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ANSPRACHE VON PAPST JOHANNES PAUL II.
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DER PÄPSTLICHEN KOMMISSION "IUSTITIA ET PAX"

9. Februar 1980

 

1. Mit Freude begrüße ich euch alle, Mitglieder der Päpstlichen Kommission "Justitia et Pax" und ihres Sekretariats, heute vormittag hier, nachdem ihr an der 13. Vollversammlung der Kommission, d.h. der dritten Vollversammlung nach der endgültigen Approbierung ihrer Statuten, teilgenommen habt.

Von verschiedenen Kontinenten kommend, habt ihr euch in diesen Tagen außerhalb Roms einer gemeinsamen, vertieften Reflexion gewidmet, wo jeder zum Verständnis der auf der Tagesordnung stehenden Probleme beitrug, dadurch, daß er die Erfahrung seines eigenen Lebens, seiner Heimat, der Kirche in seinem Land und seiner Kultur einbrachte.

2. Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere erste Begegnung einige Monate nach meiner Wahl auf den Stuhl Petri. Bei dieser Gelegenheit habe ich zu euch gesagt: "Ich zähle auf euch, ich zähle auf die Päpstliche Kommission Justitia et Pax: sie soll mir und der ganzen Kirche helfen, den Aufruf an die Menschen unserer Zeit mit aller Eindringlichkeit zu wiederholen ...: Habt keine Angst! öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!'" (Ansprache am Beginn des Pontifikats, 22. Oktober 1978, vgl. O.R., Nr. 43 vom 27. Oktober 1978). Ich möchte heute noch einmal wiederholen, daß ich auf euch alle zähle, und ich weiß, daß ihr mir und der ganzen Kirche diese Hilfe leisten wollt.

Es handelt sich dabei um eine hohe Aufgabe, die vor allem ein Dienst ist. Diese Kommission war ja eben dazu eingerichtet worden: zum Dienst am Papst, an den Bischöfen und der ganzen Kirche. Dieser Dienst, den ihr der Kirche innerhalb der römischen Kurie leistet, ist ein Grund zu berechtigtem Stolz und innerer Freude; er ist auch ein Grund zur Dankbarkeit gegenüber Gott, dessen Diener wir alle sind, und gegenüber Christus, "der Mitte des Kosmos und der Geschichte" (Redemptor hominis, Nr. 1) und deshalb Mitte unseres Lebens, unserer Bemühungen und unserer Arbeit.

Der ständige Wandel unter dem Aspekt des menschlichen Wohls

3. Im Laufe eurer Tagung in Nemi habt ihr mehrere Themen erörtert, die für die Kirche und die heutige Welt besondere Bedeutung haben. Ihr habt neuerlich und in besonderer Weise das grundlegende Thema untersucht, das eines der Ziele der Tätigkeit eurer Kommission bildet: die Entwicklung. Es handelt sich dabei um eine Wirklichkeit, die sich im Laufe der letzten zehn Jahre in ständigem Wandel befand und Probleme aufwarf, die jedesmal in anderem Zusammenhang angepackt werden müssen, auch wenn diese Wirklichkeit sich immer auf die fundamentalen Forderungen und Bedürfnisse, nämlich das Wohl des einzelnen und der Gesellschaft, bezieht. Ich weiß, daß ihr diese Diskussion aufgegriffen habt, um genau das Wort wahrzunehmen, das die Kirche als Beitrag zu dieser Debatte sagen kann, auf welche sich so viele Einzelpersonen, Gruppen Und Gesellschaften verschiedenster Art eingelassen haben.

Was die Entwicklung betrifft, möchte ich euch hier an das erinnern, was ich im vergangenen November vor der 25. Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) gesagt habe: "Aber die Vervollkommnung der Person setzt... die konkrete Verwirklichung der sozialen Verhältnisse voraus, die das Gemeinwohl jeder nationalen politischen Gemeinschaft wie auch der internationalen Gemeinschaft ausmachen. Eine solche kollektive organische und fortlaufende Entwicklung ist die unerläßliche Voraussetzung, die tatsächliche Anwendung der Menschenrechte sowohl jener, die wirtschaftlichen Charakters sind, als auch jener, die die geistigen Werte unmittelbar betreffen   sicherzustellen. Eine solche Entwicklung verlangt jedoch, soll sie Ausdruck wahrer menschlicher Einheit und Verbundenheit sein, verwirklicht zu werden, indem man an die freie Beteiligung und Verantwortung aller im öffentlichen wie im privaten Bereich, auf innerstaatlicher wie internationaler Ebene appelliert" (Ansprache an die FAO, 12. November 1979, Nr. 6; vgl. O.R. dt., Nr. 49 vom 7. Dezember 1979, S. 12).

