung, die vor allem durch die Liebe ausstrahlt, neu zu gestalten wissen.

Bewegen wir uns mit dem Vertrauen dessen, der weiß, dass auch die heutige Zeit ein »kairos« ist, eine Zeit der Gnade, erfüllt vom Geist des Auferstandenen: Uns kommt die Verantwortung zu, ihn zu erkennen, ihn anzunehmen und ihm fügsam zu entsprechen. »Komm, Heiliger Geist, höchster Tröster in der Zeit, Gast, der Herz und Sinn erfreut, köstlich Labsal in der Not.« Liebe Brüder, die ihr eingesetzt seid, »um als Hirten für die Kirche Gottes zu sorgen« (Apg 20,28), und teilhabt an der Sendung des Guten Hirten: niemand soll für euren Blick unsichtbar oder nebensächlich sein. Geht auf jeden Menschen zu mit der Fürsorge und dem Mitleid des barmherzigen Vaters, mit Starkmut und Großherzigkeit. Achtet darauf, das Wohl und das Übel des anderen als euer eigenes wahrzunehmen, fähig, ohne Gegenleistung und voller Zärtlichkeit das Leben hinzugeben. Das soll eure Berufung sein, denn wie die heilige Therese vom Kinde Jesus schreibt, »befähigt allein die Liebe die Glieder der Kirche zum Handeln. Wenn die Liebe erlischt, würden die Apostel das Evangelium nicht mehr verkünden und die Märtyrer sich weigern, ihr Blut zu vergießen…«

In diesem Licht danke ich in eurem Namen Kardinal Angelo Bagnasco für die zehn Jahre als Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz. Danke für seinen demütigen und geteilten Dienst, geleistet nicht ohne persönliches Opfer in einer nicht einfachen Übergangszeit für die Kirche und das Land. Auch die Wahl und dann die Ernennung seines Nachfolgers soll nichts anderes sein als ein Zeichen der Liebe zur heiligen Mutter Kirche, einer Liebe, die mit geistlicher und pastoraler Unterscheidung gelebt wird, einer Synthese entsprechend, die selbst auch Gabe des Heiligen Geistes ist.

Und betet für mich, der ich gerufen bin, Hüter, Zeuge und Garant des Glaubens und der Einheit der ganzen Kirche zu sein: mit euch und für euch möge ich diese Sendung mit Freude bis zum Ende erfüllen. »Komm herab, o Heiliger Geist, lass uns in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit. Amen.«

 



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