4. In dem Augenblick, wo sich das von den Vereinten Nationen proklamierte dritte Jahrzehnt der Entwicklung ankündigt, in dem Augenblick auch, wo sich so viele Völker mit geradezu erdrückenden Problemen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Zukunft konfrontiert sehen, kann sich die Kirche ihrer Pflicht nicht entziehen, präsent zu sein, durch ihr Wort Zeugnis abzulegen und Hilfe zu leisten. Sie wird es tun, denn sie weiß, daß sie die Stimme des Evangeliums ist, die immer verkündet, daß der Maßstab jeder wirklichen Entwicklung die Unverletzlichkeit und Achtung der menschlichen Person ist.

Dieses Wort der Kirche und die Sorge aller Christen werden sich stets in der Inspiration am Evangelium ausdrücken müssen. Dann wird die Kirche die lebendigen Kräfte der Gesellschaft ermutigen, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um zur Lösung der Entwicklungsprobleme zu gelangen, Probleme, die eine bisher ungekannte Vielfältigkeit erreicht haben. Sie wird in Zusammenhang mit der ihr eigenen Sendung und in Übereinstimmung damit ihren eigenen Beitrag anbieten. Mein großer Vorgänger Papst Paul VI. hat diese Forderung des Evangeliums herausgestellt, als er in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi sagte: "Doch wäre die Evangelisierung nicht vollkommen, würde sie nicht dem Umstand Rechnung tragen, daß Evangelium und konkretes Leben des Menschen als Einzelperson und als Mitglied einer Gemeinschaft einander ständig beeinflussen. Darum fordert die Evangelisierung eine klar formulierte Botschaft, die den verschiedenen Situationen jeweils angepaßt und stets aktuell ist, und zwar über die Rechte und Pflichten jeder menschlichen Person ..., über das Zusammenleben in der Gesellschaft, über das internationale Leben, den Frieden, die Gerechtigkeit, die Entwicklung" (Nr. 29).

Der Zusammenhang von Entwicklung und Friedensbedrohung

5. So läßt sich in jedem Abschnitt und im Rahmen jeder neuen Situation die Rolle und der Beitrag der Kirche im Bereich der Entwicklung definieren. Indem wir uns von diesem Wort leiten lassen, können wir alle, ihr und ich, versuchen, die Botschaft des Evangeliums für die Menschen, die heute in tiefgehend veränderten Verhältnissen leben, in klaren Formulierungen darzulegen.

Einer der entscheidenden Faktoren im neuen Entwicklungszusammenhang ist die Wechselwirkung zwischen den Problemen der Entwicklung und den Bedrohungen des Friedens, die gerade in diesen Tagen neue und sehr realistische Formen annehmen. Ich hatte Gelegenheit, vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 2. Oktober vergangenen Jahres an ein feststehendes Gesetz der Menschheitsgeschichte zu erinnern, das die bestehende Wechselwirkung zwischen den Menschenrechten, der Entwicklung und dem Frieden aufzeigt: "Diese Regel beruht auf der Beziehung zwischen den geistigen und den materiellen oder ökonomischen Werten. Innerhalb dieser Beziehung kommt der Vorrang den geistigen Werten zu, schon aufgrund der Natur dieser Werte wie auch aus Gründen, die das Wohl des Menschen betreffen. Der Vorrang der Geisteswerte bestimmt die besondere Bedeutung der irdischen und materiellen Güter sowie die Art ihres Gebrauches, und gerade dadurch gehört er zur Grundlage eines gerechten Friedens. Dieser Vorrang der geistigen Werte hat auch seinen Einfluß darauf, daß die materielle, technische und zivilisatorische Entwicklung wirklich dem dient, was den Menschen ausmacht, das heißt, daß sie den vollen Zugang zur Wahrheit, zur moralischen Entwicklung und zum Genuß der Kulturgüter ermöglicht, die wir ererbt haben, sowie zur Vermehrung dieser Güter durch unsere schöpferische Kraft" (Ansprache vor der UNO am 2. Oktober 1979, Nr. 14; vgl. O.R. dt., Nr. 40 vom 5. Oktober 1979).

6. In meiner Botschaft zum Weltfriedenstag habe ich von den Bedrohungen gesprochen, die in jeder Form von "Un-Wahrheit" ihren Ursprung haben. Der Friede ist bedroht, "wenn Unsicherheit, Zweifel und Argwohn herrschen" (Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1980, Nr. 4; vgl. O.R. dt., Nr. 51-52 vom 21. Dezember 1979). Unsicherheit und Lüge schaffen ein Klima, das die Bemühungen, in Frieden und Brüderlichkeit die umfassende Entwicklung der Völker, Einzelpersonen und Gesellschaften zu verwirklichen, beeinflußt. Ein solches Klima herrscht in unseren Tagen in unzähligen Bereichen des gemeinschaftlichen Lebens, und es besteht die Gefahr, daß es auch das Denken und Handeln derer beeinflußt, die sich bemühen, jedem Mann und jeder Frau eine bessere Zukunft sicherzustellen. Die Nationen haben daher die Pflicht, ihre Haltung unablässig zu überprüfen, um sich in einer Bewegung zu engagieren, die "von einer weniger menschenwürdigen Situation im nationalen wie internationalen Leben zu einer menschlicheren Situation gelangt" (ebd., Nr. 8). Das erfordert, daß man imstande ist, auf Slogans und stereotype Wendungen zu verzichten, um die Wahrheit, die die Kraft des Friedens ist, zu suchen und zu bekräftigen. Es bedeutet auch, daß man bereit ist, an die Basis und in die Mitte der ganzen politischen, sozialen und ökonomischen Sorge das Ideal von der Würde der menschlichen Person zu stellen: "Jedes menschliche Wesen besitzt eine Würde, die niemals, wenn auch die Person jeweils in einem konkreten sozialen und geschichtlichen Kontext lebt, herabgesetzt, verletzt oder zerstört werden darf, sondern die im Gegenteil geachtet und geschützt werden muß, falls man wirklich den Frieden aufbauen will" (Ansprache vor der UNO am 2. Oktober 1979, Nr. 13; vgl. O.R. dt., Nr. 40 vom 5. Oktober 1979).

Verheerungen der Unwahrhei

7. Die Verheerungen der Unwahrheit treten augenblicklich besonders akut in Erscheinung mit fortgesetzten oder neu geäußerten Kriegsdrohungen; aber sie sind auch in vielen anderen Bereichen, wie denen der Gerechtigkeit, der Entwicklung und der Menschenrechte sichtbar. Wie ich in meiner Enzyklika Redemptor hominis ausführte (vgl. Nr. 15), scheint der Mensch von seinen eigenen Erfindungen bedroht und läuft Gefahr, den wahren Sinn für die Wirklichkeit und die wahre Bedeutung der Dinge zu verlieren, während er in dem untergeht, was er selbst produziert, weil er nicht mehr alle Dinge beständig auf eine Sicht zurückführt, in deren Mittelpunkt die Würde, die Unantastbarkeit und der unverletzliche Charakter des menschlichen Lebens und jedes Einzelmenschen steht.

Hier wird die Bedeutung eurer Aufgabe und eurer Arbeit als Mitglieder der Päpstlichen Kommission "Justitia et Pax" offenkundig. Ihr müßt versuchen, in den sozialen Beziehungen zwischen den Menschen unserer Zeit das Ideal der Liebe darzustellen. Diese soziale Liebe muß das Gegengewicht zum Egoismus, zur Ausbeutung, zur Gewalt bilden; sie muß das Licht einer Welt sein, die in Gefahr ist, ständig von den Kriegsdrohungen, der wirtschaftlichen oder sozialen Ausbeutung, der Verletzung der Menschenrechte verdunkelt zu werden; sie muß zur aktiven Solidarität mit all jenen führen, die die Gerechtigkeit und den Frieden in der Welt fördern wollen. Diese soziale Liebe muß die Achtung für die Person stärken und die echten Werte der Völker und Nationen sowie ihrer Kulturen schützen. Für uns findet sich das Prinzip der sozialen Liebe, der Sorge der Kirche für den Menschen, in Jesus Christus selbst, wie ihn die Evangelien bezeugen.

Allen und Ihnen, lieber Herr Kardinal, die Sie ein unermüdlicher Zeuge der Liebe Christi für alle Völker sind, euch, liebe Brüder im Bischofsamt, und euch allen, Mitglieder der Päpstlichen Kommission "Justitia et Pax" und des Sekretariats, erteile ich aus ganzem Herzen meinen Segen und versichere euch, eure Arbeit dem Herrn zu empfehlen: ich bitte ihn, eure hochherzigen Anstrengungen zu segnen und Frucht tragen zu lassen.

 

 

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